Biografie: Ivo Schricker – der Fußball-Diplomat

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Ivo Schricker

März 1877 in Straßburg – 10. Januar 1962 in Zürich

von Bernd M. Beyer

Als Ivo Schricker 1962 starb, rühmte ihn die FIFA in einem Nachruf als „Gentleman des Fußballs“. Dieses Attribut hatte ihn sein Leben lang begleitet. Bereits als junger Spieler galt er als ein Vertreter äußerster Fairness; ihm eilte der Ruf voraus, seine Gegenspieler niemals „körperlich zu insultieren“. Noch heute schwärmen Fußballhistoriker von Schrickers „elegant-körperloser Spielweise“. Als Funktionär wirkte er ebenso gewandt, geräuschlos und effektiv, meist im Hintergrund. Bis heute ist er der einzige Deutsche, der in der FIFA eine nennenswerte – und positive – Rolle spielte.

Der Sohn eines Geheimrats, 1877 im damals zum Deutschen Reich gehörenden Straßburg geboren, lernte als 17-Jähriger das Fußballspiel kennen. Später erzählte er darüber: „Eines Tages tauchte Walther Bensemann in Straßburg auf und kündigte an, dass er am Nachmittag jedermann kostenlos das neue weltumspannende englische Spiel ‚Association-Fußball’ vorführe. Unter den etwa 60 neugierigen Spielern war auch ich. Bensemann erklärte die wichtigsten Regeln, teilte den ganzen Haufen in zwei 30 kopfstarke Teile und los ging’s. So lernte ich Fußball spielen.“

Den jungen Schricker und den nur vier Jahre älteren Pionier Bensemann verband bald eine enge Freundschaft, die ein Leben lang halten sollte. Bensemann erkannte das Talent des Straßburger Abiturienten, holte ihn zu den „Karlsruher Kickers“ und nahm ihn 1898 mit nach Paris zu den umstrittenen Spielen gegen französische Mannschaften. Im November 1899 fungierte Schricker als Mannschaftskapitän in den Urländerspielen gegen England; ebenso stand er an der Spitze des deutschen Teams, das zwei Jahre später zu einem Gegenbesuch in England antrat. Schricker, der auch als ausgezeichneter Leichtathlet galt, war seinerzeit in mehreren Vereinen aktiv: In Straßburg gründete er 1899 den ersten Hochschul-Sportverein Süddeutschlands (den späteren USC Heidelberg), in seinem Studienort Berlin kickte er für den Akademischen Sportclub.

Kopf und Seele des Karlsruher Spiels

Nach seinem Jura-Studium, das er mit der Promotion beendete, schloss sich Ivo Schricker dem Karlsruher FV an. Bis 1906 spielte er dort und galt auf der zentralen Position des Mittelläufers als erste Wahl in Deutschland: Kopf und Seele, sportlicher wie geistiger Mittelpunkt des Karlsruher Spiels sei er gewesen, so heißt es in den Chroniken. Mehrfach wurde er mit dem KFV Süddeutscher Meister, und 1905 führte er seine Elf als Kapitän ins Finale um die Deutsche Meisterschaft. Dass Schricker nicht Nationalspieler wurde, lag wohl nur daran, dass 1908, dem Jahr des ersten „offiziellen“ DFB-Länderspiels, seine Karriere bereits beendet war. Und dass der intelligente Spielregisseur nicht als Netzer-Vorläufer in die deutschen Fußball-Annalen einging, hing wohl in erster Linie mit den seinerzeit noch arg unterentwickelten medialen Strukturen im Sport zusammen.

Acht Jahre lang, von 1906 bis 1914, ging Schricker als Direktor für eine Berliner Bank nach Ägypten, wo er sich in Kairo und Alexandria auch sportlich betätigte. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs kehrte er nach Karlsruhe zurück und engagierte sich wieder im KFV, unter anderem als Spielausschussvorsitzender (1926-30). Doch seine sportpolitischen Ambitionen gingen deutlich über die Vereinsebene hinaus. 1923 wurde er Vorsitzender des Süddeutschen Verbandes und sorgte in diesem Amt dafür, dass die Sportzeitung „Kicker“, die Walther Bensemann inzwischen gegründet hatte, zum Zentralorgan des Verbandes wurde. Dieser Kunstgriff, der dem darbenden „Kicker“ neue Leser bescherte, half nicht nur einem alten Freund aus finanziellen Nöten, sondern erhob auch die umstrittene politische Ausrichtung des „Kicker“ quasi zur verbandsoffiziellen Linie: Sport als Instrument der Völkerverständigung im zerrissenen Nachkriegseuropa.

Als die FIFA in Karlsruhe residierte

Auch als Schricker 1927 ins DFB-Präsidium einzog, sah er seine Ambitionen auf dem internationalen Parkett. Noch im gleichen Jahr wurde er zum Vizepräsidenten der FIFA gewählt. Und als der Weltverband 1931 in eine Krise taumelte, weil sein ehrenamtlicher Schatzmeister, der belgische Bankier Hirschman, mit fragwürdigen Spekulationsgeschäften sich selbst und die FIFA ruiniert hatte, da bestimmte man den als überaus korrekt bekannten Schricker zum Sanierer. Für einige Monate hieß die Postadresse des Weltverbandes Belfortstraße 3 in Karlsruhe, bevor die FIFA-Zentrale zwei bescheidene Büroräume in Zürich bezog und sich mit Schricker erstmals einen bezahlten Generalsekretär leistete.

