Der älteste Film im deutschen Fußball – und das Spiel des Jahrhunderts

Diesen Beitrag teilen

Der Film, der Anfang Juni 2013 auftaucht, dauert nur ganze zwei Minuten und 14 Sekunden – ist aber eine echte Sensation. Denn die holprigen Schwarzweiß-Aufnahmen sind stolze 103 Jahre alt und zeigen ein deutsches Fußballspiel in bewegten Bildern! Und das kam so: Als der Autor Thomas Staisch routinemäßig das Archiv des „British Film Instituts“ (BFI) in London durchforstete, entdeckt er einen nicht für möglich gehaltenen Eintrag: „Fussballwettspiel um die Deutsche Meisterschaft in Karlsruhe i.B. am 1. Mai 1910“. Der Satz stellt die bisher bekannte Fußballgeschichte auf den Kopf, denn die frühsten Aufnahmen deutscher Kicker sollen laut DFB, Bundesarchiv u.a. von 1923 und 1924 stammen – und zeigen Länderspiele gegen Holland (0:0) und Italien (0:1). Der Journalist fliegt nach Großbritannien, lässt sich die 35-Millimeter-Rolle ausheben und vorführen. Die Überraschung ist perfekt: Der Streifen ist echt, er zeigt tatsächlich knapp 21 Szenen aus dem berühmten Halbfinalspiel zwischen dem KFV und Phönix.

Unabhängig von der sporthistorischen Bedeutung lassen sich anhand des „Schatzes“ auch die Daten des spektakulären Spiels beweisen – oder widerlegen. So bestätigen die Aufnahmen erstmals nicht nur den Zuschauerrekord, sondern auch die Existenz von Torrichtern (in wichtigen Begegnungen): In mehreren Szenen ist ein „Linesman“ in Zivil und mit weißer Fahne zu erkennen, der neben dem Goal seinen Dienst tut. Außerdem scheint selbst die „Legende von den zwei Blasen“ wahr zu sein: Denn auf den Bildern schlagen selbst ausgezeichnete Techniker unter den Spielern mehrmals wild über den eigenartig hoppelnden Ball.

Und wie wurde der Film (ca. 54 Meter Länge, 16 Bilder pro Sekunde) gedreht? Auf der Höhe eines Strafraums (von der KFV-Tribüne aus gesehen beim rechten Tor) wurde eine einzige Kamera platziert: Kamen die Spieler dann aufs Tor gelaufen, wurde gefilmt – sonst nicht. Bei den Produzenten des Sensations-Streifens handelt es sich vermutlich um die Kaufleute Bernhard Gotthart, Franz Wenk, Franz Steiger und Oscar Köchler, die den Film in ihrem Kino, dem „Welt-Kinematograph“ (1906 eröffnet) in Freiburg und wahrscheinlich auch anderen Lichtspieltheatern vorführten. Auch die Vorgeschichte des Films ist jetzt bekannt: Der Streifen kam von Freiburg per Schenkung oder Verkauf zur berühmten Sammlung des Schweizer Jesuitenpaters und Filmpioniers Abbé Joye (1852–1919), der ab 1900 Vorführungen veranstaltete und 1906 in Basel das erste Filmtheater („Kino Borri“) des Landes eröffnete. Er hinterließ tausende teils verschollen geglaubte Titel, alle auf Nitratbasis, die hochsensibel zu handhaben waren. Grund: Filme mit Nitrozelluloseträger haben eine höhere Sprengkraft als Schwarzpulver und fallen heute unter das Bundessprengstoffgesetz. In den 1970er Jahren wurde beschlossen (da die Schweizer nicht in der Lage waren, die Filme sicher zu lagern), die Sammlung nach Großbritannien zu transportieren und beim „National Film Archive“ in London (zu dem das BFI gehört) Sicherheitskopien anzulegen. Und warum sind nur knapp zwei Minuten statt der damals üblichen acht oder neun Minuten erhalten geblieben? Eine mögliche Lösung könnte mit dem italienischen Historiker Davide Turconi zu tun haben, der bereits in den 60er Jahren versuchte, alle Joye-Filme zu retten. Als er feststellte, dass dies nicht möglich war, entschloss er sich zu einer verzweifelten Maßnahme: Er schnitt aus den Filmen einzelne Stücke heraus, um wenigstens diese Fragmente der Nachwelt zu erhalten. Am Ende sollen es 20.000 „Schnipsel“ gewesen sein, zu denen auch der Karlsruher Film gehört haben könnte

