Biografie: Gottfried Fuchs aka Godfrey E. Fochs und sein Länderspiel-Tor-Rekord

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von Werner Skrentny

Als Gottfried Fuchs, bis auf den heutigen Tag Rekord-Torschütze der deutschen Nationalmannschaft mit zehn Treffern (!) in einem Länderspiel, am 25. Februar 1972 im Alter von 83 Jahren als Godfrey E. Fochs im kanadischen Exil in Westmount verstarb, zeigte die Monopol-Zeitung seiner früheren Heimatstadt Karlsruhe, die „Badischen Neuesten Nachrichten“, seinen Tod mit einer kurzen, einspaltigen, in einen Kasten gesetzten Notiz an. „Politische Ereignisse zwangen ihn dazu, seine Heimat zu verlassen“, hieß es nebulös.

Die Tatsache: Der Mittelstürmer Fuchs war mit seiner Familie als Jude 1937 aus Deutschland geflüchtet. Zum Karlsruher FV ist er nach Ende der Diktatur trotz mehrmaliger Aufenthalte im ehemaligen Heimatland nie zurück gekehrt – „weil sie den „Juller“ Hirsch ermordet haben.“

Fuchs’ einzige Schwester Senta, geboren 1888 in Karlsruhe, wurde 1943 mit ihrem Ehemann Dr. Hugo Bernd, einem Facharzt, aus Koblenz in das KZ Auschwitz deportiert und umgebracht. Die Tante Selma Fuchs aus Konstanz ist ebenfalls in Auschwitz getötet worden. Cousin Philipp Fuchs erschoss sich nach der Pogromnacht am 10. November 1938 in seiner Karlsruher Wohnung, als die ein Rollkommando stürmen wollte. Zahlreiche weitere Verwandte des Fußball-Nationalspielers wurden in der NS-Zeit ermordet.

Bekannten und Sportfreunden wie Fritz Tscherter aus der KFV-Meisterelf von 1910 ließ Fuchs nach Kriegsende Hilfe zukommen, so in Form von Lebensmittel-Paketen aus Übersee.

Ein unzutreffendes Bild vom Verhältnis KFV / Fuchs zeichnete in der noch jungen Bundesrepublik Deutschland der Sportjournalist Richard Volderauer, der 1960 anlässlich einer Zwischenlandung in New York auf dem Weg zu den Olympischen Winterspielen von Squaw Valley ausführlich mit dem Ex-Nationalspieler telefonierte und in einer KFV-Festschrift das Folgende niederschrieb: „Fuchs ist heute ein Siebziger und hängt natürlich an seiner Heimatstadt Karlsruhe und an dem KFV.“

Volderauer (1889-1963), Mitglied des KFV, nach dem Krieg Redakteur des „Offenburger Tagblatt“, hatte die Glanzzeiten von Fuchs noch miterlebt. 1908 – zwei Jahre darauf wurde der Karlsruher FV Deutscher Fußball-Meister -, begann er seine journalistische Laufbahn als Redaktions-Volontär bei der Tageszeitung „Badische Presse“ und führte dort die montägliche Sport-Beilage ein. Als „Schriftleiter für Sport und Heimatteil“ wird Richard Volderauer 1937 bei der Karlsruher Tageszeitung „Der Führer. Hauptorgan der NSDAP Gau Baden“ genannt.

Ein Kartengruß aus Moskau

Ob nun aufgrund seiner NS-Vergangenheit und einem möglicherweise schlechten Gewissen oder ob jugendlicher Erinnerung: Volderauer stellte 1955 den Kontakt zwischen dem DFB und seinem Rekord-Torjäger her. Der Redakteur schlug vor, anlässlich des ersten Fußball-Länderspiels zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland am 21. August 1955 einen Kartengruß aus Moskau nach Kanada zu schicken. Denn beim 16:0 über die Auswahl des zaristischen Russland 1912 bei den Olympischen Spielen in Stockholm hatte Gottfried Fuchs ja zehn Tore erzielt – wie erwähnt Rekord bis heute. DFB-Präsident Dr. Peco Bauwens äußerte „volles Verständnis“ und tatsächlich ließ Bundestrainer Sepp Herberger die Nationalspieler die Karte nach Westmount unterschreiben.

