Fritz „Frédéric“ Keller – 21. August 1913 in Strasbourg – 8. Juni 1985 in Strasbourg
1913 wurde Keller als Sohn einer Elsässerin aus Plobsheim und eines Deutschen im damaligen „Reichsland Elsaß-Lothringen“, in Straßburg geboren. Seine Familie wanderte nach dem 1. Weltkrieg aus wirtschaftlichen Gründen nach Karlsruhe aus, wo Fritz‘ Vater eine Zigarettenfabrik betrieb. Die acht Kinder der Kellers erhielten teils deutsche, teils französische Vornamen. Im Alter von zwölf Jahren trat er 1925 in den KFV ein und durchlief alle Jugendmannschaften. Der schnelle, beidfüßig starke Flügelstürmer wurde sowohl Rechts- als auch Linksaußen sowie als Mittelstürmer eingesetzt und war – trotz seiner 1,74 m – kopfballstark. Mit seiner Schussstärke gelangen ihm sogar Tore aus 25 m Entfernung!
Sein Debüt in der ersten KFV-Elf sollte nicht lange auf sich warten lassen: Schon mit 16 Jahren, vier Jahre nach seinem Vereinseintritt, leistete er einen wesentlichen Beitrag zum Gewinn der Badischen Meisterschaft 1929. Zusammen mit Fritz Müller bildete er den rechten Flügel der Schwarz-Roten. 1931 entschlossen sich die Eltern Kellers nach Frankreich zurückzukehren. Im April 1932 lief der Rechtsaußen das letzte Mal beim Derby gegen den FC Phönix für den KFV auf (3:2). Zusammen mit seinem älteren Bruder Albert (*1911) und seinem jüngeren Curt (1918-1992), die ebenso begabte Fußballer waren, schloss er sich dem Racing Club de Strasbourg an. Racing führte 1933 den Profifußballspielbetrieb ein und stieg mit den drei Keller-Brüdern 1933/34 aus der Division 2 (Nord) – der 2. Liga Frankreichs – in die Division 1 auf. Als Mittelstürmer etablierte sich Fritz Keller bald zum gefeierten Helden der Mannschaft. Die französische Sportzeitschrift „Football“ schrieb 1934 nach einem Spiel gegen Metz: „Strasbourg hat eine großartige Stürmerreihe, worunter F. Keller der große Star ist“. Auf Anhieb wurden die Straßburger nach ihrem Aufstieg Vizemeister Frankreichs und landeten nur einen Punkt hinter dem Meister FC Sochaux. Im Mai 1934 bestritt Keller bereits ein Spiel für die französische B-Nationalmannschaft (gegen die Schweiz). Bruder Albert wurde derweil französischer Militärmeister mit dem 158. Regiment von Strasbourg. Am 10. Mai 1934 wurde Fritz Keller als erster Spieler von Racing zum Länderspiel der Equipe Tricolore gegen die Niederlande in Amsterdam berufen, wo er sofort mit einem Tor erfolgreich war (Endstand 5:4). 1934 wurde der ehemalige KFV-Recke in den Weltmeisterschaftskader der Franzosen berufen. Im Achtelfinale der WM wurden Kellers Franzosen dort von Österreichs „Wunderteam“ gestoppt (2:3). Sein letztes Länderspiel machte Fritz Keller 1937 – ausgerechnet gegen Deutschland – in Stuttgart (0:4). Insgesamt brachte er es auf acht Länderspiele, in denen er drei Tore erzielte. In der ersten französischen Liga erzielte er in 130 Spielen 56 Tore für Racing und wurde 1937 Vize-Pokalsieger Frankreichs. Fritz‘ jüngerer Bruder Curt wurde zunächst in die französische Amateurnationalmannschaft aufgenommen, bestritt 1937 sein einziges A-Länderspiel für Frankreich und wurde mit dem FC Sochaux französischer Meister.