Aus dem Sensationsfilm: Phönix-Verteidiger Robert Neumaier (2.v.re.) klärt eine KFV-Flanke, in der Mitte kämpfen Gottfried Fuchs vom KFV gegen Arthur Beier, am linken Rand beobachtet Robert Heger (Archiv Staisch).
Aus London: Der Projektor mit der ersten Einstellung des Films – und die berühmte Filmrolle (Archiv Staisch).
Links: Ecke für den KFV. Rechts: Emil Oberle stürzt beim Zweikampf am Strafraum (Archiv Staisch).

Das Spiele der Spiele

 

Nüchtern betrachtet traf der Karlsruher FV im Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft am 1. Mai 1910 auf Phönix Karlsruhe, gewann im heimischen Stadion an der Moltkestraße mit 2:1 und zog ins Endspiel ein, wo er Holstein Kiel mit 1:0 besiegte und Deutscher Meister wurde. Doch das Match war mehr als das – schon die Filmaufnahmen beweisen das. Es war das Duell der Meister, das Legenden-Derby, das Jahrhundertspiel, das Rekordmatch. Zwischen 6.000 und 8.000 Zuschauer sollen gezählt worden sein: „Es war die größte Zuschauerzahl, die je bei einem Wettspiel zwischen deutschen Mannschaften gesehen wurde“, vermeldete die „Illustrierte Sportzeitung“. Sie schrieb, dass „der Endspielgegner von Holstein Kiel in jedem Fall die Fußballhochburg Karlsruhe stellt: KFV, der so oft verhinderte Meister oder Phönix, der sich aus der Asche des Außenseiters zum erbitterten und als Vorjahresmeister erfolgreichen Konkurrenten erhoben hat“. Und: „Das Interesse ist außergewöhnlich und es steigerte sich noch, weil das Resultat entscheiden wird, ob der bisherige Meister oder der Meister von Süddeutschland am Entscheidungsspiel um die Deutsche Meisterschaft teilnimmt. Man schätzt den KFV und Phönix mit Recht als die beiden besten deutschen Mannschaften!“ In „Deutschlands Fußball-Meister“ ist zu lesen: „Nur über den gewaltigen Rivalen ging also der Weg des KFV. Der Zusammenprall dieser Karlsruher Nebenbuhler zur Zeit ihrer größten Machtentfaltung gehört zu den denkwürdigsten Geschehnissen der Fußballgeschichte. Das erbitterte Ringen endete mit dem knappen 2:1-Sieg des KFV. Der Deutsche Meister hatte weichen müssen, doch der stolze Titel sollte dennoch in Karlsruhe bleiben.“ Josef Michler dichtete: „Diese vorentscheidende Begegnung mit seinem schärfsten Widersacher galt als die in Wirklichkeit schwerste Prüfung des deutschen Fußball-Jahres 1909/10. Ein tiefblauer Himmel, so blau wie die Teilstreifen auf den Phönix-Trikots, wölbte sich über einem der wildesten, zugleich aber fairsten Fußball-Wettkämpfe, die je stattfanden!“ Und legte noch eins drauf: „Stolz tragen die Anhänger ihre Vereinsfarben weithin sichtbar als Strohhutband, schwarzblau Phönix, schwarzrot der KFV. Es ist eine Rivalität, die die ganze Stadt beherrscht – und sollten Sohn und Tochter zweier so gegensätzlich eingeschworenen Fußballfamilien in heimlicher Liebe entbrennen, so könnte es wie ein Motiv aus Romeo und Julia anmuten.” Bezeichnend auch, was der „Fussball“ nach der Begegnung schrieb: „Der Name Karlsruhe bedeutet ein Programm im deutschen Fußballsport, ihn umgibt der Nimbus des Vollendeten, Erreichten, wenn er in Verbindung mit den fußballsportlichen Ereignissen gebracht wird“.

