
Die Meistermannschaft von 1910
Die Helden von Köln – elf Spieler holten 1910 den Meistertitel erneut in die Residenzstadt nach Karlsruhe, nachdem der Lokalrivale Phönix ein Jahr zuvor Fußballmeister wurde. Zu den Vätern des Erfolgs gehörten neben den elf Spielern auf dem Platz auch Trainer Townley sowie ein kurz zuvor ausgefallener Stammspieler. Dieses Kapitel wirft ein Licht auf die dreizehn Persönlichkeiten, die den KFV zum deutschen Meister machten.
Torhüter — Adolf „Delle Bambel“ Dell (1890–1977), erfolgreicher Schauspieler
Rechter Verteidiger - Kurt Albert Karl Hüber (1890–1915)
Linker Verteidiger - Ernst „Holler“ Hollstein (1886–1950), Deutscher Nationalspieler, Olympiateilnehmer
Rechter Läufer — Hans Anton „Bock“ Ruzek (1880–1914)
Mittelläufer — Max Breunig (1888–1961) , Deutscher Nationalspieler, Olympiateilnehmer
Linker Läufer — Max Richard Paul Schwarze (1985–1951)
Rechtsaußen — Fritz Tscherter (1888–1963)
Halbrechter Stürmer — Fritz „Frieder“ Förderer (1888–1952), Deutscher Nationalspieler, Olympiateilnehmer
Mittelstürmer — Gottfried Fuchs; im Exil: „Godfrey Fochs“ (1898–1972), Deutscher Nationalspieler, Olympiateilnehmer
Halblinker Stürmer — Julius „Juller“ Hirsch (1892–1943), Deutscher Nationalspieler, Olympiateilnehmer
Linksaußen — Hermann Bosch (1891–1916), Deutscher Nationalspieler, Olympiateilnehmer
im Finale verletzt: Wilhelm Trump
Trainer: William „Billy“ Townley (1866–1950)
Adolf Dell („Delle Bambel“) – Dem Fußball folgte die Schauspielkarriere
30. Juni 1890 in Karlsruhe – 9. September 1977 in Düsseldorf
Bereits als 12-jähriger trug Dell die Torstangen aus dem Feuerwehrhaus zum Exerzierplatz. Von der 3. Und 2. Mannschaft kämpfte sich Dell bis in die erste Elf, wo er den langjährigen Torhüter Fritz Langer 1908 ablöste.
Im Halbfinale der deutschen Meisterschaft 1910 ist der sensible und öfters flatterhafte Goalie vor Aufregung laut eigener Aussage „halb ohnmächtig“ geworden. „Delle Bambel“, wie der damals 20-Jährige genannt wurde, holte sich gar zwei Feldspieler mit ins Tor: „In der letzten so kritischen Viertelstunde wurde die Torsicherung mit allen Schikanen wie Menschenmauer, drei Mann im Tor oder Läuferstürmer vorgenommen. […] Der KFV hatte bei einem Strafstoß Breunig und Hübner, diese zwei Riesengestalten, neben dem gleichfalls stattlichen Dell ins Tor genommen. In 99 solcher Fälle lohnt sich eine derartige Anordnung.“, stellte Fußballliterat Michler in seinem Buch „Mittelläufer spielen auf“ süffisant fest.
Auch im darauf folgenden Endspiel wurde es wieder knapp. Dell schilderte die Schlussminute des Finals gegen Kiel so: „Sieben Meter vor meinem Kasten tauchte plötzlich ganz allein der Kieler Mittelstürmer Fick mit dem Ball auf … ich sah die wahnsinnige Aufregung in seinem Gesicht, daß er die Riesenchance verpaßen könnte. Und die Aufregung hinderte ihn einen Moment, loszuschießen. Da war ich mit zwei großen Sätzen bei ihm, wir traten genau im selben Bruchteil der Sekunde auf den Ball, beide mit äußerlicher und letzter Kraft – da flog das Leder irgendwo seitlich heraus, durch den doppelten Druck zu einem Ei deformiert“. Das Ergebnis ist bekannt: Der KFV behielt mit 1:0 die Überhand. Als Torhüter der KFV-Meistermannschaft ging Dell somit in die deutschen Fußballgeschichtsbücher ein. 1921 wurde er zusammen mit einigen Mitstreitern des Jahres 1910 zum Ehrenspielführer des KFV ernannt.
Der Dramatik blieb Dell treu: Nachdem er seine Fußballschuhe schon sehr früh an den Nagel hing, folgte ein Studium bei Wilhelm Trübner an der Kunstakademie Karlsruhe. 1917 schloss er sich in Düsseldorf der Künstlervereinigung „Junges Rheinland“ an. Nach ausgedehnten Studienreisen mit Werner Gilles und Otto Panlok wurde er Mitglied des Künstlerkreises um die Galeristin Johanna Ey.
Neben der Malerei fand er auch an der Schauspielerei gefallen. Früh kam er mit Gustaf Gründgens in Berührung. In der Ära der Intendanten Gustaf Gründgens und Karl Heinz Stroux zählte er zu dem Stammensemble des Schauspielhauses Düsseldorf und galt in späteren Jahren als Doyen dieser Bühne. 1950 trat Dell in den Dramen „Der Familientag“ und „Cocktailparty“ von T. S. Eliot jeweils in den Inszenierungen von Gustaf Gründgens und 1962 in Max Frischs „Andorra“ auf. Adolf Dell war zudem als Schauspiellehrer tätig. Er unterrichtete den Schauspieler Paul Esser, die Regisseure Michael Koch und Hanno Lunin sowie den Schriftsteller Günter Lanser.
Dell wirkte auch in Film- und Fernsehproduktionen mit. Darunter befanden sich die Spielfilme „Silvesternacht am Alexanderplatz“ aus dem Jahr 1939 von Richard Schneider-Edenkoben mit Hannes Stelzer, Carl Raddatz und Jutta Freybe, 1951 „Sündige Grenze“ in der Regie von Robert A. Stemmle mit Dieter Borsche, Inge Egger und Peter Mosbacher und 1956 „Wenn wir alle Engel wären“ von Günther Lüders u.a mit Marianne Koch, Dieter Borsche und Hans Söhnker. Große Popularität erlangte er mit der Rolle des Franz Buchner in der achtteiligen Fernsehserie des Südwestfunks „Der Forellenhof“. Neben ihm spielten unter anderem Hans Söhnker, Jane Tilden und Gerhart Lippert. Seine letzte Rolle Fernsehrolle spielte er in einer Folge der Serie „Die Kramer“. Adolf Dell arbeitete auch als Hörspielsprecher und war überwiegend in Produktionen des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR) bzw. Westdeutschen Rundfunks (WDR) zu hören. In Düsseldorf heiratete Dell noch einmal und lebte mit seiner deutlich jüngeren Frau bis zu seinem Lebensende in der Rheinmetropole.
Kurt Hüber – Riesengestalt im Strafraum
28. Oktober 1890 in Karlsruhe — 17. August 1915 bei Skrawdzie, Litauen
Der rechte Verteidiger Kurt (Albert Karl) Hüber ging aus der KFV-Jugend hervor. Er spielte als Junior in der 2. Mannschaft und rückte für Fritz Gutsch in die erste Elf nach, nachdem dieser seine Karriere beendete. 1910 war er Spielwart der Schwarz-Roten. Zusammen mit Holstein bildete er die Karlsruher Verteidigung in den Endspielen 1910 und 1912. 1912 war er außerdem einer der Gründungsmitglieder des Fußballklubs Frankonia Stupferich (heute SG Stupferich). Der in Stupferich angestellte Unterlehrer der Volksschule war auch der erste Trainer der Stupfericher. Im 1. Weltkrieg brachte es der 24-jährige, ledige Lehrer zum Leutnant der Reserve des Infanterie Regiments 166, 2. Kompanie. Am 16. August des zweiten Kriegsjahres wurde er bei der Belagerung von Kowno (dt. Kaunas) im heutigen Litauen schwer verwundet und erlag seinen schweren Verletzungen einen Tag später im Reservelazarett 109. Südwestlich von Kowno wurde er bei Skriaudžiai (Skrawdzie), Litauen, auf einem Soldatenfriedhof beigesetzt.
Max Schwarze – Frühes Karriereende durch Sportverletzung
19. Mai 1885 in Karlsruhe – 5. April 1951 in Goch
Max Richard Paul Schwarze begann seine Laufbahn 1904 und stand bereits im Juni 1905 im Endspiel um die deutsche Meisterschaft (0:2 gegen Union Berlin). Schwarze zeichnete sich durch seine Schnelligkeit und Schusskraft aus. Zunächst ersetzte er den linken Verteidiger Hollstein, als sich dieser in Examensnöten befand. 1910 wurde der Diplom-Ingenieur als linker Läufer deutscher Fußballmeister. Schwarze galt als emotional höchst ausgeglichener Mensch und verfügte nicht gerade über das impulsivste Temperament innerhalb der KFV-Truppe, was ihn zum guten Geist der Meistermannschaft werden ließ: „Die Seele von einem Menschen. Flott trug er sein schwarzes Schnurrbärtchen. Waren Geräte herbeizuschaffen, war der Platz zu zeichnen, war irgend eine Meinungsverschiedenheit in der Mannschaft zu schlichten, dann griff Schwarze ein.“ Schwarze verlor nach der Meisterschaft seinen Stammplatz beim KFV, als er sich in einem Spiel gegen Phönix Karlsruhe beim Abstoppen eines Angriffs von Phönix-Spieler Wegele eine schwere Sehnenzerrung zuzog. Der Diplom-Ingenieur arbeitete in Frankfurt und heiratete 1916 mit Emilie Egetmeyer, eine Schwester der Egetmeyer-Brüder, die vor und kurz nach dem 1. Weltkrieg beim KFV eine gewichtige Rolle einnahmen. Mit seiner Gattin Emilie, die im Herbst 1950 starb, zog Schwarze nach Grevenbroich, ins Städtedreieck Düsseldorf – Köln – Mönchengladbach. Im April 1951 erlag er nach einem schweren Autounfall einer Hirnblutung im Wilhelm-Anton-Hospital in Goch bei Kleve. In Grevenbroich wurde der Meisterspieler beigesetzt.
Max Breunig
(* 12.November 1888 in einem Vorort von Karlsruhe; † 04. Juli 1961 in Pforzheim)
Abbildungen: Autogrammkarten, Quelle: KFV.
Max Breunig war deutscher Fußballnationalspieler von 1910–1913. Breunig absolvierte zwischen 1910 und 1913 insgesamt neun Länderspiele und schoss dabei ein Tor. Er war in allen neun Einsätzen Kapitän der deutschen Mannschaft. Auf Vereinsebene gewann Breunig mit dem Karlsruher FV 1910 die deutsche Meisterschaft und war im Finale Schütze des Siegtores zum 1:0.. Im selben Jahr gewann er mit der süddeutschen Auswahl den Kronprinzenpokal. Zwei Jahre später war er erneut in der siegreichen Auswahl Süddeutschlands vertreten. Im September 1913 wechselte Breunig zum 1.FC Pforzheim. Er galt als einer der besten Mittelläufer in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg. Durch den Kriegsbeginn wurde seine Karriere vorzeitig beendet.