Herberger: „Hellauf begeistert“

Es war der Auftakt zu einem regen Briefwechsel zwischen Herberger und dem Emigranten, den Bernd M. Beyer, Lektor des Autors vom Verlag Die Werkstatt in Göttingen, im DFB-Archiv in Frankfurt/Main entdeckte. Herberger erinnerte sich 1955: „Ich war noch ein kleiner Schulbub in Mannheim, als ich von ihrer Fußballkunst hörte, und dann sah ich sie selbst in Mannheim spielen (Anm.: Phönix Mannheim – KFV 2:2; beide Karlsruher Tore durch Fuchs). Sie und ihr Spiel waren es, das meine Kameraden und ganz besonders mich hellauf begeisterten.“ Fuchs, ebenso wie Herberger Mittelstürmer, antwortete: „Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr mich ihr natürlicher und herzlicher Brief gefreut hat.“

Die vollständige Korrespondenz der beiden früheren Nationalspieler ist leider nicht erhalten. U. a. berichtet Herberger, bis 1964 Bundestrainer, im Jahr darauf von einem „Kreis der Alten“, der sich wohl um den VfR Mannheim und den SV Waldhof gebildet hatte: „Wenn der Name Gottfried Fuchs fällt, dann lebt die große Zeit des Karlsruher Fußballvereins auf, und immer ist dabei auch von Ihnen die Rede. Sie haben nicht nur als ein Spieler großer Klasse, sondern auch als ein vorbildlicher Sportsmann gegolten.“

Für Letzteres gibt es viele Beispiele. Einen Strafstoß, dessen Verhängung er als ungerecht empfand, versuchte Fuchs nach Rücksprache mit dem Schiedsrichter zu korrigieren. Aus dem Lorbeerkranz, der ihm einmal verliehen wurde, zupfte er die Blätter heraus, um sie an seine Mitspieler zu verteilen. Der Torjäger galt als überaus fair und bescheiden. Um seinen Status als Nationalspieler oder den Torrekord hat er auch im Alter nie irgendein Aufheben gemacht. Nach Karriereende taucht er in der Sportpresse weder als Prominenter noch als Kommentator auf. Fußballspiele hat er nach Auskunft der Tochter Anita Fochs Heller später noch besucht, am neuen Wohnsitz in Berlin und im Exil in Frankreich. „Nach 1933 hat er aber nicht mehr viel geredet über Fußball. Er war deprimiert. Er hatte das verloren, was ihm so viel bedeutete im Leben.“  

In Kanada, alles andere als ein Fußball-Land, hatte man Fuchs’ Tor-Rekord derweil nicht vergessen. Im Juli 1971 führte er mit 82 Jahren beim Freundschaftsspiel FC Santos gegen FC Bologna (1:0) in Montreal den Anstoß aus und unterhielt sich angeregt mit Weltklasse-Mann Pelé aus Brasilien.

Aus dem Briefwechsel Herbergers mit seinem Jugend-Idol resultiert eine Idee: 1972 ist Deutschland erstmals seit 1936 wieder Austragungsort der Olympischen Sommerspiele. Termin für die Eröffnung des neu erbauten Münchner Olympiastadions ist der 24. Mai: Es spielen die Bundesrepublik Deutschland und die Sowjetunion. Dr. jur. Wolfgang Huber (1913-1998), ein namhafter Tennis-Funktionär aus Essen und Geschäftsführer bei Raab Karcher (einem Unternehmen, dessen Wurzeln in Karlsruhe liegen; der Kontakt zwischen den Familien Huber und Fuchs geht weit zurück), regt bei Herberger eine Einladung für den Rekord-Torschützen ins „Aktuelle Sportstudio“ des ZDF an.