 

Das berühmte Phantom-Tor von Gottfried Fuchs (hinter der Linie). Phönix-Goalie Dr. Göltz ist zum zweiten Mal geschlagen.
Packende Szene aus dem Derby – „Gotti“ Fuchs und „Juller“ Hirsch (v.li.) warten auf einen Eckball vor dem Phönix-Tor. Die Schwarzblauen Karth, Firnrohr, Beier, Dr. Göltz und Neumaier (v.li.) sind zur Abwehr bereit (Archiv Staisch).

Die Protagonisten: Der KFV spielte mit Dell, Hübner, Holstein, Ruzek, Breunig, Schwarze, Tscherter, Förderer, Fuchs, Trump und Hirsch, Phönix mit Dr. Göltz, Karth, Neumaier, Firnrohr, Beier, Heger, Wegele, Noe, O. Reiser, Kasper, Oberle. Schiedsrichter war Willi Rave aus Hamburg, und da die Partie so wichtig war, wurden sogar Torrichter (die öfters und wortwörtlich „einen auf den Deckel” bekamen) und Linienrichter aufgeboten (die es offiziell schon seit 1891 gab). Einer der „Assistenten“ hieß Geppert – ob es allerdings Karl Geppert war, Ex-Phönix-Spieler und Ehrenvorsitzender der Schwarzblauen, ist unbekannt.

 

Geheimnisvolle Verletzte – und ein Protest

 

KFV-Stürmer Trump hätte die Spiel entscheidende Figur des insgesamt vierten Duells der Stadtrivalen im Jahr 1910 (Phönix hatte zuvor zwei Begegnungen gewonnen, der KFV eine) werden können – und wurde es dann doch nicht. Der Krimi: Bereits nach 14 Minuten musste der Angreifer verletzt vom Feld: „Dem körperlich starken Halblinken Trump passierte ein Missgeschick, das damals Sehnenzerrung genannt wurde. Der schussgewaltige Mann brach zusammen und schied gänzlich aus. Da noch fast 80 Minuten zu spielen waren, kann sich jeder leicht ausmalen, was diese Schwächung für den Titelanwärter ausmachte!“, so Michler. Mysteriöserweise berichten andere Quellen, dass auch Phönix das Match nicht komplett beendet haben soll – Läufer Adolf (und wohl nicht Emil) Firnrohr soll das Opfer gewesen sein. Die „Illustrierte Sportzeitung“ beharrte auf Version eins: „Der KFV war genötigt, fast das ganze Spiel mit zehn Mann durchzuführen, da sein halblinker Stürmer nach den ersten 15 Minuten aussetzte, aber auch Phönix war geschwächt, da er für seinen famosen Mittelstürmer Leibold Ersatz einstellen musste“. Das Drama um Trump ging noch weiter: Nach dem Match legte Phönix (erfolglos) Protest beim DFB ein – Trump sei nicht spielberechtigt gewesen.

 

 

Ein Schauspieler im Kasten, zwei „falsche Einser” und ein Zaubertor

 

Besonders für KFV-Torwächter Adolf Dell sollte das Derby eine echte Nervenschlacht geben: Über den sensiblen Goalie, der nach seiner Karriere als bekannter Bühnenschauspieler (unter Gustaf Gründgens!), Film- und Fernsehstar sowie preisgekrönter Maler im Rheinland gefeiert wurde, ist jedenfalls bekannt, dass er später im Finale vor Aufregung – laut eigenen Angaben – „halb ohnmächtig“ geworden ist. Und dass er sich gegen Phönix zur Verstärkung zwei Feldspieler mit ins Tor (!) holte. Kein Witz: „In der letzten so kritischen Viertelstunde wurde die Torsicherung mit allen Schikanen wie Menschenmauer, drei Mann im Tor oder Läuferstürmer vorgenommen“, berichtete Michler in seinem Buch „Mittelläufer spielen auf“. Und ergänzte: „Der KFV hatte bei einem Strafstoß Breunig und Hübner, diese zwei Riesengestalten, neben dem gleichfalls stattlichen Dell ins Tor genommen. In 99 solcher Fälle lohnt sich eine derartige Anordnung!“ Doch in der 67. Minute trat der unwahrscheinliche 100. Fall ein: Obwohl der KFV das Tor verrammelt hatte, schoss Phönix den Anschlusstreffer. Und das kam so: „Wirklich versperrten auch die drei Hüter fürs erste dem ganz verwegen gedrehten Ball den Zutritt. Aber, schlecht zu fassen wie die trudelnde lederne Nudel war, kam sie einem Bumerang gleich nochmals aufs Tor zurück. Und bevor die im Torraum zusammengezogenen übrigen KFV-Streitkräfte oder einer der drei Torwächter dem Ball nahekamen, der seitlich des rechten Pfostens gegen die Torlinie zurollte, schoss ein Blau-Schwarzer heran. Es war der rötlich leuchtende Arthur Beier, der, seinen Stürmern voraus, vom eigenen Überschwang fortgerissen, mit einem Bein fast außerhalb des Spielfeldes stand. Er hatte gerade noch soviel Kraft, zu bremsen und sich herumzureißen, schwang das andere Bein aus, traf den Ball. Und aus dieser unmöglichen Stellung neben dem Pfosten ward der Ball auch ins Netz gehakt!“