Ernst Hollstein – Kopfballstarker Blondschopf
9. Dezember 1886 in Karlsruhe – 9. August 1950 in Karlsruhe
Ernst Hollstein (es existiert auch die Schreibweise „Holstein“), gerufen „Holler“, begann beim FC Phönix das Fußballspielen, wechselte aber sehr bald zum KFV. Bei Kirn/Natan wird festgehalten: „Ernst Holstein war einer der größten Verteidiger, die je über ein Feld zogen. Spielte links wie rechts, zog aber die linke Position vor. Der mittelgroße Spieler gehörte zu der KFV-Elite des grandiosen ‚Fußball-Geschwaders’, das seine Mannschaft zwischen 1909 und 1912 darstellte. Mit seinem Kollegen Fritz Gutsch bildete er ein perfektes Verteidiger-Paar. Sein intuitives Stellungsspiel wurde gar als „Gedankenlesen bezeichnet.“ Der „goldhaarige“ Hollstein versenkte 1910 einen Kopfball aus 30 (!) Metern.
Der linke Verteidiger bestritt gegen die Niederlande sein erstes Länderspiel (2:4) in Arnheim. Als Teilnehmer der Olympischen Sommerspiele 1912 beendete er gegen Ungarn als 26-jähriger seine Karriere in der deutschen Nationalmannschaft, in der er insgesamt auf sechs Länderspiele kam. Bereits 1913 zog er sich aus dem Leistungssport zurück, um seinen Fokus auf das Studium zu legen. 1918 wurde er zum Gewerbelehrer ernannt. In Offenburg arbeitete er später als Oberstudienrat. Dort war er 1920/21 auch Trainer des Offenburger FV in der 1. Kreisklasse (2. Liga). Die illustrierte Sportzeitung Fußball schrieb am 28. Dezember 1920 über seinen erfolgreichen Trainerjob: „Die Erfolge sind in erster Linie dem Internationalen Ernst Holstein zu verdanken, welcher in dankenswerter Weise die Mannschaft trainiert.“






















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Ernst Hollstein – Kopfballstarker Blondschopf
9. Dezember 1886 in Karlsruhe – 9. August 1950 in Karlsruhe
Ernst Hollstein (es existiert auch die Schreibweise „Holstein“), gerufen „Holler“, begann beim FC Phönix das Fußballspielen, wechselte aber sehr bald zum KFV. Bei Kirn/Natan wird festgehalten: „Ernst Holstein war einer der größten Verteidiger, die je über ein Feld zogen. Spielte links wie rechts, zog aber die linke Position vor. Der mittelgroße Spieler gehörte zu der KFV-Elite des grandiosen ‚Fußball-Geschwaders’, das seine Mannschaft zwischen 1909 und 1912 darstellte. Mit seinem Kollegen Fritz Gutsch bildete er ein perfektes Verteidiger-Paar. Sein intuitives Stellungsspiel wurde gar als „Gedankenlesen bezeichnet.“ Der „goldhaarige“ Hollstein versenkte 1910 einen Kopfball aus 30 (!) Metern.
Der linke Verteidiger bestritt gegen die Niederlande sein erstes Länderspiel (2:4) in Arnheim. Als Teilnehmer der Olympischen Sommerspiele 1912 beendete er gegen Ungarn als 26-jähriger seine Karriere in der deutschen Nationalmannschaft, in der er insgesamt auf sechs Länderspiele kam. Bereits 1913 zog er sich aus dem Leistungssport zurück, um seinen Fokus auf das Studium zu legen. 1918 wurde er zum Gewerbelehrer ernannt. In Offenburg arbeitete er später als Oberstudienrat. Dort war er 1920/21 auch Trainer des Offenburger FV in der 1. Kreisklasse (2. Liga). Die illustrierte Sportzeitung Fußball schrieb am 28. Dezember 1920 über seinen erfolgreichen Trainerjob: „Die Erfolge sind in erster Linie dem Internationalen Ernst Holstein zu verdanken, welcher in dankenswerter Weise die Mannschaft trainiert.“
Hermann Bosch – Eleganter Außenläufer
10. März 1891 in Öhningen bei Konstanz – 16. Juli 1916 in Kronstadt, Rumänien
Der Linksaußen der Meisterschaft von 1910 war ein Allrounder der als Läufer und Verteidiger spielen konnte. Seine elegante Spielweise, seine Pässe und seine Flügelwechsel, die kein anderer Außenläufer zustande brachte, waren sein Steckenpferd. „Er hatte die Gabe, durch Einnahme der bewußten Schrägstellung zum vorgehenden gegnerischen Außenstürmer den Ball im letzten Moment wegzuschnappen, als es fast zu spät schien“. Der Sohn des Oberrechnungsrats Fridolin Bosch und seiner Frau Emma wurde 1910 deutscher Meister (als er für den verletzten Trump im Finale nachrückte), 1912 Vizemeister sowie dreimal süddeutscher Meister. Bei den olympischen Spielen 1912 trat er für die deutsche Auswahl gegen die starken Mannschaften aus Ungarn sowie Österreich an (beide Spiele wurden verloren). Im Juli 1916 starb er als Gefreiter an der rumänischen Front im siebenbürgischen Kronstatt an einem Kopfschuss. Es war der zweite Sohn, den die Familie Bosch im 1. Weltkrieg verlor. Im Monat seines Todes erhielt der Gewerbelehrer noch das Eiserne Kreuz. Mannschaftskollege Max Breunig heiratete später Boschs Schwester Emma.
Hans Ruzek – Ein Leben für den KFV
5. August 1880 in Karlsruhe – 24.Oktober 1914 bei Zonnebeke, Passchendaele (Belgien)
In den meisten Spielen von 1896 bis 1910 hatte Hans Anton Ruzek – „Bock“ genannt – mitgewirkt und 392 Pflichtspiele („Wettspiele“) in der ersten Mannschaft des KFV bestritten. Bereits beim 7:2‑Sieg gegen den 1. FC Pforzheim in der Saison 1896/97 feierte Ruzek sein Debüt. In den Anfangsjahren des KFV war er zunächst noch als Außenstürmer am rechten Flügel, ein Mitglied der vielleicht erfolgreichsten Sturmreihe Deutschlands (zusammen mit Wetzler, Heck, Zinser, Fritz Langer und Otto Jüngling). Als Außenstürmer „war Ruzek während des Spiels kaum zu halten, die Läufe dieses ungewöhnlich kräftigen Spielers erfolgten mit unwiderstehlicher Energie, verbunden mit famoser Balltechnik, sodaß fast jeder Angriff Ruzeks mit einer verwandlungsfähigen Flanke endete“. Denkwürdig war das 5:1 im Jahre 1899 gegen den DFC Prag. Mit gleichem Erfolg wurde Ruzek in den späteren Jahren seiner aktiven Spielerzeit als Läufer und Verteidiger eingesetzt. Kurios: Hans „Bock“ Ruzek hatte laut Fußballkritiker Michler eine Nase „wie ein riesiger Papageienschnabel“, was aus den überlieferten Fotografien aber nicht hervorgeht.
Bensemann stellte Ruzek auch 1899 für eines der Urländerspiele auf, an welchem er aus beruflichen Gründen schließlich aber nicht teilnehmen konnte. Sechsmal errang er die süddeutsche, einmal die deutsche Meisterschaft und nahm insgesamt dreimal an der Endrunde um die deutsche Meisterschaft teil. Ruzek „verband eine unverwüstlich scheinende, durch wohlgeordnete Lebensweise geschonte Gesundheit mit großem Talent für das Fußballspiel“. Auch in der Verwaltung des Vereins war der Bankbeamte tätig und opferte seine gesamte Freizeit dem KFV. Die heute noch erhaltenen Wettspielchroniken aus der Anfangszeit des KFV stammen aus seinen Händen. Eine fröhliche Unbefangenheit legte Ruzek stets an den Tag und war innerhalb des KFV sehr beliebt. Ruzek fiel am 24. Oktober in der Schlacht bei Zonnebeke – Passchendaele (Belgien). Sein Neffe Josef Ruzek wurde später Vorsitzender des KFV (siehe weiter unten).
Fritz Tscherter – Der Mann mit dem Homburger, der die KFV-Stürmer berühmt machte – aber selbst nie Nationalspieler wurde
17. November 1888 – 8. Juli 1963 in Karlsruhe
von Thomas Alexander Staisch
Die entscheidende Begegnung im (Sportler-)Leben von Fritz Tscherter fand im August 1908 in Karlsruhe statt – genau genommen in der Nowackanlage 19 in der Südstadt. Karl Geppert, Kopf von Alemannia Karlsruhe, erinnerte sich: „Wir hatten unser Vereinslokal ja dort im Café Nowak. Eines Abends wurde ich herausgerufen. Draußen standen Tscherter und Förderer, sie wollten bei Alemannia spielen.“ Auch seine überraschende Antwort ist überliefert: Geppert teilte den beiden 20-jährigen Burschen allen Ernstes mit, dass er sie nicht aufnehmen könne, weil er dann zwei andere Spieler aus der Mannschaft werfen müsse und das „Verrat an der Klubkameradschaft“ sei! „Ihr kennt ja unsere Einstellung. Ihr geht am besten zum KFV!“, empfahl er. Der Rest ist bekannt. 50 Jahre später aber erkannte Geppert wenn nicht seinen Fehler, dann doch die vergebene Chance: „Sie bildeten hernach einen der besten Flügel, die je eine deutsche Mannschaft besaß …“. Aber von Anfang an: Fritz Tscherter (17. November 1888 – 8. Juli 1963) war tschechischer Herkunft, sein Vater Schuhmachermeister – und Lieferant für die badische Großherzogin. Laut Julius-Hirsch-Biograph Werner Skrentny hat er die edlen Treter natürlich persönlich und standesgemäß im Gehrock („Cut“) im Schloss angeliefert. Fußballerisch tobte sich Fritz (zusammen mit Fritz Förderer) zuerst bei FC Germania 1898 aus, bevor er nach dem denkwürdigen „Café-Treffen“ am 8. August 1908 zum Karlsruher FV wechselte – wo er zu einem legendären Rechtsaußen in der ersten Mannschaft avancierte.