Mit dem Kriegsausbruch änderte sich alles für den 26-jährigen Elsässer. Nach der Annexion des Elsasses durch Deutschland im Jahr 1939 wurden die französischen Vereine aufgelöst oder „eingedeutscht“. Aus Racing Strasbourg wurde der Rasensportclub Straßburg, der in der neu aufgestellten „Gauliga Elsass“ teilnahm. Eine Formation der deutschen Schutzstaffel (SS), welche die Kontrolle über den früheren „Sport-Club Red-Star Strasbourg“ übernahm und diesen in „SG SS Straßburg“ umbenannte, versuchte von nun an Spitzenspieler des Lokalmatadors Racing zu rekrutieren. Dabei griff die SS auch auf erpresserische Methoden zurück: Man drohte den ins Auge gefassten Spitzenspielern mit Gefängnisstrafe oder Fronteinsatz an der Ostfront, wenn sie sich nicht freiwillig der SG SS Straßburg anschließen wollten. Wohl mehr aus Furcht als aus opportunistischen Gründen wechselte auch Fritz Keller zum SS-Klub (Kellers Mannschaftskollegen Armand Voillet und Ernest Waechter bezeichneten sich als „Zwangsrekrutierte SGSS’ler“). Der SS-Verein nahm – ohne ein Qualifikationsspiel bestritten zu haben – in der höchsten regionalen Liga, der Gauliga Elsass, teil. Die Vereinsfarben des Klubs waren schwarz-weiß und der rote Stern auf dem Trikot des Vorgängerklubs wurde durch einen Totenkopf mit SS-Runen ersetzt.
Die Derbys zwischen Kellers ehemaligen Verein, Racing, hinter dem die Straßburger Stadtbevölkerung stand und der verhassten SG Schutzstaffel entwickelten sich zu emotionalen und patriotisch-gefärbten Fußballschlachten. Aus Furcht vor der Besatzungsmacht wagte aber niemand aufzufallen oder gar die SG SS auszupfeifen, wie sich Kellers Nachfolger auf dem rechten Flügel von Racing, Robert Schneider, noch im Jahr 2014 erinnerte. Während Rasensport/Racing die „résistance passive“ verkörperte, stand die SG Schutzstaffel-Elf für die Kollaborateure unter den Franzosen. Auch im restlichen Reich war die SS-Mannschaft aufgrund ihrer Privilegien als Militärmannschaft unbeliebt. Der SS-Verein konnte keines der direkten Duelle gegen Rasensport/Racing gewinnen. 1942 qualifizierte sich die SG SS jedoch für die deutsche Meisterschaftsendrunde, wo Kellers Team erst im Viertelfinale dem FC Schalke 04 unterlag (0:6). Im Spätherbst 1944 wurde nach dem Rückzug der Wehrmacht aus dem Elsass, der Verein schließlich aufgelöst.
Sein erzwungenes Engagement im SS-Verein bezahlte Keller nun teurer: Im Juli 1945 beschloss der wiedergegründete Verband der elsässischen Liga LAFA (Ligue d’Alsace de football association) die Kollaboration französischer Fußballspieler zu untersuchen. Während die meisten der 1940 versetzten Spitzenspieler von Racing rehabilitiert wurden, sperrte man Fritz „Frédéric“ Keller zunächst lebenslang. Die Sperre wurde jedoch schon im folgenden Jahr aufgehoben. Keller ließ nun in den Jahren 1946 bis 1949 seine Karriere als Spielertrainer beim FC Saverne 1906 ausklingen. Bei Racing erlangte er vollständige Rehabilitation und einem Platz auf der Ehrentribüne. Zusammen mit seiner Frau führte er im beliebten Straßburger Stadtteil Neudorf ein Lokal.
Heute resümiert der elsässische Historiker Pierre Perny – der über den elsässischen Fußball promovierte – über die schicksalhafte Karriere Fritz Kellers: „Die Zeit, in der Gegner und Freunde diesen und jenen weiß oder schwarz machten, ist vorbei. Was von Fritz Keller zu behalten ist, ist die Tatsache, dass er ein großartiger Fußballer war“.


