Walther Bensemann – 13. Januar 1873 in Berlin – 12. November 1934 in Montreux
von Bernd M. Beyer
Nicht nur für Karlsruhe, sondern für den gesamten süddeutschen Raum gilt Walther Bensemann als wichtigster Fußballpionier. Er gab den Impuls für zahlreiche weitere Vereinsgründungen, er initiierte die ersten überregionalen und internationalen Begegnungen und er wirkte eloquent daran mit, dem Fußball gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen.
Kennengelernt hatte er das seinerzeit in Süddeutschland unbekannte Spiel als Schüler in der Schweiz. Als Sohn einer Bankiersfamilie 1873 in Berlin geboren, besuchte Bensemann ab dem zehnten Lebensjahr in Montreux eine Privatschule. Von englischen Mitschülern lernte er zunächst Rugby, dann Fußball kennen und war von den „english sports“ begeistert. 1887 gründete der damals 14-Jährige seinen ersten Verein, den heute noch existierenden FC Montreux.
Der jugendliche Pionier
Als er im Spätsommer 1889 nach Karlsruhe kam, um am Großherzoglichen Gymnasium das Abitur abzulegen, brachte Walther Bensemann einen Lederball mit und die feste Absicht, Deutschland für den Fußball zu missionieren. Die Gründung zunächst des International Footballclub und dann des Karlsruher FV waren gewissermaßen nur Zwischenstationen. Als Bensemann den KFV 1893 im Streit verließ, realisierte er zunächst ein noch ehrgeizigeres Projekt: Mit den Karlsruher Kickers schuf er eine Art süddeutsche Auswahl, in der neben Karlsruher auch Frankfurter, Freiburger und Straßburger Spieler mitwirkten. Mit diesem spielstarken Team wollte er gegen Mannschaften aus Berlin, Frankreich oder der Schweiz antreten – allesamt Regionen, in denen der Fußball schon länger Fuß gefasst hatte. Sein Traum schließlich war ein Vergleich mit einem repräsentativen Team aus England, dem Mutterland des Sports.
Es sollte einige Jahre dauern, aber letztendlich wurden alle diese Pläne umgesetzt. Gegen die Mannschaft von Villa Longchamp aus dem schweizerischen Lausanne absolvierte die süddeutsche Auswahl am 7. Oktober 1893 das (nach bisherigem Kenntnisstand) erste internationale Spiel der deutschen Fußballgeschichte und gewann 2:1. Am Neujahrstag 1895 kam erstmals eine Berliner Auswahl nach Süddeutschland und schlug die Karlsruher Kickers 1:5 und 0:6. Knapp vier Jahre später reiste das sogenannte Bensemann-Team (darunter Rudolf Wetzler vom KFV) als erste deutsche Fußballelf nach Frankreich und schlug eine Pariser Auswahl mit 2:1. Und im November 1899 schließlich kam auf Bensemanns Betreiben tatsächlich ein vom englischen Verband zusammengestelltes Team nach Deutschland und absolvierte vier Spiele, eines davon in Karlsruhe. Es war die erste Tournee einer englischen Elf auf dem Kontinent und ein wichtiger Meilenstein für die sportliche Entwicklung des deutschen Fußballs.


Der streitbare Kosmopolit
Obschon die Karlsruher Kickers nur zwei Jahre existierten – 1895 kehrte Bensemann zunächst in den Schoß des KFV zurück –, erlangten sie und ihr jugendlicher „Manager“ in der süddeutschen Fußballszene große Popularität. Neue Vereine wie die Stuttgarter Kickers, die Würzburger Kickers oder die Frankfurter Kickers (ein Vorläufer der Eintracht) bezogen sich explizit auf sie. Bensemann selbst, inzwischen Student der Philologie, wirkte als Spiritus Rector bei Vereinsgründungen u.a. in Straßburg, Baden-Baden, Freiburg, Gießen, Heidelberg, Mannheim und Saarburg. In München war er 1897 daran beteiligt, im dortigen Männerturnverein eine Fußballabteilung zu bilden; aus ihr ging später der FC Bayern hervor.
Bei allen Aktivitäten bemühte sich Bensemann, den Fußball aus der Ecke einer jugendlichen Subkultur und verdächtigen Engländerei zu holen und ihm gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen. Die von ihm „gesponserten“ Teams zeichneten sich durch schickes Outfit und großzügige Gastfreundschaft aus, und er versuchte, ihre Aktivitäten in die örtlichen Zeitungen zu bringen – anfangs eher vergebens. Auch die neuartigen internationalen Begegnungen sollten dem neuen Sport weitere öffentliche Beachtung und größeren Zuschauerzuspruch bringen.
Mit den grenzüberschreitenden Spielen verfocht Bensemann noch ein weiteres Anliegen. In solchen Aktivitäten sah er die Chance, über Trennendes hinweg friedlich zusammenzukommen und sich besser kennenzulernen: Fußball als Mittel der Völkerbegegnung und Völkerverständigung. Vor allem die Spiele gegen französische Mannschaften sah er in diesem Kontext – immerhin galten Frankreich und das Deutsche Reich seinerzeit als ausgemachte Erzfeinde. „Jeder Mann von Gefühl und Verstand sollte sich freuen, wenn Franzosen und Deutsche sich zum ersten Mal auf friedlichem Boden träfen und den alten Nationalhass vergessen würden“, schrieb Bensemann 1895 in einer Artikel, in dem er erstmals eine solche Begegnung vorschlug. Beiderseits der Grenzen gab es nicht wenige Stimmen, die eine solche Idee vehement ablehnten.