Ins Nationalteam wurde Tscherter unverständlicherweise und im Gegensatz zu seinen Kameraden Hollstein, Bosch, Breunig, Groß, Förderer, Fuchs und Hirsch nie berufen (auf Rechtsaußen hatte er starke Konkurrenz durch Wegele von Phönix), wohl aber in die Süddeutsche Auswahlmannschaft, die regelmäßig um den Kronprinzenpokal kämpfte oder z.B. 1910 gegen eine Londoner Amateurmannschaft sensationell mit 2:1 triumphierte. Tscherter, der mit dem KFV 1910 schließlich Deutscher Meister wurde, hat sich auch cineastisch ein Denkmal gesetzt: Auf den berühmten Aufnahmen zum Halbfinalklassiker KFV gegen Phönix vom 1. Mai 1910 (2:1) – dem ältesten Film im deutschen Fußball – ist der schnelle Flügelstürmer mehrmals in Aktion zu bewundern – mit weit offener Bluse und (vor allem gegenüber seinen eher korrekt gescheitelten Kollegen) mit gelocktem Haupthaar. Im wichtigen Entscheidungsspiel um die Süddeutsche Meisterschaft in Pforzheim hatte Tscherter zuvor das wichtige 3:0 gegen Phönix erzielt. „Wohl niemals hat eine KFV-Mannschaft besser gespielt als in diesem Spiel’, schrieb damals die KFV-Chronik. (Fast) für die Ewigkeit: Seinen persönlichen Lorbeerkranz zur Meisterschaft mit schwarz-rotem Bändel bewahrte seine Tochter Lore Matz noch 90 Jahre lang, bis 2000 auf, dann soll er laut Skrentny zerfallen sein.
Abbildung: Tscherter im Halbfinale der deutschen Meisterschaft gegen Phönix Karlsruhe. Quelle: Thomas Staisch.
Abbildung: Tscherter (rechts außen am Ball) führt die KFV-Stürmerreihe an. Im Hintergrund: Julius Hirsch. Quelle: KFV-Archiv.
Der Autor traf den Enkel des Ausnahmestürmers, Bernd Matz, zu einem Mini-Interview. Matz erlebte seinen Opa noch 14 Jahre – und ist heute Mitglied im Ehrenrat des „KFV-Erzfeindes“ KSC.
Herr Matz: Stimmt es, dass Fritz Tscherter von seinem Verein nicht geehrt wurde?
„Das ist richtig, hatte aber gewichtige Gründe: Mein Opa hatte schwere Herzprobleme, seine Frau verbat ihm, zu den Ehrungen zu gehen. Das hat ihn immer sehr aufgeregt, es bestand Lebensgefahr! Andererseits hat sich zumindest meine Mutter oft über fehlende Würdigung von Seiten des KFV beklagt. ‚Dabei hat er doch die Flanken geschlagen, damit Hirsch und Fuchs und Förderer die Tore machen konnten!’, hatte sie dann gesagt.“
Die Kicker der Kaiserzeit waren allesamt Amateure – was hatte ihr Opa denn gearbeitet?
„Er war Prokurist und Geschäftsführer bei der Winschmann GmbH, Kohlegroß- und Kleinhandel in der Stephanienstraße (er hat übrigens auch in der Stephanienstraße 94 gewohnt). Das war von Vorteil: Später soll er z.B. den verfolgten und geschassten Julius Hirsch gratis mit Brennmaterial versorgt haben.“
Auch mit dem von den Nazis aus dem Land vertriebenen Gottfried Fuchs pflegte Tscherter eine lebenslange Freundschaft. Laut Autor Skrentny revanchierte sich der KFV-Torjäger mit Hilfspaketen aus dem Asyl in Kanada – 1959 traf man sich in Karlsruhe wieder.
Fritz Tscherter soll immer sehr viel auf sein Äußeres gelegt haben …
„Mein Opa war ein gepflegter Mann, sehr eitel, immer im Anzug und mit gestärktem Kragen. Der Homburger auf dem Kopf wurde sein Markenzeichen. Vor jedem Ausflug hatten wir ein Ritual: Ich erinnere mich, dass er mir immer die Fingernägel kontrolliert, den Scheitel gezogen und meinen nicht vorhandenen Schnurrbart gekämmt hat – er hatte ja einen Bart!“
Wie darf man sich dann einen Spaziergang mit Opa, dem Fußball-Star, vorstellen?
„Für mich als Jungen waren die Spaziergänge durch die Stadt immer aufregend: Alle paar Minuten hat ihn jemand gegrüßt. Als ihn einmal ein Straßenbahnfahrer spätabends in der Bahn erkannt hat (da war ich natürlich nicht dabei), hat er extra die Route geändert und ihn fast bis vors Haus gefahren! Ich weiß auch noch, dass er beim Vorbeigehen am ‚Café Endle’ immer mit seinem Brillant-Ring an die Scheibe geklopft und als Charmeur alter Schule die Damen begrüßt hat!“
Wo konnte man Fritz Tscherter in Karlsruhe antreffen?
„Er war bei jedem Stammtisch im ‚Kaffee Visel’ in der Moltkestraße 81 und natürlich im ‚Moninger’. Der KFV hatte seinen Tisch ganz hinten. Für mich war es eine ganz große Ehre, da dabei zu sein – zwischen all den Fußballstars.“
Wie fast jeder Fußballer jener Tage war auch Tscherter ein begeisterter Leser der Fachpresse, vor allem der „Süddeutschen Sportzeitung“. Bei Enkel Bernd Matz haben sich die gebundenen Ausgaben der Zeitung erhalten – sein Opa hatte wichtige Passagen gerne farbig unterstrichen. Beim Spielbericht über das legendäre 2:1 über Phönix 1910 hatte er die These des Journalisten markiert, dass der Ball manipuliert gewesen sein soll. Ob Fritz Tscherter deshalb mehr über die „Legende von den zwei Blasen“ wusste, kann allerdings nur vermutet werden.
Man kann es nicht glauben, aber ihr Opa, der Deutsche Fußball-Meister, hat Ihnen das Fußballspielen verboten!
„Das ist richtig. Erst nach seinem Tod im Juli 1963 – er starb leider viel zu früh – habe ich angefangen zu kicken. Mein Opa hat die Idee des Profifußballs nie verstanden und auch den Start der Bundesliga im August 1963 nicht mehr erlebt. Für ihn stand beim Fußball allein die Kameradschaft im Mittelpunkt und keine geschäftlichen Interessen.“
Auf dem Platz fiel der Rechtsaußen vor allem durch einen Trick auf, der heute zum Standardprogramm jedes Hobbykickers gehört, damals aber eine Sensation war: Das Vorbeilegen des Balles z.B. links am Gegner bei gleichzeitigem Umlaufen rechts. Laut Medienberichten soll Tscherter die Kunst des „Umschweifens’ – so wurde die Technik damals genannt – perfektioniert haben. Bei den „Schwarzroten“ war er zudem für fast alle Eckbälle zuständig – beim 9:1‑Kantersieg gegen Mannheim 1912 erzielte er sogar ein Tor durch eine direkt verwandelte Ecke. Im berühmten KFV-Team, das 1910–1912 Süddeutscher Meister, 1910 Deutscher Meister und 1912 Deutscher Vizemeister wurde, spielte Tscherter noch bis 1922.
Kurios: In den meisten Matches der Schwarzroten war Fritz Tscherter generell als einer der ersten Spieler am Ball. Warum? Beim Anstoß legten damals die Halbstürmer praktisch aller Teams auf den Mittelläufer (beim KFV war das Koloss Max Breunig) zurück, der dann „mit einem Riesenschlag“ eben Rechtsaußen Tscherter „schickte“. Was passiert wäre, wenn Geppert 1908 Fritz Tscherter bei der Alemannia aufgenommen hätte, ist natürlich spekulativ. Sicher ist aber: Nach der Fusion 1912 wären der Rechtsaußen und seine kongenialer Kollege Förderer beim KFV-Erzfeind Phönix-Alemannia Karlsruhe gelandet.
Fritz “Frieder” Förderer
(* 05. Januar 1888 in Karlsruhe; † 20. Dezember 1952 in Weimar)
Fritz Förderer, genannt „Frieder“, war ein Fußballspieler des KFV, der von 1908–13 zu elf Einsätzen in der deutschen Nationalmannschaft kam und dabei zehn Tore erzielte.
Abbildungen: Autogrammkarte, Quelle: KFV.
Der vom Nachbarn FC Germania zum Karlsruher FV gekommene Halbstürmer war einer der besten Fußballer seiner Zeit. Er war Dribbelkönig und Schusskanone zugleich, der als „Zauberer mit dem Ball“ galt. Als 20-Jähriger vertrat er die Farben des DFB beim ersten Spiel einer deutschen Fußballnationalmannschaft am 5. April 1908 in Basel gegen die Schweiz. Bei der 3:5‑Niederlage steuerte er einen Treffer bei. Auch beim 14 Tage später stattfindenden zweiten Einsatz der Nationalmannschaft gegen England lief er wieder für Deutschland auf das Feld. Er schoss das Ehrentor bei der 1:5‑Niederlage am 20. April in Berlin-Mariendorf. Mit dem KFV gewann er am 15. Mai 1910 in Köln die deutsche Meisterschaft. Mit seiner Schusskraft, seiner Dribbelkunst und seiner Explosivität ragte er aus der Meisterelf heraus. Er war auch 1912 bei der Kieler Revanche mit dabei. Im Kronprinzenpokal feierte er in der Auswahl des Südens in den Jahren 1910 und 1912 den Titelgewinn und wiederholte dies 1921 mit der Mannschaft von Mitteldeutschland. Nach dem 1. Weltkrieg verschlug es ihn beruflich als Sportlehrer an die Saale und er setzte beim VFL Halle 1896 seine aktive Karriere fort. Als Mitglied des „Karlsruher-Sturmes“, Oberle und Wegele von Phönix auf den Flügeln, Förderer, Hirsch und Fuchs vom KFV als Innensturm, ging er in die Historie der Nationalmannschaft beim Spiel am 24. März 1912 in Zwolle gegen Holland ein. Bei den Olympischen Spielen in Stockholm war er in den Spielen gegen Russland und Ungarn fünffacher Torschütze für die deutschen Farben. Mit der 1:4‑Niederlage am 26. Oktober 1913 in Hamburg gegen Dänemark verabschiedete er sich nach 11 Länderspielen mit 10 Toren aus der Nationalmannschaft. Dazu beigetragen hat auch ein schwerer Schienbeinruch während eines Spieles um den Kronprinzenpokal im Spätjahr 1913 im Nürnberger „Zabo“, der ihn in seiner Karriere zurückwarf. Förderer wurde am 20. April 1908 mit seinem zweiten Länderspieltor im zweiten deutschen Länderspiel deutscher Rekord-Torschütze (zusammen mit Fritz Becker, der im ersten Länderspiel zwei Tore geschossen hatte). Am 3. April 1909 wurde er mit drei Toren von Eugen Kipp abgelöst, der den Rekord bis zum 5. Mai 1912 auf acht Tore ausbaute.
Am 1. Juli 1912 konnte Förderer im Rekordspiel gegen Russland (16:0) durch vier Tore zwar Kipps Rekord um ein Tor überbieten, da aber Gottfried Fuchs in diesem Spiel 10 Tore schoss, wurde Fuchs Rekordtorschütze. Am 3. Juli 1912 schoss Förderer im Spiel gegen Ungarn (Endstand 1:3) sein zehntes und letztes Tor für Deutschland.Oftmals war er durch die Meisterschaftsbeanspruchungen seines KFV für die Nationalmannschaft verhindert.
Alle die Fritz Förderer spielen sahen und als Mensch erlebten, waren zutiefst berührt, als er am 6. Dezember 1952 kurz vor seinem 65. Geburtstag in Weimar starb.
Abbildung: Siebter von links: Fritz Förderer mit der deutschen Nationalmannschaft 1908 (beim ersten Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft), Quelle: DFB.