Der frühere Reichs- und Bundestrainer an Dr. Huber: „Glauben Sie, dass Gottfried Fuchs – nach allem, was gewesen ist – überhaupt noch ein Interesse an einem Kontakt mit dem deutschen Fußball hat? Und glauben Sie, dass er gegebenenfalls einer solchen Einladung wegen notfalls auch in die eigene Tasche greifen würde? (…) Ich bitte um vertrauliche Behandlung.“

Dr. Wolfgang Huber antwortet: „Fochs ist heute wieder ein vermögender Mann und durchaus in der Lage, seine Reise zu bezahlen. Gerade im Hinblick auf die Frage, dass wir auch hier viel wieder gut zu machen haben, hegt Fochs keinerlei Ressentiments gegen Deutschland und steht absolut wieder wie früher mit uns.“

Der Essener Jurist wäre ggf. bereit, die Reisekosten zu übernehmen – ein Angebot, das durch Gottfried Fuchs’ Tod nicht mehr relevant war (s. unten).

„Wen könnte man denn besser ehren als ihn, der heute noch den Weltrekord als Torschütze in einem olympischen Spiel innehat, und wen besser ehren als ihn, der als Jude, obgleich er große Verdienste um Deutschland hatte (Hohenzollern-Hausorden, wiederholte Tapferkeit vor dem Feind, Erster Weltkrieg) im Dritten Reich so schlecht behandelt wurde.“

Sepp Herberger schlägt dem DFB vor, Godfrey E. Fochs als Ehrengast zum Russland-Länderspiel in München einzuladen. „Eine solche Einladung als ein Versuch der Wiedergutmachung willfahrenen Unrechts würde sicherlich nicht nur im Kreis der Fußballer und Sportler, sondern überall in Deutschland ein gutes Echo finden.“ Nach Kanada schreibt der Fußballlehrer an Fochs: „Halten Sie sich diesen Termin 24. Mai schon einmal frei.“

Das DFB-Präsidium, das u. a. ehemalige NSDAP-Mitglieder bilden, lehnt eine Einladung ab: Es würde ein Präzedenzfall geschaffen, heißt es. Auch aus finanziellen Gründen sei eine Einladung nicht möglich: „Die Haushaltslage ist sehr angespannt.“

Der Flug Montreal – Frankfurt/Main und retour hätte den größten und reichsten Sportverband der Welt damals 1.760 DM gekostet.

„Es ist auf NIEMANDEN mehr Verlass“

Sepp Herberger ist bitter enttäuscht und schreibt am 22. März 1972 an sein einstiges Idol: „Diese Absage ist für mich eine einzige Enttäuschung und ein Anlass, wieder einmal mehr festzustellen, dass (…) auf NIEMANDEN mehr Verlass ist (…) Es tut mir sehr leid, Sie enttäuschen zu müssen.“

Tod nach dem Schneesturm

Godfrey E. Fochs hat von der Absage nie mehr erfahren, denn er stirbt wie eingangs erwähnt am 25. Februar 1972. Er hatte noch Tennis  in der Halle gespielt am Vorabend und war dann, weil Taxen im Schneesturm nicht mehr verkehrten, in Montreal nachts fast sechs Kilometer nachhause gelaufen. Fochs starb in seinem Badezimmer „einen Tod ohne Leiden“. Sepp Herberger erfährt davon erst am 5. Mai.

Gottfried Erik Fuchs wurde 1889 in Karlsruhe geboren. Wie all seine Geschwister erhielt er einen Vornamen aus Richard Wagner-Opern, den Vater Gustav hoch verehrte. Erik, das war der Jäger aus „Der fliegende Holländer.“

Fuchs in der Bildzeitung nach dem 13:0 gegen San Marino im September 2006. Quelle: Werner Skrentny/ KFV-Archiv.
Gottfried Fuchs mit Pele bei einem Freundschaftsspiel des FC Santos (Peles Heimatverein) bei dem Fuchs den Ehrenanstoss ausführte

Die Großeltern waren aus dem Dorf Weingarten bei Karlsruhe in die badische Residenzstadt gezogen. Die Familie verlegte sich überaus erfolgreich auf den Holzhandel, weshalb der Mittelstürmer zeitweise unzutreffend als „Fußball-Millionär“ bezeichnet wurde. Das Fußballspiel hat er womöglich erst in Karlsruhe, danach bei seinem beruflichen Aufenthalt in London kennen gelernt und als er in Düsseldorf seine Ausbildung als Kaufmann komplettierte, wurde er mit dem dortigen FC 99 Westmeister. Dem Team gehörten seinerzeit zur Hälfte Engländer an.