Umstritten waren auch die Spiele gegen England. Insbesondere der Verband Süddeutscher Fußballvereine fürchtete eine sportliche Blamage und polemisierte vehement dagegen. Friedrich Wilhelm Nohe, seinerzeit Vorsitzender sowohl des KFV wie des Süddeutschen Verbandes, sorgte dafür, dass Walther Bensemann aus dem Verband geworfen und den KFV-Spielern untersagt wurde, sich gegen England aufstellen zu lassen. Da die Tournee dennoch ein Erfolg wurde und sich eine ganze Reihe von KFV-Spielern nicht einschüchtern ließ – Willy und Fritz Langer, Schuon, Rickmers, Zinser und Link traten an –, machte man gute Miene zum vermeintlich bösen Spiel. Der Verbandsvorstand schaute verlegen zu, als am 28. November 1899 auf dem Karlsruher Exerzierplatz eine deutsche Auswahl den Engländern vor knapp 2.000 Zuschauern mit 0:7 unterlag.
Das Verhältnis zwischen Bensemann und dem KFV aber blieb angespannt. Als wenige Wochen nach den Engländer-Spielen in Leipzig der DFB gegründet wurde, vertrat Bensemann als Delegierter nicht den KFV, sondern dessen Rivalen Phönix und Südstadt. 1906 ließ er sich vom damaligen KFV-Vorsitzenden Dipl.-Ing. Ernst Roth noch einmal zu einer Mitarbeit gewinnen, über die Bensemann selbst später berichtete: „Um jene Zeit erhielt Julius Zinser, dessen Erstlingswerk als Architekt der neue Bahnhofslocus gewesen war, den Auftrag zum Bau einer Tribüne von mir.“ Doch Bensemanns Engagement endete wenig später im Streit, und er trat aus dem Verein aus. Die endgültige Versöhnung kam erst, als der KFV seinem Pionier 1931 die Ehrenmitgliedschaft verlieh.
Bensemann war ein eigensinniger Charakter, nicht selten sprunghaft in seinen Ideen, und auch nach eigener Erkenntnis nicht eben geschaffen für die Tätigkeiten eines Funktionärs. Das war wohl auch ein Grund dafür gewesen, warum er nach Gründung des DFB kein Amt übernahm, sondern aus der deutschen Fußballszene verschwand. Von 1901 bis 1914 wirkte Bensemann als Lehrer an privaten Internaten in Schottland und England und wäre vermutlich auf Dauer dort geblieben, hätte ihn nicht der Erste Weltkrieg gezwungen, in die alte Heimat zurückzukehren.
Der Gründer des „Kicker“
Im Sommer 1920 begann Walther Bensemann ein Projekt, das zu seinem eigentlichen Lebenswerk werden sollte: Er gründete die Fußballzeitschrift „Der Kicker“, die bekanntlich noch heute existiert. Zunächst war es nahezu ein Ein-Mann-Unternehmen: Bensemann war Verleger, Redakteur, Autor und Kassenwart in einer Person. Was ihn trieb, war nicht die Hoffnung, mit der Zeitung Geld zu verdienen – die finanzielle Situation des Unternehmens blieb bis 1933 meist prekär. Vielmehr verfolgte er eine Mission, die er so formulierte: „Der ‚Kicker’ ist ein Symbol der Völkerversöhnung durch den Sport.“ Er knüpfte damit an die Idee grenzüberschreitender Spiele an, die er schon vor 1900 verfochten hatte. Die bittere Erfahrung des Weltkriegs, in dem er sowohl englische wie deutsche Freunde verloren hatte, machte ihm diese Zielsetzung aktueller und wichtiger denn je. In seiner Zeitung trat er daher vehement dafür ein, die internationalen Sportbeziehungen nach dem Krieg neu zu beleben und so den Frieden zu festigen.
Zugleich glaubte er an die erzieherischen Qualitäten sportlicher Betätigung – vorausgesetzt, sie würde nach dem Vorbild englischer „sportsmen“ ausgeübt, also im Geiste von Toleranz, Fair Play und Selbstdisziplin. Daher forderte er immer wieder, Sport und Fußball in den Schulunterricht zu integrieren – was keineswegs selbstverständlich war: An den Bayerischen Schulen beispielsweise war Fußball noch für mehrere Jahre verboten.
Bensemanns journalistische Arbeit zeichnet sich durch glänzende Formulierungskunst und zuweilen satirische oder polemische Spitzen aus. So war es kein Wunder, dass er bei den deutschnationalen Kreisen der Sportbewegung heftig aneckte. Sein Internationalismus, sein „Sportpazifismus“ war jenen Ideologen ein Dorn im Auge, die in der „Leibesertüchtigung“ vor allem ein Mittel sahen, die „Wehrhaftigkeit des deutschen Volkes“ zu erhöhen. Zu ihnen zählten auch Teile der DFB-Führung, mit der sich Bensemann daher manche Meinungsscharmützel lieferte.
Als im Januar 1933 die Nazis an die Macht kamen, war für den Kosmopoliten Bensemann kein Platz mehr, zumal er aus einer jüdischen Familie stammte. Ende März bereits reiste er in die Schweiz und kehrte nicht mehr zurück. Mit 61 Jahren starb er am 12. November 1934 verarmt und enttäuscht. Zuletzt wohnte er bei einem Freund in Montreux, jenem Ort, von dem er einst aufgebrochen war, Deutschland für den Fußball zu missionieren.