Abbildung: Förderer gegen die Sportfreunde Stuttgart 1912.Quelle: KFV.
Abbildungen: Sammelbilder, Quelle: KFV.
Abbildung: Nachruf und Sammelbilder zu Förderer. Bild rechts: Frau Julchen Förderer und Tochter Lisa. Quelle: Alexander Förderer.
Abbildung: Förderer mit DFB-Abzeichen, Quelle: Alexander Förderer.
Abbildung: Handschriftlicher, sportlicher Lebenslauf von Friedrich Förderer, Quelle: Alexander Förderer.
Abbildung: Förderer im Krankenbett nach seiner schweren Verletzung, Quelle: Alexander Förderer.
Abbildung: Förderer als Trainer von Jahn Regensburg, Quelle: Alexander Förderer.
Abbildung: Förderer mit Halle; Dritter von rechts, Quelle: Alexander Förderer.
Abbildung: Förderer: Einer der besten seiner Zeit, Quelle: Alexander Förderer.
Abbildungen: Auch Sohn Fritz Förderer jun. blieb dem Sport anhänglich. Er wurde ein bekannter Tennis-Lehrer in der DDR, Quelle: Alexander Förderer.
Daten zu Fritz Förderers Leben:
International
Länderspiele/-Tore: 11/10 von 1908 bis 1913
Vereine als Spieler:
Germania Karlsruhe: 1905–1908, Karlsruher FV: 1908–1919, Vfl Halle 1896: 1919–1932
Vereine als Trainer:
VfL Halle, Schwaben Augsburg: 1932–1933, Jahn Regensburg: 1933–1935, 1. FC Naumburg 05: 1935–1937, FC Köthen 02: 1937–1939, S.C. Weimar: 1939–1952
Kinder:
Fridrich August Förderer (1910–1970)
Lisa Förderer (1913–2005)
Ingeborg Förderer (1924–1945 bei einem Bombenangriff auf Weimar)
Interview mit Alexander Förderer aus Halle, einem Ur-Enkel von Fritz Förderer
KFV: „Förderer“ ist nicht „Beckenbauer“, „Seeler“ oder „Matthäus“. Die meisten Spieler aus der Frühzeit des Fußballs sind heute nur noch in den Köpfen von Fußballbegeisterten präsent – wird man denn als „Förderer“ überhaupt noch mit Fußball in Verbindung gebracht bzw. darauf angesprochen?
Alexander Förderer: Ja das Gesprächsthema „Fritz Förderer“ ist immer noch groß in der Familie. Auch ältere Generationen in Halle wissen noch, wer Förderer war auch durch seinen Verein in Halle, dem VfL Halle 1896, aber auch durch seinen Sohn Fritz Förderer jun. Der in Halle ein bekannter Tennislehrer war und auf den Sportplätzen der HSG Wissenschaft St. Anna trainierte.
Die Nachkommen von Frieder lebten in der BRD als auch in der DDR. Kam es trotz der deutschen Teilung zum Austausch in der Familie?
Trotz der deutschen Teilung kam Frieders Tochter Lisa, die einen Regensburger heiratete, ein‑, zweimal im Jahr nach Halle. Nachdem Lisa in Regensburg verstarb, ist deren Familie nach Lanzarote ausgewandert. Die meisten Nachkommen leben in Halle.
Hat Fritz Förderer Anekdoten über seine Fußballkarriere weitergetragen?
Er sagte immer zu seiner Frau Julchen (gest. 1974): „Mein geliebter KFV“. Über andere Vereine sprach er nicht so. Auch noch aus Weimar beobachtete er das Geschehen um seinen KFV in Karlsruhe. Seine Tochter Lisa hatte immer noch Kontakt nach Karlsruhe bis sie 2005 in Regensburg verstarb.
Das wohl am meisten verbreitete Bild von Fritz Förderer zeigt ihn mit seinen ehemaligen Mitstürmern Gottfried Fuchs und Julius Hirsch. Der berühmte KFV-Innensturm Förderer-Fuchs-Hirsch war auch in der Nationalelf erfolgreich. Fuchs und Hirsch wurden als Juden im dritten Reich verfolgt. Hat Förderer von seinen zwei Mitspielern gesprochen oder hatte er noch nach dem 2. Weltkrieg Kontakt mit Fuchs?
Ob Fritz Kontakt zu Hirsch und Fuchs hatte kann man nicht mehr nachvollziehen aber eins weiß man, dass zu seiner Hochzeit 1913 in Karlsruhe Fuchs und Hirsch mit dabei gewesen sein sollen. Meine Tanten konnten sich erinnern, dass er über Hirsch und Fuchs in der Nachkriegszeit gesprochen hat. Er hat sich für deren Schicksal interessiert und auch gesucht. Aber den Tod seiner Tochter Ingeborg, die bei einem Bombenangriff 9. 2. 1945 in Weimar ums Leben kam beschäftigte ihn weitaus mehr. Deren Tod hatte er nie ganz verkraftet.
Abbildung: Förderer (rechts im Bild) mit der Mannschaft der 3. SS-Totenkopfstandarte, der Wachmannschaft des KZ Buchenwald. Quelle: Alexander Förderer.
1939 trainierte Förderer eine SS-Mannschaft und trat 1942 in die NSDAP ein. Ein überzeugter Nationalsozialist war er wohl nicht, da er nach dem Krieg u.a. seine Stellung als Platzwart auf Anordnung der russischen Besatzungsmacht wiederbekam. Wie beurteilen Sie diesen Zeitraum? Hat er je darüber gesprochen?
Über die Kriegszeit hat er nie sehr viel gesprochen. Meine Ur-Oma wollte nie etwas darüber wissen. Meine persönliche Meinung ist, dass die Leute in Weimar zu 80 % gewusst haben, was in Buchenwald passiert. Das kann man gar nicht versäumen. Ich habe mir es selbst vor Ort einmal angeschaut. Der Trainingsplatz lag nicht weit entfernt vom Lager. Er trainierte die 3. SS-Totenkopfstandarte. Ich habe selbst noch Dokumente über die Stunden, die er als Trainer dort ableistete und wieviel Geld er dafür bekam etc. Nach dem 2. Weltkrieg wurde er vom russischen Oberst Kudenow als Platzwart eingesetzt und trainierte neben der Soldatenmannschaft auch die Polizeiwachmannschaft in Weimar.
War es in der DDR schwierig das Andenken an einen Vorkriegsnationalspieler wach zu halten oder ist diesem Umstand keine Bedeutung beizumessen?
Der Name Förderer war in Halle bekannt. Zumal mein Opa auch den Tennissport in Halle nach 1945 wieder aufbaute. Auch den VfL, wo er noch aktiv spielte. Als Jugendlicher hatte ich selbst nicht das größte Interesse an meinem Uropa, wusste aber sehr wohl, wer er war. Insbesondere durch meine Groß-Tanten, die ihn noch „live“ erlebten.
Ist die Familie Förderer auch heute noch Fußball-affin?
Nein Fußball spielt in der Familie Förderer kaum einer. Die Generationen danach sind alle zum Tennis gewechselt.
Welchem Verein drücken Sie heute die Daumen?
Die Generationen, die noch in Halle wohnen, drücken dem VfL Halle 96 die Daumen. Dort spielt auch mein Sohn.
Gibt es auch Ehrungen/Benennungen nach Fritz Förderer? Erfährt er heute noch eine Anerkennung?
Dass Hirsch und Fuchs als Opfer des Nationalsozialismus vorrangig geehrt werden, kann ich gut verstehen. Vor allem vor dem Hintergrund, dass der DFB selbst zu dieser Zeit mit Schuld behaftet ist. Aber ein bisschen finde ich es schon traurig, dass er nie im größeren Rahmen geehrt wurde. Er hat immerhin das erste Länderspieltor geschossen. So etwas gibt es nur einmal und kommt nicht mehr wieder.
Hat Frieder der Familie Erinnerungen an seine großartige Fußballkarriere hinterlassen?
Ja, ich habe einen Ball aus den 1950er Jahren geerbt. Es gibt noch das Ehrenabzeichen des DFB und ein Abzeichen von den Olympischen Spielen von 1912 in Stockholm, Ehrenring (vermutlich 1910) und ein Ehrenring des VfL 1896 Halle.
War Frieder noch einmal nach Kriegsende in Karlsruhe?
Ja, er war auch nach dem Krieg noch einige Mal in Karlsruhe. In Erinnerung geblieben ist ein letztes Treffen mit Tante Babette in Karlsruhe 1950. Das war noch einmal eine letzte größere Förderer-Zusammenkunft. Man verabschiedete Frieders Schwager, der in die USA auswanderte. Bis 1974/75 erreichten die Familie Medikamente aus Karlsruhe (Frieders Frau verstarb 1974).
















Gottfried Fuchs aka Godfrey E. Fochs und sein Länderspiel-Tor-Rekord — Tadelloser Sportsmann, stetes Vorbild
3. Mai 1889 in Karlsruhe — 25. Februar 1972 in Montreal, Québec, Kanada
von Werner Skrentny
Als Gottfried Fuchs, bis auf den heutigen Tag Rekord-Torschütze der deutschen Nationalmannschaft mit zehn Treffern (!) in einem Länderspiel, am 25. Februar 1972 im Alter von 83 Jahren als Godfrey E. Fochs im kanadischen Exil in Westmount verstarb, zeigte die Monopol-Zeitung seiner früheren Heimatstadt Karlsruhe, die „Badischen Neuesten Nachrichten“, seinen Tod mit einer kurzen, einspaltigen, in einen Kasten gesetzten Notiz an. „Politische Ereignisse zwangen ihn dazu, seine Heimat zu verlassen“, hieß es nebulös.
Die Tatsache: Der Mittelstürmer Fuchs war mit seiner Familie als Jude 1937 aus Deutschland geflüchtet. Zum Karlsruher FV ist er nach Ende der Diktatur trotz mehrmaliger Aufenthalte im ehemaligen Heimatland nie zurück gekehrt – „weil sie den „Juller“ Hirsch ermordet haben.“
Fuchs’ einzige Schwester Senta, geboren 1888 in Karlsruhe, wurde 1943 mit ihrem Ehemann Dr. Hugo Bernd, einem Facharzt, aus Koblenz in das KZ Auschwitz deportiert und umgebracht. Die Tante Selma Fuchs aus Konstanz ist ebenfalls in Auschwitz getötet worden. Cousin Philipp Fuchs erschoss sich nach der Pogromnacht am 10. November 1938 in seiner Karlsruher Wohnung, als die ein Rollkommando stürmen wollte. Zahlreiche weitere Verwandte des Fußball-Nationalspielers wurden in der NS-Zeit ermordet.
Bekannten und Sportfreunden wie Fritz Tscherter aus der KFV-Meisterelf von 1910 ließ Fuchs nach Kriegsende Hilfe zukommen, so in Form von Lebensmittel-Paketen aus Übersee.