„Der neueingestellte Fuchs“

Dass er sich als Spross der bürgerlichen Oberschicht dem „neuen Sport“ verschrieb, war typisch für jene Anfangsjahre des Fußballs. Den trieben Doktoren, Studenten, Oberschüler und Realschüler voran. „Der neueingestellte Fuchs“, damals 17 Jahre jung, wirkte am 8. April 1907 erstmals beim KFV mit, als Pionier Walther Bensemann den Oxford University Association Football Club aus England nach Karlsruhe verpflichtet hatte.

Dies war ein außerordentliches Ereignis, die 3.000 Zuschauer bedeuteten damals deutschen Besucher-Rekord! Stadt und Fremdenverkehrsamt Karlsruhe übernahmen die Kosten für das Gastspiel, es gab ein umfangreiches Begleitprogramm und auf der eigens errichteten Tribüne nahm auch „seine großherzogliche Hoheit“ Prinz Max von Baden Platz. Oxford gewann 3:0. Unter den Zuschauern dürfte auch der damals 15-jährige KFV-Jugendspieler Julius Hirsch gewesen sein.

„Fußball-Metropole“ Karlsruhe

Die Residenz der badischen Großherzöge galt damals als deutsche „Fußball-Metropole“, ein Ruf, den später die Deutschen Meister Phönix (1909) und KFV (1910) bestätigten. Die „Illustrierte Sportzeitung“ aus München berichtete im KFV-Meisterjahr: „Einige Tausend Einwohner der badischen Residenz verbringen den Sonntag-Nachmittag regelmäßig bei den Fußball-Wettkämpfen. Die Ligameisterschaftsspiele sind zu Ereignissen geworden, welche im öffentlichen Leben der Stadt viel bemerkt werden. Karlsruhe ist die Wiege des deutschen Fußballsports.“  

Den schlanken, schlaksigen Gottfried Fuchs zeichnen Schnelligkeit, Wendigkeit, eine ausgezeichnete fußballerische Technik und Treffsicherheit aus. In seiner Zeit gilt er als einer der herausragenden Mittelstürmer. 1910 wird „Gotti“ bzw. „Gottes“, wie er genannt wurde, mit dem KFV Deutscher Meister, und ein Jahr später als erster Nationalspieler jüdischen Glaubens beim 6:2 gegen die Schweiz (zwei Fuchs-Tore) berufen.  In sechs Länderspielen erzielt er 14 Tore.

Fuchs schießt aus bedrängter Position im Finale des Kronprinzenpokals. Quelle: KFV-Archiv.

1912 gewinnt Süddeutschland in Berlin mit 6:5 gegen Brandenburg (KFV-Beitrag: 3 Tore Hirsch, 2 Fuchs) den Kronprinzenpokal. Das ist der bedeutendste Länder-Wettbewerb für Verbandsmannschaften, seit 1909 ausgespielt. Ab 1919 heißt er Bundespokal, danach Reichsbund-Pokal und schließlich DFB-Länderpokal (für Amateure). In der süddeutschen Siegerelf von 1912 stehen neben Hirsch und Fuchs mit Ernst Hollstein, Franz Burger, Max „Mäxle“ Breunig,  Wilhelm Gros, Frieder „Fridder“ Förderer (alle KFV) und Wegele (Phönix) weitere Karlsruher. 

Im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft unterliegt der KFV 1912 dem Gegner vom Finale 1910, Holstein Kiel, 0:1 – auch, weil Mittelstürmer Fuchs durch eine Knieverletzung gehandikapt ist.

Seine Sternstunde erlebt er dann, bestimmt auch wegen der Zuspiele seines KFV-Mannschafts-Kameraden Förderer, wie erwähnt bei den Olympischen Spielen 1912 in Stockholm: Zehn Tore beim 16:0 gegen das zaristische Russland. Dies bedeutet Weltrekord, gemeinsam mit Sofus Nielsen, der 1908 ebenfalls beim olympischen Fußball-Turnier für Dänemark beim 17:1 gegen Frankreich zehnmal traf. Übertroffen wird die Rekord-Marke erst 2001, als Archie Thompson im WM-Qualifikationsspiel Australien gegen Amerikanisch-Samoa beim 31:0 13 Tore erzielte.

