Am 5. März 1944 trug der KFV sein letztes Pflichtspiel im Deutschen Reich aus. Am 4. April 1945 wird Karlsruhe von Franzosen besetzt. Später wird Karlsruhe der amerikanischen Besatzungszone zugeteilt. Schon früh nach Kriegsende begannen Parteien, Verbände und Vereine sich neuzuformieren. Nach der ersten Mitgliederversammlung, genehmigt die amerikanische Militärregierung am 20. Dezember 1945 das vorgelegte Gründungsprotokoll des KFV.
von Werner Skrentny
Dieser Beitrag von Werner Skrentny erschien 1993 in dem von ihm herausgegebenen Buch: „Als Morlock noch den Mondschein traf. Die Geschichte der Oberliga Süd 1945-1963“ im Klartext-Verlag Essen. Das vergriffene Buch wurde 2001 im AGON Sportverlag Kassel neu aufgelegt (Bestell-Nr. ISBN 3-89784-175-4).
Es ist ein Montagmittag und worüber reden die älteren Herren, die im familiären Lokal „Valentin“ an der Karlsruher Kaiserallee beisammen sitzen? Natürlich, über Fußball; es ist ja Montag. Ihr Verein, der Karlsruher FV (…) hat auch gewonnen, beim Oberliga-Absteiger VfB Leimen, ein guter Einstand für den neuen Trainer Rudi Wimmer, den Ex-Torhüter vom KSC.
Das Bild der Meisterelf von anno 1910 schmückt noch das Vereinsheim beim KFV-Platz an der Telegraphenkaserne an der Hertzstraße im Nordwesten der Stadt, wo das stattliche Stadion noch von einstiger Größe kündet. Zwar hat die Stadt einige der Stehplatzstufen für den Straßenausbau „kassiert“, doch fasst der 1905 eröffnete KFV-Platz noch immer 12.000 bis 15.000 Besucher; es kommen allerdings zu den Punktspielen nur noch 200 bis 300, und im Verein ist man realistisch genug, die Zukunft einzuschätzen: „Solange die Anderen im Licht stehen, sind wir im Schatten.“ Und die Anderen, das ist der KSC, der Bundesligist.
Als die Oberliga Süd 1945 gegründet wurde, stand außer Frage, dass auch der Karlsruher „Fußball-Adel“ teilnehmen durfte: Der KFV und der FC Phönix, 1909 Deutscher Meister – obwohl rückblickend nicht wenige meinen, dass der Vorstadtverein VfB Mühlburg „damals spielerisch mindestens ebenbürtig, wenn nicht sogar besser war.“
Am Ende der ersten Oberliga-Runde 1945-46 war der Karlsruher FV Letzter und „der Phönix“ war Vorletzter. Sportlich war man gescheitert, doch der Einfluss von ehemals hatte Bestand und so vermehrte sich die Oberliga 1946-47 wundersamerweise auf 20 Klubs, inklusive der beiden Karlsruher Verein, die eigentlich schon abgestiegen waren. Aber sehr viel besser wurde es auch nicht und so war dann 1947 Phönix Letzter und der KFV Vorletzter.
Also Ursachenforschung und zurück ins „Valentin“, zu Hans Helmel (geb. 1920, seit 1931 Mitglied im KFV), in den ersten Nachkriegsjahren Geschäftsführer des Vereins, zu Kurt Ehrmann (geb. 1922), 1951 letzter A-Nationalspieler des Klubs, Stammverein Frankonia Karlsruhe, 1946 direkt aus der Gefangenschaft in die Oberligaelf gekommen – und gleich 0:9 im Heimspiel gegen die Eintracht aus Frankfurt verloren. Linksaußen Ehrmann hat später auch einmal ein Oberligajahr bei den Mühlburgern verbracht, war dann wieder KFVler, 1952 dreimal in der Amateurnationalelf und auch bei den Olympischen Spielen von Helsinki und 1951 im Endspiel um die Deutsche Amateur-Meisterschaft, in dem die Badener mit 2:3 gegen Bremen 1860 (mit Willy Schröder) unterlagen, übrigens vor 70.000 Zuschauern in Berlin, denn traditionell war dieses Match das Vorspiel zum Vertragsspieler-Finale.