Ein unzutreffendes Bild vom Verhältnis KFV / Fuchs zeichnete in der noch jungen Bundesrepublik Deutschland der Sportjournalist Richard Volderauer, der 1960 anlässlich einer Zwischenlandung in New York auf dem Weg zu den Olympischen Winterspielen von Squaw Valley ausführlich mit dem Ex-Nationalspieler telefonierte und in einer KFV-Festschrift das Folgende niederschrieb: „Fuchs ist heute ein Siebziger und hängt natürlich an seiner Heimatstadt Karlsruhe und an dem KFV.“
Volderauer (1889–1963), Mitglied des KFV, nach dem Krieg Redakteur des „Offenburger Tagblatt“, hatte die Glanzzeiten von Fuchs noch miterlebt. 1908 – zwei Jahre darauf wurde der Karlsruher FV Deutscher Fußball-Meister -, begann er seine journalistische Laufbahn als Redaktions-Volontär bei der Tageszeitung „Badische Presse“ und führte dort die montägliche Sport-Beilage ein. Als „Schriftleiter für Sport und Heimatteil“ wird Richard Volderauer 1937 bei der Karlsruher Tageszeitung „Der Führer. Hauptorgan der NSDAP Gau Baden“ genannt.
Ein Kartengruß aus Moskau
Ob nun aufgrund seiner NS-Vergangenheit und einem möglicherweise schlechten Gewissen oder ob jugendlicher Erinnerung: Volderauer stellte 1955 den Kontakt zwischen dem DFB und seinem Rekord-Torjäger her. Der Redakteur schlug vor, anlässlich des ersten Fußball-Länderspiels zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland am 21. August 1955 einen Kartengruß aus Moskau nach Kanada zu schicken. Denn beim 16:0 über die Auswahl des zaristischen Russland 1912 bei den Olympischen Spielen in Stockholm hatte Gottfried Fuchs ja zehn Tore erzielt – wie erwähnt Rekord bis heute. DFB-Präsident Dr. Peco Bauwens äußerte „volles Verständnis“ und tatsächlich ließ Bundestrainer Sepp Herberger die Nationalspieler die Karte nach Westmount unterschreiben.
Herberger: „Hellauf begeistert“
Es war der Auftakt zu einem regen Briefwechsel zwischen Herberger und dem Emigranten, den Bernd M. Beyer, Lektor des Autors vom Verlag Die Werkstatt in Göttingen, im DFB-Archiv in Frankfurt/Main entdeckte. Herberger erinnerte sich 1955: „Ich war noch ein kleiner Schulbub in Mannheim, als ich von ihrer Fußballkunst hörte, und dann sah ich sie selbst in Mannheim spielen (Anm.: Phönix Mannheim – KFV 2:2; beide Karlsruher Tore durch Fuchs). Sie und ihr Spiel waren es, das meine Kameraden und ganz besonders mich hellauf begeisterten.“ Fuchs, ebenso wie Herberger Mittelstürmer, antwortete: „Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr mich ihr natürlicher und herzlicher Brief gefreut hat.“
Die vollständige Korrespondenz der beiden früheren Nationalspieler ist leider nicht erhalten. U. a. berichtet Herberger, bis 1964 Bundestrainer, im Jahr darauf von einem „Kreis der Alten“, der sich wohl um den VfR Mannheim und den SV Waldhof gebildet hatte: „Wenn der Name Gottfried Fuchs fällt, dann lebt die große Zeit des Karlsruher Fußballvereins auf, und immer ist dabei auch von Ihnen die Rede. Sie haben nicht nur als ein Spieler großer Klasse, sondern auch als ein vorbildlicher Sportsmann gegolten.“
Für Letzteres gibt es viele Beispiele. Einen Strafstoß, dessen Verhängung er als ungerecht empfand, versuchte Fuchs nach Rücksprache mit dem Schiedsrichter zu korrigieren. Aus dem Lorbeerkranz, der ihm einmal verliehen wurde, zupfte er die Blätter heraus, um sie an seine Mitspieler zu verteilen. Der Torjäger galt als überaus fair und bescheiden. Um seinen Status als Nationalspieler oder den Torrekord hat er auch im Alter nie irgendein Aufheben gemacht. Nach Karriereende taucht er in der Sportpresse weder als Prominenter noch als Kommentator auf. Fußballspiele hat er nach Auskunft der Tochter Anita Fochs Heller später noch besucht, am neuen Wohnsitz in Berlin und im Exil in Frankreich. „Nach 1933 hat er aber nicht mehr viel geredet über Fußball. Er war deprimiert. Er hatte das verloren, was ihm so viel bedeutete im Leben.“
In Kanada, alles andere als ein Fußball-Land, hatte man Fuchs’ Tor-Rekord derweil nicht vergessen. Im Juli 1971 führte er mit 82 Jahren beim Freundschaftsspiel FC Santos gegen FC Bologna (1:0) in Montreal den Anstoß aus und unterhielt sich angeregt mit Weltklasse-Mann Pelé aus Brasilien.
Aus dem Briefwechsel Herbergers mit seinem Jugend-Idol resultiert eine Idee: 1972 ist Deutschland erstmals seit 1936 wieder Austragungsort der Olympischen Sommerspiele. Termin für die Eröffnung des neu erbauten Münchner Olympiastadions ist der 24. Mai: Es spielen die Bundesrepublik Deutschland und die Sowjetunion. Dr. jur. Wolfgang Huber (1913–1998), ein namhafter Tennis-Funktionär aus Essen und Geschäftsführer bei Raab Karcher (einem Unternehmen, dessen Wurzeln in Karlsruhe liegen; der Kontakt zwischen den Familien Huber und Fuchs geht weit zurück), regt bei Herberger eine Einladung für den Rekord-Torschützen ins „Aktuelle Sportstudio“ des ZDF an.
Abbildung: Fuchs schießt aus bedrängter Position im Finale des Kronprinzenpokals. Quelle: KFV-Archiv.
Der frühere Reichs- und Bundestrainer an Dr. Huber: „Glauben Sie, dass Gottfried Fuchs – nach allem, was gewesen ist – überhaupt noch ein Interesse an einem Kontakt mit dem deutschen Fußball hat? Und glauben Sie, dass er gegebenenfalls einer solchen Einladung wegen notfalls auch in die eigene Tasche greifen würde? (…) Ich bitte um vertrauliche Behandlung.“
Dr. Wolfgang Huber antwortet: „Fochs ist heute wieder ein vermögender Mann und durchaus in der Lage, seine Reise zu bezahlen. Gerade im Hinblick auf die Frage, dass wir auch hier viel wieder gut zu machen haben, hegt Fochs keinerlei Ressentiments gegen Deutschland und steht absolut wieder wie früher mit uns.“
Der Essener Jurist wäre ggf. bereit, die Reisekosten zu übernehmen – ein Angebot, das durch Gottfried Fuchs’ Tod nicht mehr relevant war (s. unten).
„Wen könnte man denn besser ehren als ihn, der heute noch den Weltrekord als Torschütze in einem olympischen Spiel innehat, und wen besser ehren als ihn, der als Jude, obgleich er große Verdienste um Deutschland hatte (Hohenzollern-Hausorden, wiederholte Tapferkeit vor dem Feind, Erster Weltkrieg) im Dritten Reich so schlecht behandelt wurde.“
Sepp Herberger schlägt dem DFB vor, Godfrey E. Fochs als Ehrengast zum Russland-Länderspiel in München einzuladen. „Eine solche Einladung als ein Versuch der Wiedergutmachung willfahrenen Unrechts würde sicherlich nicht nur im Kreis der Fußballer und Sportler, sondern überall in Deutschland ein gutes Echo finden.“ Nach Kanada schreibt der Fußballlehrer an Fochs: „Halten Sie sich diesen Termin 24. Mai schon einmal frei.“
Das DFB-Präsidium, das u. a. ehemalige NSDAP-Mitglieder bilden, lehnt eine Einladung ab: Es würde ein Präzedenzfall geschaffen, heißt es. Auch aus finanziellen Gründen sei eine Einladung nicht möglich: „Die Haushaltslage ist sehr angespannt.“
Der Flug Montreal – Frankfurt/Main und retour hätte den größten und reichsten Sportverband der Welt damals 1.760 DM gekostet.
Abbildung: Gottfried Fuchs (3.v.l.) mit der deutschen Nationalmannschaft vor dem Rekordspiel gegen Russland bei den Olympischen Spielen 1912. Die Spieler von l.n.r.: Karl Burger, Hans Reese, Gottfried Fuchs, Otto Thiel, Walter Hempel, Adolf Werner, Fritz Förderer, Emil Oberle, Karl Uhle, Dr. Josef Glaser, Camillo Ugi.
„Es ist auf NIEMANDEN mehr Verlass“
Sepp Herberger ist bitter enttäuscht und schreibt am 22. März 1972 an sein einstiges Idol: „Diese Absage ist für mich eine einzige Enttäuschung und ein Anlass, wieder einmal mehr festzustellen, dass (…) auf NIEMANDEN mehr Verlass ist (…) Es tut mir sehr leid, Sie enttäuschen zu müssen.“
Tod nach dem Schneesturm
Godfrey E. Fochs hat von der Absage nie mehr erfahren, denn er stirbt wie eingangs erwähnt am 25. Februar 1972. Er hatte noch Tennis in der Halle gespielt am Vorabend und war dann, weil Taxen im Schneesturm nicht mehr verkehrten, in Montreal nachts fast sechs Kilometer nachhause gelaufen. Fochs starb in seinem Badezimmer „einen Tod ohne Leiden“. Sepp Herberger erfährt davon erst am 5. Mai.
Gottfried Erik Fuchs wurde 1889 in Karlsruhe geboren. Wie all seine Geschwister erhielt er einen Vornamen aus Richard Wagner-Opern, den Vater Gustav hoch verehrte. Erik, das war der Jäger aus „Der fliegende Holländer.“
Abbildung: Gottfried Fuchs in Aktion. Quelle: KFV-Archiv.
Die Großeltern waren aus dem Dorf Weingarten bei Karlsruhe in die badische Residenzstadt gezogen. Die Familie verlegte sich überaus erfolgreich auf den Holzhandel, weshalb der Mittelstürmer zeitweise unzutreffend als „Fußball-Millionär“ bezeichnet wurde. Das Fußballspiel hat er womöglich erst in Karlsruhe, danach bei seinem beruflichen Aufenthalt in London kennen gelernt und als er in Düsseldorf seine Ausbildung als Kaufmann komplettierte, wurde er mit dem dortigen FC 99 Westmeister. Dem Team gehörten seinerzeit zur Hälfte Engländer an.
„Der neueingestellte Fuchs“
Dass er sich als Spross der bürgerlichen Oberschicht dem „neuen Sport“ verschrieb, war typisch für jene Anfangsjahre des Fußballs. Den trieben Doktoren, Studenten, Oberschüler und Realschüler voran. „Der neueingestellte Fuchs“, damals 17 Jahre jung, wirkte am 8. April 1907 erstmals beim KFV mit, als Pionier Walther Bensemann den Oxford University Association Football Club aus England nach Karlsruhe verpflichtet hatte.