Im Krieg: „besondere Tapferkeit“

Mit Kriegsbeginn 1914 meldet sich Gottfried Fuchs als Freiwilliger und kämpft bis zu einer schweren Verwundung im März 1918 durch einen Schrapnellschuss in den linken Arm durchgehend an der Westfront. Als Leutnant der Reserve verlässt er den Militärdienst. Mehrfach ausgezeichnet, dürfte er der höchstdekorierte Kriegsteilnehmer der DFB-Nationalmannschaft sowohl im 1. Als auch im 2. Weltkrieg gewesen sein, erhielt er doch auch das „Kreuz der Ritter des Königlichen Hausordens von Hohenzollern mit Schwertern“, das 8.921mal vergeben wurde. Abteilungs- und Regiments-Kommandeur beschreiben Gottfried Fuchs als „tüchtigen, schneidigen Offizier, im Kameradenkreis sehr gern gesehen und sehr beliebt“. Hervor gehoben wird seine „besondere Tapferkeit“. 

Der Leutnant Fuchs kämpft an der Westfront auch gegen Engländer, in deren Land er ehemals gelebt und mit deren Fußballern er in einer Mannschaft gespielt hatte. Später wird er vom Lebensstil her als anglophil gelten; u. a. ordert er Anzüge aus London. Wie er, der aus einem eindeutig deutschnationalen Elternhaus stammte, diesen Krieg und seinen Einsatz empfunden hat, darüber kann mangels Zeugnissen nichts berichtet werden.

Nachdem er am 30. November 1918 aus dem Heer entlassen wird (die Monarchie stürzt am 9. November),  spielt Gottfried Fuchs wieder für den KFV. Doch haben der Beruf und die Firma H. Fuchs und Söhne schließlich Vorrang. Nach der Heirat mit der jüdischen Architektin Eugenia Steinberg aus Warschau werden 1924 im Feriendomizil im heutigen Bad Herrenalb die Zwillinge Jan und Yvonne geboren. Die Familie kauft die Villa in der heutigen Reinhold-Frank-Str. 54 in Karlsruhe, wo 1926 Tochter Anita zur Welt kommt. 1929 erfolgt die Umsiedlung des inzwischen auch international tätigen Kaufmanns in die Berliner „Villencolonie Nikolassee“, wo Tochter Natalie geboren wird. Als begeisterter Tennisspieler engagiert sich Fuchs im dortigen Klub, er übernimmt auch Funktionen, bis der Verein 1935 seine jüdischen Mitglieder ausschließt. Nebenbei: Einstmals hatte Fuchs, vermutlich aufgrund seiner Erfahrungen in England, das Cricketspiel nach Karlsruhe gebracht.

Antisemitismus hatte Fuchs noch in Karlsruhe erfahren, als 1926 die Gedenktafel an der Synagoge für die jüdischen Weltkriegs-Toten mit Teer besudelt wurde. Nicht mehr lesbar war auch der Name seines Cousins Erich Fuchs, der 1917 als Kriegsfreiwilliger im Alter von 19 Jahren ums Leben kam.

In der Reichshauptstadt Berlin, dem neuen Wohnsitz, erlebt er die Machtübernahme der NSDAP, den sog. Judenboykott am 1. April 1933, die Nürnberger Gesetze von 1935. Die polizeiliche Abmeldung der Familie Fuchs aus Berlin datiert vom 30. Dezember 1937. Die Kinder, die im Alltag bereits Schikanen erfahren haben, glauben an einen Urlaub in Engelberg in der Zentralschweiz. Tatsächlich hat das Ehepaar beschlossen, zu emigrieren: „Als Jude hat Gottfried Fuchs nach Erlass der Nürnberger Gesetze klar die Entwicklung für sich und seine Familie erkannt. Es lagen eine große Anzahl von Ereignissen im Leben der Familie Fuchs schon zu jener Zeit vor, die ihn bestimmten Deutschland zu verlassen“ (1952).

Kein Exil in der Schweiz

Die Schweiz allerdings gewährt kein Exil. Unterlagen dazu sind in den dort zuständigen Archiven heute unerklärlicherweise nicht mehr aufzufinden. Im Oktober 1938 muss die Familie das Land verlassen.

