Biografie: Fritz Tscherter – Der Mann mit dem Homburger, der die KFV-Stürmer berühmt machte – aber selbst nie Nationalspieler wurde

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Fritz Tscherter – November 1888 – 8. Juli 1963 in Karlsruhe

von Thomas Alexander Staisch

Die entscheidende Begegnung im (Sportler-)Leben von Fritz Tscherter fand im August 1908 in Karlsruhe statt – genau genommen in der Nowackanlage 19 in der Südstadt. Karl Geppert, Kopf von Alemannia Karlsruhe, erinnerte sich: „Wir hatten unser Vereinslokal ja dort im Café Nowak. Eines Abends wurde ich herausgerufen. Draußen standen Tscherter und Förderer, sie wollten bei Alemannia spielen.“ Auch seine überraschende Antwort ist überliefert: Geppert teilte den beiden 20-jährigen Burschen allen Ernstes mit, dass er sie nicht aufnehmen könne, weil er dann zwei andere Spieler aus der Mannschaft werfen müsse und das „Verrat an der Klubkameradschaft“ sei! „Ihr kennt ja unsere Einstellung. Ihr geht am besten zum KFV!“, empfahl er. Der Rest ist bekannt. 50 Jahre später aber erkannte Geppert wenn nicht seinen Fehler, dann doch die vergebene Chance: „Sie bildeten hernach einen der besten Flügel, die je eine deutsche Mannschaft besaß …“. Aber von Anfang an: Fritz Tscherter (17. November 1888 – 8. Juli 1963) war tschechischer Herkunft, sein Vater Schuhmachermeister – und Lieferant für die badische Großherzogin. Laut Julius-Hirsch-Biograph Werner Skrentny hat er die edlen Treter natürlich persönlich und standesgemäß im Gehrock („Cut“) im Schloss angeliefert. Fußballerisch tobte sich Fritz (zusammen mit Fritz Förderer) zuerst bei FC Germania 1898 aus, bevor er nach dem denkwürdigen „Café-Treffen“ am 8. August 1908 zum Karlsruher FV wechselte – wo er zu einem legendären Rechtsaußen in der ersten Mannschaft avancierte.

Tscherter im Halbfinale der deutschen Meisterschaft gegen Phönix Karlsruhe. Quelle: Thomas Staisch.
KFV-Mitgliedskarte Tscherters von 1908. Quelle: Stadtarchiv Karlsruhe.
Tscherter auf dem Cover der Süddeutschen Sportzeitung (rechts im Bild). Quelle: Thomas Staisch.

Ins Nationalteam wurde Tscherter unverständlicherweise und im Gegensatz zu seinen Kameraden Hollstein, Bosch, Breunig, Groß, Förderer, Fuchs und Hirsch nie berufen (auf Rechtsaußen hatte er starke Konkurrenz durch Wegele von Phönix), wohl aber in die Süddeutsche Auswahlmannschaft, die regelmäßig um den Kronprinzenpokal kämpfte oder z.B. 1910 gegen eine Londoner Amateurmannschaft sensationell mit 2:1 triumphierte. 

Tscherter, der mit dem KFV 1910 schließlich Deutscher Meister wurde, hat sich auch cineastisch ein Denkmal gesetzt: Auf den berühmten Aufnahmen zum Halbfinalklassiker KFV gegen Phönix vom 1. Mai 1910 (2:1) – dem ältesten Film im deutschen Fußball – ist der schnelle Flügelstürmer mehrmals in Aktion zu bewundern – mit weit offener Bluse und (vor allem gegenüber seinen eher korrekt gescheitelten Kollegen) mit gelocktem Haupthaar. Im wichtigen Entscheidungsspiel um die Süddeutsche Meisterschaft in Pforzheim hatte Tscherter zuvor das wichtige 3:0 gegen Phönix erzielt. „Wohl niemals hat eine KFV-Mannschaft besser gespielt als in diesem Spiel’, schrieb damals die KFV-Chronik. 

(Fast) für die Ewigkeit: Seinen persönlichen Lorbeerkranz zur Meisterschaft mit schwarz-rotem Bändel bewahrte seine Tochter Lore Matz noch 90 Jahre lang, bis 2000 auf, dann soll er laut Skrentny zerfallen sein.

Der Autor traf den Enkel des Ausnahmestürmers, Bernd Matz, zu einem Mini-Interview. Matz erlebte seinen Opa noch 14 Jahre – und ist heute Mitglied im Ehrenrat des „KFV-Erzfeindes“ KSC.

Herr Matz: Stimmt es, dass Fritz Tscherter von seinem Verein nicht geehrt wurde?

„Das ist richtig, hatte aber gewichtige Gründe: Mein Opa hatte schwere Herzprobleme, seine Frau verbat ihm, zu den Ehrungen zu gehen. Das hat ihn immer sehr aufgeregt, es bestand Lebensgefahr! Andererseits hat sich zumindest meine Mutter oft über fehlende Würdigung von Seiten des KFV beklagt. ,Dabei hat er doch die Flanken geschlagen, damit Hirsch und Fuchs und Förderer die Tore machen konnten!’, hatte sie dann gesagt.“

Die Kicker der Kaiserzeit waren allesamt Amateure – was hatte ihr Opa denn gearbeitet?