Dies war ein außerordentliches Ereignis, die 3.000 Zuschauer bedeuteten damals deutschen Besucher-Rekord! Stadt und Fremdenverkehrsamt Karlsruhe übernahmen die Kosten für das Gastspiel, es gab ein umfangreiches Begleitprogramm und auf der eigens errichteten Tribüne nahm auch „seine großherzogliche Hoheit“ Prinz Max von Baden Platz. Oxford gewann 3:0. Unter den Zuschauern dürfte auch der damals 15-jährige KFV-Jugendspieler Julius Hirsch gewesen sein.
Abbildung: Gottfried Fuchs mit Pele bei einem Freundschaftsspiel des FC Santos (Peles Heimatverein) bei dem Fuchs den Ehrenanstoss ausführte. Rechtes Bild: Fuchs in der Bildzeitung nach dem 13:0 gegen San Marino im September 2006. Quelle: Werner Skrentny/ KFV-Archiv.
„Fußball-Metropole“ Karlsruhe
Die Residenz der badischen Großherzöge galt damals als deutsche „Fußball-Metropole“, ein Ruf, den später die Deutschen Meister Phönix (1909) und KFV (1910) bestätigten. Die „Illustrierte Sportzeitung“ aus München berichtete im KFV-Meisterjahr: „Einige Tausend Einwohner der badischen Residenz verbringen den Sonntag-Nachmittag regelmäßig bei den Fußball-Wettkämpfen. Die Ligameisterschaftsspiele sind zu Ereignissen geworden, welche im öffentlichen Leben der Stadt viel bemerkt werden. Karlsruhe ist die Wiege des deutschen Fußballsports.“
Den schlanken, schlaksigen Gottfried Fuchs zeichnen Schnelligkeit, Wendigkeit, eine ausgezeichnete fußballerische Technik und Treffsicherheit aus. In seiner Zeit gilt er als einer der herausragenden Mittelstürmer. 1910 wird „Gotti“ bzw. „Gottes“, wie er genannt wurde, mit dem KFV Deutscher Meister, und ein Jahr später als erster Nationalspieler jüdischen Glaubens beim 6:2 gegen die Schweiz (zwei Fuchs-Tore) berufen. In sechs Länderspielen erzielt er 14 Tore.
Abbildung: Fuchs (Mitte) nimmt ein Zuspiel von Breunig auf. Quelle: KFV-Archiv.
Abbildung: Fuchs (links) im Spiel gegen Erzrivalen Phönix. Quelle: Thomas Staisch.
1912 gewinnt Süddeutschland in Berlin mit 6:5 gegen Brandenburg (KFV-Beitrag: 3 Tore Hirsch, 2 Fuchs) den Kronprinzenpokal. Das ist der bedeutendste Länder-Wettbewerb für Verbandsmannschaften, seit 1909 ausgespielt. Ab 1919 heißt er Bundespokal, danach Reichsbund-Pokal und schließlich DFB-Länderpokal (für Amateure). In der süddeutschen Siegerelf von 1912 stehen neben Hirsch und Fuchs mit Ernst Hollstein, Franz Burger, Max „Mäxle“ Breunig, Wilhelm Gros, Frieder „Fridder“ Förderer (alle KFV) und Wegele (Phönix) weitere Karlsruher.
Im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft unterliegt der KFV 1912 dem Gegner vom Finale 1910, Holstein Kiel, 0:1 – auch, weil Mittelstürmer Fuchs durch eine Knieverletzung gehandikapt ist.
Seine Sternstunde erlebt er dann, bestimmt auch wegen der Zuspiele seines KFV-Mannschafts-Kameraden Förderer, wie erwähnt bei den Olympischen Spielen 1912 in Stockholm: Zehn Tore beim 16:0 gegen das zaristische Russland. Dies bedeutet Weltrekord, gemeinsam mit Sofus Nielsen, der 1908 ebenfalls beim olympischen Fußball-Turnier für Dänemark beim 17:1 gegen Frankreich zehnmal traf. Übertroffen wird die Rekord-Marke erst 2001, als Archie Thompson im WM-Qualifikationsspiel Australien gegen Amerikanisch-Samoa beim 31:0 13 Tore erzielte.
Im Krieg: „besondere Tapferkeit“
Mit Kriegsbeginn 1914 meldet sich Gottfried Fuchs als Freiwilliger und kämpft bis zu einer schweren Verwundung im März 1918 durch einen Schrapnellschuss in den linken Arm durchgehend an der Westfront. Als Leutnant der Reserve verlässt er den Militärdienst. Mehrfach ausgezeichnet, dürfte er der höchstdekorierte Kriegsteilnehmer der DFB-Nationalmannschaft sowohl im 1. Als auch im 2. Weltkrieg gewesen sein, erhielt er doch auch das „Kreuz der Ritter des Königlichen Hausordens von Hohenzollern mit Schwertern“, das 8.921mal vergeben wurde. Abteilungs- und Regiments-Kommandeur beschreiben Gottfried Fuchs als „tüchtigen, schneidigen Offizier, im Kameradenkreis sehr gern gesehen und sehr beliebt“. Hervor gehoben wird seine „besondere Tapferkeit“.
Der Leutnant Fuchs kämpft an der Westfront auch gegen Engländer, in deren Land er ehemals gelebt und mit deren Fußballern er in einer Mannschaft gespielt hatte. Später wird er vom Lebensstil her als anglophil gelten; u. a. ordert er Anzüge aus London. Wie er, der aus einem eindeutig deutschnationalen Elternhaus stammte, diesen Krieg und seinen Einsatz empfunden hat, darüber kann mangels Zeugnissen nichts berichtet werden.
Nachdem er am 30. November 1918 aus dem Heer entlassen wird (die Monarchie stürzt am 9. November), spielt Gottfried Fuchs wieder für den KFV. Doch haben der Beruf und die Firma H. Fuchs und Söhne schließlich Vorrang. Nach der Heirat mit der jüdischen Architektin Eugenia Steinberg aus Warschau werden 1924 im Feriendomizil im heutigen Bad Herrenalb die Zwillinge Jan und Yvonne geboren. Die Familie kauft die Villa in der heutigen Reinhold-Frank-Str. 54 in Karlsruhe, wo 1926 Tochter Anita zur Welt kommt. 1929 erfolgt die Umsiedlung des inzwischen auch international tätigen Kaufmanns in die Berliner „Villencolonie Nikolassee“, wo Tochter Natalie geboren wird. Als begeisterter Tennisspieler engagiert sich Fuchs im dortigen Klub, er übernimmt auch Funktionen, bis der Verein 1935 seine jüdischen Mitglieder ausschließt. Nebenbei: Einstmals hatte Fuchs, vermutlich aufgrund seiner Erfahrungen in England, das Cricketspiel nach Karlsruhe gebracht.
Antisemitismus hatte Fuchs noch in Karlsruhe erfahren, als 1926 die Gedenktafel an der Synagoge für die jüdischen Weltkriegs-Toten mit Teer besudelt wurde. Nicht mehr lesbar war auch der Name seines Cousins Erich Fuchs, der 1917 als Kriegsfreiwilliger im Alter von 19 Jahren ums Leben kam.
In der Reichshauptstadt Berlin, dem neuen Wohnsitz, erlebt er die Machtübernahme der NSDAP, den sog. Judenboykott am 1. April 1933, die Nürnberger Gesetze von 1935. Die polizeiliche Abmeldung der Familie Fuchs aus Berlin datiert vom 30. Dezember 1937. Die Kinder, die im Alltag bereits Schikanen erfahren haben, glauben an einen Urlaub in Engelberg in der Zentralschweiz. Tatsächlich hat das Ehepaar beschlossen, zu emigrieren: „Als Jude hat Gottfried Fuchs nach Erlass der Nürnberger Gesetze klar die Entwicklung für sich und seine Familie erkannt. Es lagen eine große Anzahl von Ereignissen im Leben der Familie Fuchs schon zu jener Zeit vor, die ihn bestimmten Deutschland zu verlassen“ (1952).
Kein Exil in der Schweiz
Die Schweiz allerdings gewährt kein Exil. Unterlagen dazu sind in den dort zuständigen Archiven heute unerklärlicherweise nicht mehr aufzufinden. Im Oktober 1938 muss die Familie das Land verlassen.
Da die Vorfahren von Fuchs’ Mutter Sarah aus dem Elsass stammen, bemüht sich der Geschäftsmann um die französische Staatsbürgerschaft – vergebens. Im Zürcher US-Konsulat erhält er die Visa für die Einreise in die USA, doch wollen die Kinder nicht dorthin.
Abschied von „Juller“ Hirsch
Man lässt sich in Paris nieder, wo Gottfried Fuchs letztmals seinen früheren Mannschaftskameraden Julius Hirsch trifft. Er schrieb über die Begegnung 1966 an Sepp Herberger: „Die Hitlerzeit ganz zu vergessen ist für diejenigen, die unter ihr geduldet und gelitten haben, nicht einfach. Ich komme nicht darüber hinweg, wie ich im Jahre 1939 (Anm.: zutreffend ist 1938), kurz vor dem Ausbruch des Krieges, dem lieben Juller Hirsch in Paris mit Wehmut im Herzen zum letzten Male die Hand zum Abschied drückte, als er zu seiner Familie nach Karlsruhe zurückzukehren sich entschloss.“
Nach dem Angriff Deutschlands 1940 auf Belgien, die Niederlande, Luxemburg und Frankreich wird Fuchs in Paris als „feindlicher Ausländer“ interniert, denn er besitzt nach wie vor die deutsche Staatsbürgerschaft.
Ob Gottfried Fuchs im Exil noch von dem „kicker“-Sammelbilder-Album „Die deutschen Nationalspieler“ erfahren hat, das 1939 veröffentlicht wurde? (vergleichbar mit den „Panini“-Alben). Es fehlen darin drei Fotos und die entsprechenden Biografien. Ein Nationalspieler wurde durch ein Versehen vergessen, Gottfried Fuchs und Julius Hirsch aber werden aus rassistischen Gründen nicht gewürdigt. Bei der Neuauflage dieses Albums 1988 durch das Kölner Sport-Antiquariat Strauß war zwar „der Führer“ auf zwei Bildseiten nicht mehr großflächig abgebildet, wohl aber fehlten nach wie vor die beiden Karlsruher Internationalen.
Die Rettung für die Familie Fuchs bedeutete das Visa für Kanada, das dessen Generalkonsul Georges Vanier in Paris ausstellt. Es ist die Ausnahme, denn von 1938 bis 1945 nimmt Kanada lediglich 5.000 jüdische Flüchtlinge auf. Die deutsche Wehrmacht steht bereits in Frankreich, als Gottfried und Ehefrau „Genia“ mit den vier Kindern und der greisen Mutter Sarah Fuchs das Land in St. Malo in der Normandie verlassen. Sarah (1863–1941) wird in Kanada sterben. In London sieht Gottfried seine Brüder Walther und Siegmund wieder. Richard, der Architekt, ein weiterer Bruder, ist nach Neuseeland entkommen.