Das Phantom-Tor

 

Vom spektakulären Match findet sich in Chroniken und Zeitungen ein wiederkehrendes Motiv: Das Bild zeigt das 2:0 für den KFV. Und auch die Bildunterschrift ist immer die gleiche: „Ein denkwürdiger Augenblick: K.F.V. hat ein Tor erzielt (Fuchs mit dem Ball im Tor)“. Die Folge war, dass in den meisten Abhandlungen über das Spiel bis zum heutigen Tag Goalgetter „Gotti“ Fuchs als Torschütze geführt wird. Die Wahrheit ist aber: Fuchs hat sicher 1000 Treffer erzielt, diesen aber nicht! Denn tatsächlich hatte Verteidiger Hans „Bock“ Ruzek (der laut Michler eine Nase „wie ein riesiger Papageienschnabel“ gehabt haben soll) den armen Dr. Göltz mit einem Weitschuss (damals ein „langer Schuss“) überrascht, der im Strafraum lauernde Fuchs war nur durchgelaufen – vielleicht, um auf Nummer sicher zu gehen oder das Goal hinter der Linie gebührend zu feiern. Beweise für das Distanztor gibt es zu genüge, auch Augenzeuge Neumaier hatte in seinen Tagebüchern berichtet: „Zu Halbzeit führte KFV durch einen ungerechten Elfer und ein Leichtsinnstor von Freund Gölz (Schuss von 20-25 Meter)“. Kurioserweise hielt das viele Reporter nicht davon ab, von „Gottis“ Traumtor zu schwärmen: „Im rasenden Kampf lagen die KFVler durch Tor-Einlauf Fuchs’ vorne. Sein Vordringen über das halbe Spielfeld von ,Ottl’ Reiser an über Karth, Neumaier bis zu Göltz im ewig denkwürdigen Vorschlussspiel, dieses Hinfliegen, diese Ballbehandlung, konnte ihm niemand nachmachen“ – so Josef Michler, dem man aber zugute halten muss, dass er seine Zeilen erst 20 Jahre nach dem Match zu Papier brachte.

Das Bild des Jahrhunderts

 

Das Match war auch aus fotografischer Sicht herausragend: Existierten bei „gewöhnlichen“ Spielen der Kaiserzeit entweder gar keine Aufnahmen oder nur Mannschaftsbilder, so waren Bilder der Tore eine absolute Sensation. Dass vom Derby gleich neun Fotos überliefert sind und zwei der drei Treffer für die Ewigkeit festgehalten worden waren, beweist die Einzigartigkeit der Begegnung. Der Eindruck wird auch dadurch nicht geschmälert, dass das 1:0 durch Breunig ein („unheimlich scharfer“) Elfmeter war – und sich die Fotografen also hatten vorbereiten können.