Ach ja, die Niederlagen: Zwar schlug man 1945 den Nürnberger Club am 6. Spieltag vor 6.000 nach Treffern von Weber (3) und Ahl 4:1, aber sonst? 0:9 daheim gegen Schweinfurt, 2:10 in Offenbach, 0:13 bei 1860.
„Ach was, 0:13!“, fährt da einer der KFV-Veteranen am Tisch dazwischen, „schließlich hatten wir auch einen Mittelstürmer, der in der Nationalmannschaft ’mal zehn Tore in einem Spiel gemacht hat und das hat nie wieder einer erreicht.“ Stimmt: Olympische Spiele 1912 in Stockholm, 16:0 gegen Russland, das keine „richtige“ Fußballmannschaft stellte, sondern auf Athleten anderer Disziplinen zurückgriff, und die zehn Tore schoss Gottfried Fuchs vom KFV und vier der Fritz Förderer vom KFV.
Aber das war ja auch 1945 teils schon Geschichte und die raue Fußballwirklichkeit sah anders aus, wie sich Hans Helmel erinnert: „Der KFV und der Phönix, die waren das Armenhaus der Oberliga Süd: Am Rande des Verbandsgebiets, kaum ’was zu essen, wirtschaftlich war auch nichts los.“ Und die jüdischen Mäzene, einst dem Klub sehr verbunden, waren nicht mehr da. So reisten die Schwarz-Roten vom KFV mit Fleischmarken vom Schwarzmarkt und eingewickeltem Fisch zum Auswärtsspiel gen München und machten große Augen, wenn z. B. Schweinfurt 05 nach Spielschluss in Karlsruhe ans Auspacken ging: „Die hatten zwei große Koffer voller Wurstringe mit, soviel haben unsere Spieler in fünf Begegnungen nicht bekommen“, weiß Helmel.
Zudem machte der Traditionsverein einen Fehler, dessen Folgen erst heute so recht bewusst sind. Der Platz an der Telegraphenkaserne war vollkommen zerstört, längs der Außenlinie verlief noch ein Splittergraben aus dem Krieg und auf dem Rasen parkte die US-Army ihre Räumfahrzeuge. Der KFV musste also als Gast im Wildpark beim Phönix spielen, ein Zustand, den Vorsitzender Max Ransenberg und viele andere für inakzeptabel hielten. „Und so haben wir all unsere Kraft und alle unsere Mittel in die Wiederherstellung des Stadions und den Bau eines Vereinsheims investiert“, sagt Helmel, „und für den Sportbetrieb war dann eben kaum noch was da, während die Konkurrenz sich Spieler geholt hat. Ich denke da nur an den damaligen Rekord-Nationalspieler Paul Janes, ein Wochenende für Fortuna Düsseldorf gespielt, das nächste bei Eintracht Frankfurt, Honorar ein Sack Kaffee – das war Wildwest 1945/46.“
Vom KFV-Stamm waren nur sehr wenige Spieler aus dem Krieg zurückgekehrt, ganz im Gegensatz zu Mühlburg, das auf etliche Routiniers zurückgreifen konnte. Natürlich bemühte sich auch der KFV, und so gewann man 1946 vom Phönix den „roten Herberger“, den wegen seiner Haarfarbe so genannten Neffen Johannes vom späteren Bundestrainer Sepp Herberger, holte Albert Janda von 1860 München und den guten Freiburger Mittelstürmer Scherer. Aber der setzte sich mitten in der Runde ab: Zuhause in Südbaden schien das Leben besser zu sein.








Dabei versuchte man alles und der Vorsitzende Max Ransenberg mit dem einen jüdischen Elternteil schaffte es sogar, einen SS-Mann aus dem Internierungslager loszueisen, weil der gut Fußball spielen konnte. Auch am späteren Mannheimer VfR-Torjäger und Deutschen Meister Löttke war man dran, doch der war jung verheiratet, wollte Wohnung und Beruf und da musste man eben passen.