Der sprachkundige Elsässer verstand sich in erster Linie als Diplomat, der der langen Regentschaft des FIFA-Präsidenten Jules Rimet eine kosmopolitane Note verlieh. Er bemühte sich, die mürrischen lateinamerikanischen Verbände, die sich in der FIFA chronisch unterrepräsentiert fühlten, auszusöhnen, indem er mit ihnen auf Spanisch korrespondierte. Er versuchte, die junge Sowjetunion in die FIFA zu locken. Und er wehrte sich, leise, aber beharrlich, gegen die Versuche der Nazi-Sportfunktionäre, die FIFA stärker unter ihre Kontrolle zu bringen. Etwaige Zweifel über die braunen Absichten dürfte auch der Fall seines jüdischen Freundes Bensemann beseitigt haben: Den vertrieben die Nazis 1933 aus dem „Kicker“; Schricker nahm den Exilanten für einige Monate in seiner Züricher Wohnung auf.

Den Zweiten Weltkrieg verdammte Schricker in einem FIFA-Rundschreiben als Bruch mit den sportlichen Idealen „Pazifismus, Solidarität, Freundschaft zwischen den Völkern“ – Formulierungen, die den Protest des faschistischen FIFA-Vizepräsidenten Mauro aus Italien provozierten. Zusammen mit dem Deutschen Peco Bauwens (dem späteren Nachkriegs-DFB-Präsidenten) wurde Mauro in den Kriegsjahren zu Schrickers Gegenspieler. Der Generalsekretär in der neutralen Enklave Schweiz war weitgehend auf sich allein gestellt: FIFA-Kongresse konnten nicht mehr stattfinden, die Zahlungen der meisten Mitgliedsverbände wurden eingestellt. Schricker, der beharrlich auf der politischen Unabhängigkeit des Sports insistierte, spielte erfolgreich auf Zeit.

So überstand er Nationalsozialismus und Weltkrieg, blieb Generalsekretär der FIFA und bemühte sich von Zürich aus, die Rückkehr von Nazis in den deutschen Sport zu verhindern. Insbesondere warnte er vor Guido von Mengden, der als westdeutscher Fußballfunktionär schon vor 1933 gegen den jüdischstämmigen „Kicker“-Herausgeber Walther Bensemann antisemitische Tiraden losgelassen hatte und im NS-Regime zu einem der einflussreichsten Sportfunktionäre aufgestiegen war. Der sonst so diplomatisch-zurückhaltende Ivo Schricker warnte vor ihm in drastischen Worten: Von Mengden sei „der übelste Nazi-Vertreter“, „höchst unsympathisch“ und „ein übler Bursche“. Eine vergebliche Warnung – von Mengden stieg in der Bundesrepublik zum Hauptgeschäftsführer des Deutschen Sportbundes und zum Generalsekretär des Nationalen Olympischen Komitees auf.

„Pro memoria“ –  das internationale Jugendturnier

Als Ivo Schricker Ende 1950 als FIFA-Generalsekretär zurücktrat, hatte sich der Verband auf allen Ebenen wieder konsolidiert. Die Länder des Ostblocks waren in die FIFA integriert, die Südamerikaner richteten (in Brasilien) die erste Nachkriegs-Weltmeisterschaft aus, und der ökonomische Gewinn aus diesem Turnier – einige zehntausend Schweizer Franken – veranlassten den scheidenden Funktionär zu dem Jubelruf: „Wir sind reich.“

1934, nach Bensemanns Tod, hatte Schricker maßgeblich dafür gesorgt, dass ein internationales Jugendturnier das Andenken des Freundes bewahren half. Ab 1937 fand dieses Turnier jährlich in der Schweiz und in Frankreich statt, bis der Krieg dieser Idee ein vorläufiges Ende versetzte. 1946 wurde die Veranstaltung neu belebt, zunächst in Zürich, ab 1951 dann im Wechsel zwischen Karlsruhe und Straßburg als Austragungsorten. Ivo Schricker fungierte seit 1937 bei jedem Turnier als Vorsitzender des Austragungskomitees. Als er selbst 1962 starb, erweiterte man das Anliegen dieses Turniers „pro memoria Walther Bensemann / Dr. Ivo Schricker“ und vereinte damit die Erinnerung an die beiden befreundeten und gleichen Idealen anhängenden Pioniere.

Ivo Schrickers ein Jahr jüngerer Bruder, Erwin Schricker (1878- 20.10.1914) stand 1905 wie sein Bruder für den KFV im Endspiel um die deutsche Meisterschaft. Er fiel im ersten Weltkrieg als Vizewachtmeister in Chauny, Nordfrankreich.

Feier zum 80. Geburtstag von Ivo Schricker im Kreis vieler KFV-Freunde: Altspieler Otto Raupp, Fischer, der ehemalige KFV-Vorsitzende Albiez, Göring, Walter Finneisen, Dr. Meyer, Meisterspieler Tscherter, Altnationalspieler Lorenz Huber, Willi Siccard, Gort, Alfred Reeb. Davor KFV-Gründungsmitglied Wilhelm Langer, Dr. Ivo Schricker und Wilhelm Häfner. Quelle: Stadtarchiv Karlsruhe.
Ivo Schricker. Quelle: KFV-Archiv.

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