Da die Vorfahren von Fuchs’ Mutter Sarah aus dem Elsass stammen, bemüht sich der Geschäftsmann um die französische Staatsbürgerschaft – vergebens. Im Zürcher US-Konsulat erhält er die Visa für die Einreise in die USA, doch wollen die Kinder nicht dorthin.

Abschied von „Juller“ Hirsch

Man lässt sich in Paris nieder, wo Gottfried Fuchs letztmals seinen früheren Mannschaftskameraden Julius Hirsch trifft. Er schrieb über die Begegnung 1966 an Sepp Herberger: „Die Hitlerzeit ganz zu vergessen ist für diejenigen, die unter ihr geduldet und gelitten haben, nicht einfach. Ich komme nicht darüber hinweg, wie ich im Jahre 1939 (Anm.: zutreffend ist 1938), kurz vor dem Ausbruch des Krieges, dem lieben Juller Hirsch in Paris mit Wehmut im Herzen zum letzten Male die Hand zum Abschied drückte, als er zu seiner Familie nach Karlsruhe zurückzukehren sich entschloss.“

Nach dem Angriff Deutschlands 1940 auf Belgien, die Niederlande, Luxemburg und Frankreich wird Fuchs in Paris als „feindlicher Ausländer“ interniert, denn er besitzt nach wie vor die deutsche Staatsbürgerschaft.

Ob Gottfried Fuchs im Exil noch von dem „kicker“-Sammelbilder-Album „Die deutschen Nationalspieler“ erfahren hat, das 1939 veröffentlicht wurde? (vergleichbar mit den „Panini“-Alben). Es fehlen darin drei Fotos und die entsprechenden Biografien. Ein Nationalspieler wurde durch ein Versehen vergessen, Gottfried Fuchs und Julius Hirsch aber werden aus rassistischen Gründen nicht gewürdigt. Bei der Neuauflage dieses Albums 1988 durch das Kölner Sport-Antiquariat Strauß war zwar „der Führer“ auf zwei Bildseiten nicht mehr großflächig abgebildet, wohl aber fehlten nach wie vor die beiden Karlsruher Internationalen.

Die Rettung für die Familie Fuchs bedeutete das Visa für Kanada, das dessen Generalkonsul Georges Vanier in Paris ausstellt. Es ist die Ausnahme, denn von 1938 bis 1945 nimmt Kanada lediglich 5.000 jüdische Flüchtlinge auf. Die deutsche Wehrmacht steht bereits in Frankreich, als Gottfried und Ehefrau „Genia“ mit den vier Kindern und der greisen Mutter Sarah Fuchs das Land in St. Malo in der Normandie verlassen. Sarah (1863-1941) wird in Kanada sterben. In London sieht Gottfried seine Brüder Walther und Siegmund wieder. Richard, der Architekt, ein weiterer Bruder, ist nach Neuseeland entkommen.

1941 teilt die Gestapo dem Finanzamt Berlin-Moabit mit: „Die Vermögenswerte des Juden Gottfried Israel Fuchs (Anm.: siehe oben, der Vorname Erik aus der Wagner-Oper entfiel) sind im Zuge der beabsichtigten Ausbürgerung durch die Staatspolizeistelle Berlin sichergestellt worden.“    

Weil der Name Fuchs englisch ausgesprochen unangenehm klingt, heißt der Emigrant fortan Godfrey E. Fochs. Aufgrund des Antisemitismus im neuen Heimatland kann er nicht mehr in der Holzbranche tätig sein. Er arbeitet jetzt im Textilgeschäft. Die Familie lässt sich wie erwähnt schließlich in Westmount, Montreal, nieder. Dort, bei den öffentlichen Tennisplätzen, befindet sich an einem Baum eine kleine, von Tochter Anita angebrachte Plakette, denn Fochs war dort oft aktiv. Der Mount Royal Tennis Club of Montreal wollte den Juden damals nicht aufnehmen.