Übersichtsbilder wie diese, von den Zeitungen gerne „Spezialaufnahmen“ genannt, genossen damals Seltenheitswert. Bedanken musste man sich bei den Kletter- und Fotografierkünsten eines Redakteurs namens Eugen Seybold. Der Fußballfan war bei dem Jahrhundertspiel auf das Dach der KFV-Tribüne und des Klubhauses gekraxelt und hatte die sensationellen Bilder für die „Illustrierte Sportzeitung“ geschossen. Später gab er als Verleger die Sportzeitung „Fussball“ heraus. Weil er dort regelmäßig dafür sorgte, dass „seine“ Karlsruher Mannschaften nie zu kurz kamen, haben hunderte historisch einmalige Aufnahmen von KFV und Phönix überlebt – und wurden noch Jahre nach der Glanzzeit des Karlsruher Fußballsports stolz abgedruckt. So zeigte der „Fussball” noch 1922 und 1940 ein Bild, dass seinesgleichen sucht. Zum ersten Mal wurden auf einem Foto (fast) alle Spieler eines Matches abgelichtet! „All die bekannten Spieler in taktisch vorbildlicher Kampfaufstellung“ gab den Journalisten nun die Möglichkeit, die Szene einer ausführlichen Analyse zu unterziehen. Dass es sich bei dem „packenden Augenblick“ und „Dokument aus klassischer Fußballzeit zweier Deutscher Meister“ nur um einen Einwurf von Robert Heger handelte, war dabei nicht so wichtig.

Die Legende von den zwei Blasen

 

Die aufsehenerregendste und gleichzeitig schönste Geschichte des Spiels ist die so genannte Legende der zwei Blasen. Obwohl der KFV vor dem Derby als Favorit galt, konnte sich die Karlsruher Bevölkerung laut Medienberichten nicht auf einen Sieger festlegen: „Jeder kann gewinnen, der Ball ist rund!“, so die allgemeine Aussage. Doch damit hatten sich die Fans getäuscht: „Dieser spezielle Ball vom 5. Mai ist nicht rund. Er enthält zwei Blasen, eine davon aufgepumpt und gleicht so einem Rugbyei“, will Fußballexperte Josef Michler („Ein komischer Ball!“) mit Bestimmtheit wissen. Und er kennt die Folgen: „Die meisten Phönixler waren furchtbar erregt und brachten mit dem unberechenbar, doppelmannshoch aufspringenden Ball ganz verdrehte Schläge heraus, da sie vor lauter Hast das Stoppen vergaßen. Ein Nachteil weniger für den KFV-Flachpass als für Phönix’ hohes Flügel- und Kopfballspiel. Tatsächlich verfehlen die gefürchteten Flanken der Nationalflügel Oberle und Wegele verhältnismäßig häufig ihr Ziel!“ Und auch der „Fussball“ berichtet: „Wegele, der sonst so exakt flankte, brachte den funkelnagelneuen Ball nicht hoch, Karth fabrizierte ungewohnte Kisten, während das Townley-System [„stoppen, schauen, zuspielen“ statt „hart und weit schießen“] unter solchen Ballnauben naturgemäß weniger litt.“

Über den weiteren Verlauf des Skandals gibt es zwei Fassungen: Michler schreibt, dass das Publikum und die Phönix-Spieler „stürmisch, laut und anhaltend Ersatz“ forderten – und bekamen. Aber auch dieses Spielgerät hätte geeiert: „Es kam ein zweiter Ball, um nichts normaler!“, berichtet auch die Phönix-Chronik. Im „Fussball“ wird erzählt, dass der Schiedsrichter den Ball einer Prüfung unterzog, für gut befand und mit dem alten Spielgerät weitermachen ließ. Und obwohl das Ei „bis zum Ende“ bzw. „bis zum Abpfiff“ im Einsatz gewesen sein soll, kann damit eigentlich nur die erste Halbzeit gemeint gewesen sein. Die Phönix-Verantwortlichen gaben dem Ei gar die Schuld für den Treffer zum 2:0: „Das zweite Tor war direkt belustigend, wäre nicht so viel auf dem Spiel gestanden. Ein schwacher Schuss, ein harmloser Roller. Im Augenblick, wo Göltz ihn aufnehmen will, schlägt der schalkhafte Ball einen Haken und setzt seinen Weg ungefährdet in die rechte untere Ecke fort!“ Wahr ist jedenfalls, dass die Phönix-Anhänger KFV-Trainer Townley aufs Korn nahmen: „Englische List und Tücke!“, protestierten sie. Zudem machte sich ein schwarzroter Kicker verdächtig: Der erfahrene Hans Ruzek, „ein notorisch trickreicher Spieler“, schnappte sich nach dem Spiel „in großer Eile“ den Ball und brachte ihn unter dem Arm ins Clubhaus – und entzog ihn so einer späteren Kontrolle. Bezeichnend ist vielleicht auch, dass KFV-Star Tscherter den Absatz über den getürkten Ball in seiner eigenen Zeitungsausgabe zwar extra rot angestrichen, aber keine Widerworte o.ä. an den Rand notiert hatte.