Der Karlsruher Phönix versuchte es mit der geradezu massenhaften Verpflichtung von Ukrainern, vor allem vom FC Ukrainia Ulm, „das war der Todesstoß für den Verein“, urteilt man heute. 1946 hatte der KFV – Vorgänger war u. a. Prof. Dr. Karl Zimmermann, im späteren DFB für die Jugend zuständig – sogar noch einmal ein „Denkmal“ vom Sockel und als Trainer geholt: „Mäxle“ Breunig, ehemals Nationalelf-Kapitän und –Betreuer, „der Mittelläufer, der seine Zeit beherrschte“ und dessen Schusskraft so gewaltig war, dass der von ihm getretene Ball das Tornetz zerfetzte oder Torwächter in die Besinnungslosigkeit schickte. Breunig also, der 1860 München 1931 als Trainer ins deutsche Endspiel führte, übernahm das Kommando: „Ein hervorragender Sportlehrer, aber unnahbar“, sagt Kurt Ehrmann. „Er hat voraus gesehen, was einmal kommt, wollte Technik gepaart mit Kampfkraft, aber von Taktik wollten wir jungen Kerle nichts wissen.“
Überhaupt war die ständige Fluktuation im Spielerkader dem ganzen Unternehmen abträglich: „Das war ein bunt zusammengewürfelter Haufen und gespielt haben eben die, die da waren, und wer einigermaßen kicken konnte, war dabei“, so Ex-Geschäftsführer Hans Helmel. Kurt Ehrmann sieht noch ein anderes Problem: „Als wir aus dem Krieg zurückkehrten, da war klar: Mit dem harten Anpacken und mit der Unterordnung ist das jetzt ein- für allemal vorbei. Wir haben uns dann als Spieler auch mal mehr herausgenommen. Das hat Max Breunig natürlich ganz anders gesehen.“
So kam es, wie es anscheinend kommen musste: Der KFV-Platz war rechtzeitig zum Gastspiel des 1. FC Nürnberg wieder hergestellt, dank eines Finanzierungsprogramms aus Reichsmark, Benzin und Naturalien, und die 250.000 RM-Tageseinnahme gegen die Cluberer deckte die gesamten Unkosten.
Aber der KFV ist 1947 endgültig abgestiegen und ebenso der Phönix: Der gute alte Fußball-Adel war aus dem „Palast“ von König Fußball, der höchsten Spielklasse, verstoßen, auf Nimmerwiedersehen. Und längst hatte der VfB Mühlburg aus der Vorstadt die Herzen des Publikums erobert, bestritt der Landesligist doch oft die Vorspiele zur Oberliga. Hans Helmel: „Man hat nie geglaubt, dass die Mühlburger jemals in Karlsruhe Zuspruch bei den Zuschauern finden würden. Aber die Leute erlebten eine gute und intakte Mannschaft und die Vorspiele des VfB Mühlburg waren manchmal besser und interessanter als unsere Partien. Und dann hat uns das Publikum eben verlassen.“
Der Karlsruher FV gehörte immerhin 1952 bis 1957 der 2. Liga Süd an und das Blatt hätte sich ja auch noch einmal wenden können, als sich halb Karlsruhe über die große Fußball-Fusion den Kopf zerbrach: Geht Mühlburg mit dem KFV oder mit dem Phönix oder kommen alle drei unter ein Dach?
Fusioniert aber haben dann „nur“ Mühlburg und der Phönix, das war 1952, zum Karlsruher SC, und der KFV wollte nicht mit. Schließlich war man gerade in die 2. Liga Süd aufgestiegen und befand: „Wir sind der KFV, wir schaffen das schon wieder alleine.“ Hans Helmel: „Es waren damals Sturheit und Stolz bei uns, die eine andere Lösung verhindert haben.“
Kurt Ehrmann ist dann 1956 mit 34 Jahren noch zum 1. FC Pforzheim in die 2. Liga Süd gegangen. „Ich wollte nicht schon wieder absteigen. 4.000 DM Ablöse hat der KFV für mich „alten Simpel“ noch bekommen, und beim Club in Pforzheim hab’ ich dann in vier Jahren mehr verdient als in dem Jahrzehnt beim KFV.“
Der gute alte Fußball-Adel war eben nur mehr reich an Trophäen, Vergangenheit und Erinnerungen. Aber auch heute, in der „Nettoliga“ der Amateure, ist anderes gefragt, und so sagt Hans Helmel treffend: „Die ist sowieso der Tod des Handlungsreisenden…“