1941 teilt die Gestapo dem Finanzamt Berlin-Moabit mit: „Die Vermögenswerte des Juden Gottfried Israel Fuchs (Anm.: siehe oben, der Vorname Erik aus der Wagner-Oper entfiel) sind im Zuge der beabsichtigten Ausbürgerung durch die Staatspolizeistelle Berlin sichergestellt worden.“
Weil der Name Fuchs englisch ausgesprochen unangenehm klingt, heißt der Emigrant fortan Godfrey E. Fochs. Aufgrund des Antisemitismus im neuen Heimatland kann er nicht mehr in der Holzbranche tätig sein. Er arbeitet jetzt im Textilgeschäft. Die Familie lässt sich wie erwähnt schließlich in Westmount, Montreal, nieder. Dort, bei den öffentlichen Tennisplätzen, befindet sich an einem Baum eine kleine, von Tochter Anita angebrachte Plakette, denn Fochs war dort oft aktiv. Der Mount Royal Tennis Club of Montreal wollte den Juden damals nicht aufnehmen.
Die Gräber der Karlsruher
Ihre letzte Ruhestätte haben „Godfrey Eric Fochs (Gottfried Fuchs)“, so die Inschrift auf dem Grabstein, und „Eugenie Fochs (Fuchs)“, verstorben 1965, auf dem Baron de Hirsch Cemetery von Montreal gefunden. Unweit davon, in einer anderen Abteilung des Jüdischen Friedhofs, befindet sich das Grab von Max Hirsch, dem Bruder von Fuchs’ ehemaligen Mitspieler Julius. Er war 1948 nach Kanada emigriert. Doch haben sich die beiden, aus Karlsruhe stammenden Familien Fuchs und Hirsch in Montreal nie kennen gelernt – ein Beweis für die Wirren jener Zeit, obwohl inzwischen eine Reihe möglicher Berührungspunkte über die Nachfahren ausgemacht wurde.
Dass der Kontakt zwischen den Familien Fuchs/Fochs aus Kanada und Hirsch aus Karlsruhe wieder zustande kam, war Danny Mulheron aus Neuseeland zu danken. Der Filmemacher drehte mit seiner Frau Sara Stretton zu seinem Großvater Richard Fuchs, inzwischen auch als Komponist u. a. in Karlsruhe gewürdigt, 2008 die Dokumentation „The Third Richard“. Er filmte dabei u. a. auch im Haus Beiertheimer Allee 42 a, dem letzten Bauwerk, das Richard Fuchs in Karlsruhe konzipiert hatte. Entworfen hatte Richard Fuchs 1928 auch die Synagoge von Gernsbach im Murgtal, die zehn Jahre später durch Brandstifter der SA vernichtet wurde (s. a.: www.richardfuchs.org.nz). Die zweimaligen Besuche des Autors in Kanada bei der Familie Fochs halfen, die Verbindung nach Karlsruhe zu intensivieren.
Die Nazi-Diktatur, von Millionen Deutscher befürwortet, hatte zahlreiche Mitglieder der Familie Fuchs in viele Exilländer gezwungen — aber nicht auseinander gebracht. Das war zuletzt in Haarlem in den Niederlanden zu erleben, als sich im Juli 2015 etwa 100 Mitglieder der Familie zur dritten „Fuchs Family Reunion“ trafen – darunter zahlreiche Jüngere. Hinter der weißen Fahne mit dem darauf gemalten Fuchs pilgerten sie durch die Haarlemer Altstadt, zur Kanalfahrt, entdeckten „junge Matjes“ auf dem Markt und lauschten dem Konzert mit Kompositionen von Gottfrieds Bruder Richard. Sie kamen aus vielen Ländern: USA und Kanada und Großbritannien, der Schweiz, den Niederlanden und Neuseeland. Das erste Treffen der Familie hatte 2009 in Karlsruhe stattgefunden, ein weiteres 2012 in Esterel, Kanada, in einem Resort-Hotel am See.
Als der Gottfried-Fuchs-Platz am 20. Juni 2013 im Beisein von Karlsruhes Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup und des früheren DFB-Präsidenten Dr. Theo Zwanziger mit einem würdigen Festakt eingeweiht wurde, war auch Tochter Natalie Fochs Issacs mit weiteren Verwandten vor Ort. Die Kanadierin sprach in deutsch, fließend; nur die Aussprache des Worts „Oberbürgermeister“ fiel ihr schwer…
Der „Jugendpreis Gottfried Fuchs“
Im Jahr 2017 werden die drei Fußballverbände von Baden-Württemberg – der Badische Fußball-Verband, der Südbadische Fußball-Verband und der Württembergische Fußball-Verband – erstmals den „Jugendpreis Gottfried Fuchs“ verleihen. Damit wird der Einsatz „für Menschlichkeit und Toleranz, gegen Rassismus und Antisemitismus“ von Vereinen, Abteilungen oder einzelnen Mannschaften gewürdigt. Der mit insgesamt 10.500 Euro dotierte und in Abstimmung mit den Nachkommen von Godfrey E. Fochs geschaffene Preis wird alle zwei Jahre vergeben. Er geht zurück auf eine Initiative von Dr. h. c. Alfred Sengle (1934–2015), WFV-Ehrenpräsident, ehemals DFB-Vizepräsident und Rottweiler Landgerichts-Präsident a. D..
Dieser Preis wird der Person und dem Sportsmann Gottfried Fuchs gerecht.
Wie bedauerlich, dass er dies nicht mehr erleben durfte.
Abbildungen unten: Spielszenen mit Gottfried Fuchs. Die ersten beiden Bilder zeigen Fuchs in der deutschen Nationalmannschaft. Die übrigen im KFV-Dress. Bildquellen: Erste zei Abbildungen: DFB, danach: KFV.
Abbildung: Bayern München – KFV 0:5 (ca. 1911): Fuchs schießt (gegen den damaligen “besten Torwart der Welt”, Pekarna, das letzte Tor), Quelle: KFV.
Abbildungen unten: Noch heute erinnert man sich an Gottfried Fuchs’ Torrekord, hier nach dem Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen San Marino, 2006 (Bild-Zeitung):
Abbildung: Zusammen mit Julius Hirsch (siehe unten) prägt Fuchs seit 2013 mit einem eigenen Platz auch das Karlsruher Stadtbild. Quelle: Stadtwiki Karlsruhe.
Abbildung: Die Nationalmannschaft die im März 1912 gegen die Niederlande in Zwolle ein spektakuläres 5:5 erspielte. Gros, Breunig, Burger, Hollstein, Röpnack, Werner, untere Reihe v.l.n.r.: Wegele, Förderer, Fuchs, Hirsch und Oberle. Quelle: KFV-Archiv.
Julius “Juller” Hirsch
(* 07. April 1892 in Achern; † wahrscheinlich 1943, zum 8. Mai 1945 für tot erklärt)
von Werner Skrentny
„Das Schicksal von Julius Hirsch darf nicht in Vergessenheit geraten. Es ist erschütternd, sich vorzustellen, dass einem Menschen – vorher noch umjubelt wegen seiner Tore – vom einen auf anderen Tag auf der Straße ausgewichen wird.“
(der ehemalige DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger, der es sich zu einem Hauptanliegen gemacht hatte, die oft unrühmliche Vergangenheit des Verbandes aufzuarbeiten).
Er erzielte als erster deutscher Fußball-Nationalspieler in einem Länderspiel vier Tore. Das war 1912 beim 5:5 gegen Holland in Zwolle (ein weiterer Treffer ging auf das Konto von Gottfried Fuchs vom KFV).
Er wurde als erster Spieler mit zwei Vereinen Deutscher Meister: 1910 mit dem KFV und 1914, als Spielführer, mit der SpVgg Fürth.
Er war dabei, als Deutschlands Fußballer 1912 erstmals an den Olympischen Spielen teilnahmen, in Stockholm.
War Julius Hirsch also ein früher Fußball-Star? Zumindest taucht sein Porträt 1925 auf dem Zigaretten-Sammelbild Nr. 303 der Berliner Firma Manoli auf. Das war zu einem Zeitpunkt, als er seine Laufbahn ausklingen ließ. Wohl aber schien sein Nachruhm damals noch zu wirken.
Mitte der 1920er Jahre nämlich hatte sich der Fußball zum Massensport entwickelt. Durch die Förderung des Militärs im 1. Weltkrieg, aufgrund des Acht-Stunden-Arbeitstags und weil die Medien ihm viel mehr Aufmerksamkeit widmeten. Neue Idole waren angesagt: „Tull“ Harder, der hünenhafte Mittelstürmer des Hamburger SV, oder „Heiner“ Stuhlfauth, Schlussmann des 1. FC Nürnberg.
Julius Hirsch, der Karlsruher Kaufmann, dagegen gehörte zu den Pionieren der damals noch jungen Sportart von der britischen Insel. Namhaft war er damit in einer Zeit, als die Anhängerschar im Fußball noch überschaubar war (wobei Karlsruhe oft Besucherrekorde meldete!). An sich hätte er als Bub’ den Klavierunterricht aufsuchen sollen, doch entschied er sich fürs Fußballspiel auf dem legendären „Engländerplatz“, dem „Engländerle“, in Karlsruhe.
„Knirps auf Linksaußen“
Es ist ein Glücksfall der deutschen Fußballgeschichte, dass Aufzeichnungen zu seiner sportlichen Laufbahn im Familienbesitz erhalten geblieben sind. Nieder geschrieben hat die 1938 in seinem letzten Aufsatz im Realgymnasium Goetheschule Karlsruhe, das er aus rassischen Gründen verlassen musste, Julius’ Sohn Heinold (1922–1996), damals 16 Jahre jung: „Auf dem „Engländerle“ verbrachte ich (Anm.: Julius Hirsch) den ersten Teil meiner Jugend, trotz Schlägen und Strafen, die ich für meine so „sauberen“ Hosen und Strümpfe bekam (…) Man stellte anfangs den noch kleinen Knirps auf Linksaußen (also gewissermaßen kalt), und daraus entwickelte sich später der Linksaußen oder Linksinnen Deutschlands.“
Heinold, das wurde bereits erwähnt, durfte ebenso wie die Hirsch-Tochter Esther (1928–2012) in der NS-Zeit aufgrund der jüdischen Abstammung die Schule nicht mehr besuchen.
Zu Julius Hirsch und Gottfried Fuchs vom KFV wird oft angemerkt: „Es gab nur zwei Juden in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft“ (Hervorhebung vom Autor). Dies hat damit zu tun, dass der Fußballsport in seinen Anfängen ausschließlich von Akademikern (!), Studenten und höheren Schülern betrieben wurde. Tatsächlich aber gab es weitere herausragende Spieler, Sportlerinnen und Sportler jüdischen Glaubens, die der NS-Ideologie vom „schwächlichen Juden“ widersprachen.