Die Gräber der Karlsruher

Ihre letzte Ruhestätte haben „Godfrey Eric Fochs (Gottfried Fuchs)“, so die Inschrift auf dem Grabstein, und „Eugenie Fochs (Fuchs)“, verstorben 1965, auf dem Baron de Hirsch Cemetery von Montreal gefunden. Unweit davon, in einer anderen Abteilung des Jüdischen Friedhofs, befindet sich das Grab von Max Hirsch, dem Bruder von Fuchs’ ehemaligen Mitspieler Julius. Er war 1948 nach Kanada emigriert. Doch haben sich die beiden, aus Karlsruhe stammenden Familien Fuchs und Hirsch in Montreal nie kennen gelernt – ein Beweis für die Wirren jener Zeit, obwohl inzwischen eine Reihe möglicher Berührungspunkte über die Nachfahren ausgemacht wurde. 

Dass der Kontakt zwischen den Familien Fuchs/Fochs aus Kanada und Hirsch aus Karlsruhe wieder zustande kam, war Danny Mulheron aus Neuseeland zu danken. Der Filmemacher drehte mit seiner Frau Sara Stretton zu seinem Großvater Richard Fuchs, inzwischen auch als Komponist u. a. in Karlsruhe gewürdigt, 2008 die Dokumentation „The Third Richard“. Er filmte dabei u. a. auch im Haus Beiertheimer Allee 42 a, dem letzten Bauwerk, das Richard Fuchs in Karlsruhe konzipiert hatte. Entworfen hatte Richard Fuchs 1928 auch die Synagoge von Gernsbach im Murgtal, die zehn Jahre später durch Brandstifter der SA vernichtet wurde (s. a.: www.richardfuchs.org.nz). Die zweimaligen Besuche des Autors in Kanada bei der Familie Fochs halfen, die Verbindung nach Karlsruhe zu intensivieren.

Die Nazi-Diktatur, von Millionen Deutscher befürwortet, hatte zahlreiche Mitglieder der Familie Fuchs in viele Exilländer gezwungen –  aber nicht auseinander gebracht. Das war zuletzt in Haarlem in den Niederlanden zu erleben, als sich im Juli 2015 etwa 100 Mitglieder der Familie zur dritten „Fuchs Family Reunion“ trafen – darunter zahlreiche Jüngere. Hinter der weißen Fahne mit dem darauf gemalten Fuchs pilgerten sie durch die Haarlemer Altstadt, zur Kanalfahrt, entdeckten „junge Matjes“ auf dem Markt und lauschten dem Konzert mit Kompositionen von Gottfrieds Bruder Richard. Sie kamen aus vielen Ländern: USA und Kanada und Großbritannien, der Schweiz, den Niederlanden und Neuseeland. Das erste Treffen der Familie hatte 2009 in Karlsruhe stattgefunden, ein weiteres 2012 in Esterel, Kanada, in einem Resort-Hotel am See.

Als der Gottfried-Fuchs-Platz am 20. Juni 2013 im Beisein von Karlsruhes Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup und des früheren DFB-Präsidenten Dr. Theo Zwanziger mit einem würdigen Festakt eingeweiht wurde, war auch Tochter Natalie Fochs Issacs mit weiteren Verwandten vor Ort. Die Kanadierin sprach in deutsch, fließend; nur die Aussprache des Worts „Oberbürgermeister“ fiel ihr schwer…

Der „Jugendpreis Gottfried Fuchs“

Im Jahr 2017 werden die drei Fußballverbände von Baden-Württemberg – der Badische Fußball-Verband, der Südbadische Fußball-Verband und der Württembergische Fußball-Verband – erstmals den „Jugendpreis Gottfried Fuchs“ verleihen. Damit wird der Einsatz „für Menschlichkeit und Toleranz, gegen Rassismus und Antisemitismus“ von Vereinen, Abteilungen oder einzelnen Mannschaften gewürdigt. Der mit insgesamt 10.500 Euro dotierte und in Abstimmung mit den Nachkommen von Godfrey E. Fochs geschaffene Preis wird alle zwei Jahre vergeben. Er geht zurück auf eine Initiative von Dr. h. c. Alfred Sengle (1934-2015), WFV-Ehrenpräsident, ehemals DFB-Vizepräsident und Rottweiler Landgerichts-Präsident a. D..

Dieser Preis wird der Person und dem Sportsmann Gottfried Fuchs gerecht.

Wie bedauerlich, dass er dies nicht mehr erleben durfte.

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