„Er war Prokurist und Geschäftsführer bei der Winschmann GmbH, Kohlegroß- und Kleinhandel in der Stephanienstraße (er hat übrigens auch in der Stephanienstraße 94 gewohnt). Das war von Vorteil: Später soll er z.B. den verfolgten und geschassten Julius Hirsch gratis mit Brennmaterial versorgt haben.“

Auch mit dem von den Nazis aus dem Land vertriebenen Gottfried Fuchs pflegte Tscherter eine lebenslange Freundschaft. Laut Autor Skrentny revanchierte sich der KFV-Torjäger mit Hilfspaketen aus dem Asyl in Kanada – 1959 traf man sich in Karlsruhe wieder.

Fritz Tscherter soll immer sehr viel auf sein Äußeres gelegt haben …

„Mein Opa war ein gepflegter Mann, sehr eitel, immer im Anzug und mit gestärktem Kragen. Der Homburger auf dem Kopf wurde sein Markenzeichen. Vor jedem Ausflug hatten wir ein Ritual: Ich erinnere mich, dass er mir immer die Fingernägel kontrolliert, den Scheitel gezogen und meinen nicht vorhandenen Schnurrbart gekämmt hat – er hatte ja einen Bart!“

Wie darf man sich dann einen Spaziergang mit Opa, dem Fußball-Star, vorstellen?

„Für mich als Jungen waren die Spaziergänge durch die Stadt immer aufregend: Alle paar Minuten hat ihn jemand gegrüßt. Als ihn einmal ein Straßenbahnfahrer spätabends in der Bahn erkannt hat (da war ich natürlich nicht dabei), hat er extra die Route geändert und ihn fast bis vors Haus gefahren! Ich weiß auch noch, dass er beim Vorbeigehen am ,Café Endle’ immer mit seinem Brillant-Ring an die Scheibe geklopft und als Charmeur alter Schule die Damen begrüßt hat!“

Wo konnte man Fritz Tscherter in Karlsruhe antreffen?

„Er war bei jedem Stammtisch im ,Kaffee Visel’ in der Moltkestraße 81 und natürlich im ,Moninger’. Der KFV hatte seinen Tisch ganz hinten. Für mich war es eine ganz große Ehre, da dabei zu sein – zwischen all den Fußballstars.“

Wie fast jeder Fußballer jener Tage war auch Tscherter ein begeisterter Leser der Fachpresse, vor allem der „Süddeutschen Sportzeitung“. Bei Enkel Bernd Matz haben sich die gebundenen Ausgaben der Zeitung erhalten – sein Opa hatte wichtige Passagen gerne farbig unterstrichen. Beim Spielbericht über das legendäre 2:1 über Phönix 1910 hatte er die These des Journalisten markiert, dass der Ball manipuliert gewesen sein soll. Ob Fritz Tscherter deshalb mehr über die „Legende von den zwei Blasen“ wusste, kann allerdings nur vermutet werden.

Man kann es nicht glauben, aber ihr Opa, der Deutsche Fußball-Meister, hat Ihnen das Fußballspielen verboten!

 „Das ist richtig. Erst nach seinem Tod im Juli 1963 – er starb leider viel zu früh – habe ich angefangen zu kicken. Mein Opa hat die Idee des Profifußballs nie verstanden und auch den Start der Bundesliga im August 1963 nicht mehr erlebt. Für ihn stand beim Fußball allein die Kameradschaft im Mittelpunkt und keine geschäftlichen Interessen.“

Auf dem Platz fiel der Rechtsaußen vor allem durch einen Trick auf, der heute zum Standardprogramm jedes Hobbykickers gehört, damals aber eine Sensation war: Das Vorbeilegen des Balles z.B. links am Gegner bei gleichzeitigem Umlaufen rechts. Laut Medienberichten soll Tscherter die Kunst des „Umschweifens’ – so wurde die Technik damals genannt – perfektioniert haben. Bei den „Schwarzroten“ war er zudem für fast alle Eckbälle zuständig – beim 9:1-Kantersieg gegen Mannheim 1912 erzielte er sogar ein Tor durch eine direkt verwandelte Ecke. Im berühmten KFV-Team, das 1910-1912 Süddeutscher Meister, 1910 Deutscher Meister und 1912 Deutscher Vizemeister wurde, spielte Tscherter noch bis 1922.

Kurios: In den meisten Matches der Schwarzroten war Fritz Tscherter generell als einer der ersten Spieler am Ball. Warum? Beim Anstoß legten damals die Halbstürmer praktisch aller Teams auf den Mittelläufer (beim KFV war das Koloss Max Breunig) zurück, der dann „mit einem Riesenschlag“ eben Rechtsaußen Tscherter „schickte“. Was passiert wäre, wenn Geppert 1908 Fritz Tscherter bei der Alemannia aufgenommen hätte, ist natürlich spekulativ. Sicher ist aber: Nach der Fusion 1912 wären der Rechtsaußen und seine kongenialer Kollege Förderer beim KFV-Erzfeind Phönix-Alemannia Karlsruhe gelandet.

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