Und während die Phönix-Chronik den Betrug offen ansprach („Heute wissen wir, dass in dem in diesem Spiel verwendeten Ball eine zweite Gummiblase war und er dadurch exzentrisch und viel zu schwer gemacht wurde“) baut die KFV-Chronik auf ausgleichende Gerechtigkeit: „Mag diese Behauptung stimmen oder nicht, es wird wohl – wie das gefälschte Telegramm – ein ewig unlösbares Rätsel bleiben“.

 

 

Erregte Spieler, „Nerven-Erschütterungen“ – und ein Thronwechsel

 

Der Rest vom Spiel ist schnell erzählt. Die Reporter erkannten eine „begreifliche Erregung der Spieler“, ein „verrückt aufregendes und aufgeregtes Match“, „eine Menge Einzelheiten, die guter englischer Amateurklasse gleichgestellt werden können“ sowie einen KFV, der „vor der Pause durch geradezu wunderbare Leistungen seinem Gegner sehr hart zusetzte“, ein „halbstündiges Bombardement“ abfeuerte und dass dies, zusammen mit der „hervorragenden Verteidigung des Phönix“, zu einem „glanzvollen Fußballwettkampf“ führte, der „oft durch den begeisternden Beifall des Publikums unterbrochen wurde.“ Nach Abklingen der durch den getürkten Ball verursachten „Nerven-Erschütterung“ und „Panik“ der Phönix-Spieler „gelang ihnen, die sonst so blendende Kombination des Gegners zu zerstören und mit der ihnen eigenen Pfeilgeschwindigkeit dem anderen Tor entgegenzustreben!“ Der KFV geriet ins Schwimmen: „Wenn andere Mannschaften vor Bedrängnis und deren Abwehr Schweißströme vergossen, dann hat KFV hier Blut geschwitzt. Doch verließen ihn selbst dann die Kräfte und die ruhige Selbstbeherrschung nicht, als Phönix durch ,Vater’ Beier seinen Torvorsprung kürzte.“

Der „Thronwechsel unter den Karlsruher Meistern“ (Michler) rückte näher – und wurde zum „heroischen Kampf von zehn KFV-Spielern“ (KFV-Chronik). „Phönix griff wohl zum Schluss noch an, als kämen Meereswogen daher. Allein Förderer verteidigte als sogenannter fliegender Läufer und schlug mit einer Vehemenz die Bälle zurück, dass sich nur noch die Arbeit Holsteins damit vergleichen ließ, wenn er, in der Luft stehend oder liegend, drei Angreifer mitzutragen hatte und doch die Bälle wegbrachte. Tscherter [der die Kunst des „Umschweifens“, also den Ball am Gegner vorbeilegen, perfektioniert haben soll] und Fuchs schafften durch Einzelläufe über dreiviertel der Spielfeldlänge vorübergehend Luft. Trotzdem war der Schlusspfiff eine Erlösung für den KFV!“, liest man im „Endspiel-Fieber“. Und auch Neumaier musste in seinem Tagebuch anerkennen: „Nach Halbzeit hatten wir das Spiel ganz in der Hand, konnten jedoch gegen zu feste Mauern des KFV nicht gleichziehen.“ Als der KFV später Meister wird, ist die Rivalität schon fast vergessen: „Ein ethischer Höhepunkt war, als unter den ersten Telegrammen noch am Abend ein Glückwunsch des Altmeisters und Lokalrivalen ,FC Phönix’ einlief“, freute sich die KFV-Chronik.

1:0-Elfmetertor durch Max Breunig (mit x markiert), der in der allerersten Jugendmannschaft von Phönix stand (Archiv Staisch).

Hier gibt's noch mehr zu lesen

Weitere historische Geschichten vom KFV

Hier für den Newsletter des KFv anmelden:

Herzlichen Glückwunsch!

Dein Antrag ist erfolgreich bei uns eingegangen. Die Bearbeitungszeit dauert aktuell bis zu 10 Werktage. Im Anschluss schicken wir dir eine Bestätigung per Email mit allen Informationen zu deiner neuen Mitgliedschaft.

Wir freuen uns auf dich!