„Der spielt jetzt immer!“
Julius Hirsch, geboren 1892, die Eltern besaßen ein Textilgeschäft in der Kaiserstraße, schloss sich mit zehn Jahren dem Karlsruher FV an. Das Debüt 1909 in der 1. Mannschaft beim 4:0 gegen den Deutschen Ex-Meister Freiburger FC hat sein Sohn Heinold aus der Sicht des Vaters wie folgt geschildert: „Beim Spiel gegen Freiburg fehlte der damals schon etwas alten Mannschaft des KFV ein Linksaußen (…) Man kann sich denken, ich hatte schon ein bisschen Herzklopfen, als ich zum ersten Mal unter lauter so berühmten Namen spielte, aber bald spielte ich wie sonst und schoss auch ein Tor. Nach dem Spiel sagte der damalige Trainer Townley: „Dieser Linksaußen spielt jetzt immer!“ und trotz der Einwendungen der „Alten“ verjüngte er dann langsam den KFV.“
Das geschah am 6. März 1909. Sein erstes Tor, da trog die Erinnerung fast drei Jahrzehnte danach, erzielte der „Juller“, wie er von den Sportfreunden und Anhängern genannt wurde, allerdings „erst“ im Mai 1909 beim 4:0 gegen Alemannia Karlsruhe.
Abbildung: Zigaretten-Sammelbild mit Julius Hirsch und Hirsch in Aktion. Quelle: KFV-Archiv.
Abbildung: Fußball der „Marke Hirsch“. Quelle: Werner Skrentny.
Fehlt ein Länderspiel-Tor?
Abgesehen davon, dass Hirsch von da an einen Stammplatz in der „Ersten“ des KFV in der damaligen deutschen Fußball-Hochburg Karlsruhe besaß, erst auf Linksaußen, später als Halbstürmer und Spielmacher, erntete er rasch die Meriten seines Könnens. Der 1.68 Meter große Stürmer galt als schnell und trickreich, „links wie rechts treffsicher“, was auch überregional auffiel. Es gab damals keinen Bundestrainer wie heute, man erachtete die Entfernungen im Kaiserreich als zu groß. Die Nationalelf stellte ein Spielausschuss, mal in Karlsruhe, mal in Hamburg ansässig, zusammen. „Juller“ Hirsch bestritt von 1911 bis 1913 sieben Länderspiele und erzielte vier Tore. Wobei man letztere Angabe hinterfragen muss: Mindestens zwei Zeitungen berichten, nicht Kipp (Stuttgarter Kickers) hätte 1913 in Freiburg das 1:2 gegen die Schweiz erzielt, sondern der Karlsruher.
Als Hirsch zur Saison 1913/14 vom Deutschen Ex-Meister KFV zur SpVgg Fürth wechselte, ging das ohne jegliche Aufregung vonstatten. Die „Kleeblättler“ aus Franken kamen zum Ablösespiel in die damalige badische Residenz, man hängte Hirsch zum Abschied einen riesigen Lorbeerkranz um. Denn es waren berufliche Gründe, die ihn zum Fortgang bewegt hatten. Ehemals Lehrling in der Lederhandlung Freund und Strauss in der Karlsruher Kreuzstr. 31, hatte er als Kaufmann eine Anstellung in der zeitweise weltweit bedeutendsten Spielzeugfabrik Gebrüder Bing in Nürnberg gefunden. Eine Rolle mag auch gespielt haben, dass sein früherer Karlsruher Trainer William Townley in Fürth arbeitete und die SpVgg sich gezielt um Verstärkungen von außerhalb bemühte.
Abbildung: Hirsch mit Förderer und Fuchs auf dem Cover von „Süddeutscher Illustrierter Sport“. Quelle: Stadtarchiv Karlsruhe. Rechts: Hirsch zusammen mit Förderer auf dem Cover der Süddeutschen Sportzeitung. Das Foto auf dem Cover wurde beim Spiel des KFV gegen den VfB Stuttgart aufgenommen. Quelle: Thomas Staisch.
Sogar auf Zelluloid sind der KFV und Julius Hirsch im ältesten erhaltenen deutschen Fußballfilm in ihren Glanzzeiten einmal verewigt worden: Am 1. Mai 1910 im DM-Halbfinale beim 2:1 gegen den Stadtrivalen Phönix auf dem KFV-Platz. Das war bereits 2001 in „Das große Buch der deutschen Fußballstadien“ zu lesen. Dennoch wurde der dreiminütige Film im Januar 2014 als „Sensationsfund“ publiziert.
Müssen wir nun noch einmal das Wörtchen „nur“ bemühen? Denn mehr als sieben Länderspiele hätten es sein können. Doch begann 1914 der 1. Weltkrieg; die deutsche Länderspiel-Pause währte von April 1914 bis Juni 1920. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass Militär-Angehörigen – Hirsch leistete seinen einjährigen Dienst 1912/13 beim Badischen Leib-Grenadier Regiment 109 in Karlsruhe, dass die Schloss-Wache stellte – keine fußballerischen Auslands-Reisen erlaubt waren.
Der 1. Weltkrieg begann am 1. August 1914, sechs Tage später wurde Julius Hirsch in Bayern Soldat. Sein Elternhaus war deutschnational eingestellt und Vater Berthold hatte 1870/71 am Krieg gegen Frankreich teilgenommen. Der Sohn verbrachte den Krieg vor allem in der Etappe, als Schreiber und Dolmetscher. Vizefeldwebel war sein letzter Rang, er erhielt das Eiserne Kreuz II. Klasse sowie die Bayerischen Dienstauszeichnung. Am 9. November 1918 endete die Herrschaft von Kaiser Wilhelm II und am 18. November konnte Hirsch das Militär verlassen. Infolge einer Verletzung spielte er aber erst wieder ab März 1919 bei der SpVgg Fürth, ehe er nach Karlsruhe heimkehrte.
Die elterliche Firma hatte sich als „Deutsche Signalflaggenfabrik Gebr. Hirsch & Co“ auf Militär-Zubehör spezialisiert. Dies war mit Kriegsende hinfällig, weshalb man sich als „Sigfa Sport“ auf die Herstellung und den Vertrieb von Sportartikeln verlegte. Julius und sein Bruder Max wurden 1926 als Geschäftsführer bestellt. Die Firma florierte, man produzierte sogar einen Fußball „Marke Hirsch“, um den Bekanntheitsgrad des Nationalspielers zu nutzen. Hirsch hatte 1920 die Modistin Ellen Hauser, Direktrice in der Textilbranche, geheiratet, die aus diesem Anlass zum jüdischen Glauben übertrat. Sohn Heinold wurde 1922 geboren, die Tochter Esther 1928. Beide erinnerten sich an einen liebevollen Vater voller Zuwendung. Hirsch besaß ein Auto der Marke „Wanderer“, die Familie lebte in einer geräumigen Wohnung Kaiserallee 123. Übrigens unweit des Viertels, in dem die weit verzweigte Familie der „Holz-Füchse“ ansässig war, aus der sein Mitspieler Gottfried Fuchs stammte.
Zurück beim KFV: „Geradezu unverwüstlich“
Julius Hirsch stand mit nunmehr 27 Jahren dem KFV wieder zur Verfügung und wurde als „1. Spielführer“ gewählt (Bruder Rudolf war Kassenwart des Vereins, ab 1924 Vorsitzender des Spielausschuss, dem auch „Juller“ angehörte). Nach wie vor war er eine bedeutende Person auf dem Platz: „Der alte Internationale ist geradezu unverwüstlich“, meldete die führende Fachzeitschrift „Fußball“ 1920. „Der Rasensport“ zwei Jahre darauf: „Hirsch spielte wie in seinen besten Tagen.“ 1923 wurde er sogar noch einmal in die Auswahl von Süddeutschland berufen. Das Mannschaftsfoto zeigt einen körperlich etwas fülligeren Akteur, womöglich war Hirsch als Lokalmatador Ersatz, doch erzielte er beim 3:3 gegen die Zentralschweiz auf dem Phönix-Platz von Karlsruhe ein Tor. 1924 stieg der KFV in die 2. Liga, die damals Kreisliga Mittelbaden hieß, ab. Hirsch stand auch in dieser Klasse dem Verein noch einmal zur Verfügung, ehe er mit dem Wiederaufstieg 1925 die Laufbahn beendete (abgesehen von folgenden AH-Begegnungen).
Es wird fälschlicherweise oft berichtet, Julius Hirsch habe mit der NS-Machtübernahme 1933 den Karlsruher FV verlassen müssen. Inwiefern die Mitglieder jüdischen Glaubens nicht mehr Mitglied sein konnten, wird an anderer Stelle berichtet (siehe Kapitel zum Nationalsozialismus).
Abbildung: Julius Hirsch auf dem Cover von „Fußball. Quelle: Werner Skrentny.
„Entfernung der Juden aus den Sportvereinen“
Tatsächlich hatte Hirsch seine Mitgliedschaft nach 31 Jahren aufgekündigt.
Der Anlass war eine Meldung im Stuttgarter „Sportbericht“, wonach am 9. April die teilnehmenden Vereine an der Süddeutschen Meisterschaft – darunter der KFV, Phönix Karlsruhe und die SpVgg Fürth – beschlossen hatten, „alle Folgerungen, insbesondere in der Frage der Entfernung der Juden aus den Sportvereinen, zu ziehen.“
Bereits am 1. April hatte auch in Karlsruhe der sog. Judenboykott stattgefunden („Kauft nicht beim Juden!“; „Wer jetzt noch zum Juden geht, ist ein Verräter an seinem Volke“). An der „Riesenkundgebung am Marktplatz“, Samstag, 17 Uhr, nahmen 25.000 Menschen teil.
Julius Hirsch wartet nicht ab, ob ihn auch „die Entfernung der Juden aus den Sportvereinen“ betrifft, sondern verfasst einen Brief. Dieser gehört zu den bemerkenswertesten Zeugnissen deutscher Fußball-Geschichte (Auszüge):
„Leider muss ich nun bewegten Herzens meinem lieben KFV meinen Austritt anzeigen. Nicht unerwähnt möchte ich aber lassen, dass es in dem heute so gehassten Prügelkinde der deutschen Nation auch anständige Menschen und vielleicht noch viel mehr national denkende und auch durch die Tat bewiesene und durch das Herzblut vergossene deutsche Juden gibt.“
Julius Hirsch hat Deutschland als Fußballer vertreten, auch Süddeutschland und „seinen“ KFV. Die Ausgrenzung als Mensch jüdischen Glaubens durch die neuen Machthaber und große Teile der Bevölkerung sind für ihn als deutschnational denkenden Bürger inakzeptabel. Leopold, sein ältester Bruder, der ebenfalls beim KFV spielte, kam 1918 am Kemmelberg in Nordwestflandern als Infanterie-Leutnant ums Leben. „Gefallen auf dem Feld der Ehre“, schreibt Julius an den KFV. Bruder Max lebt bei Kriegsbeginn 1914 in der neutralen Schweiz. Obwohl er nur auf einem Auge sehen kann, meldet er sich als Kriegsfreiwilliger. Ein weiterer Bruder von Julius, er heißt Rudolf, ist „im Felde von 1914–1918 bei der bayr. Fliegenden Division Kneisel. Besitzer des EK I und der bayr. Tapferkeitsmedaille“ (Schreiben von Julius an den KFV).
Der Ex-Nationalspieler teilt seinem Stammverein auch mit: „Ich befinde mich z. Zt. In einer wirtschaftlichen prekären Lage.“ Denn in der Weltwirtschaftskrise hat die „Sigfa Sport“ ihre Eigenproduktion eingestellt, 1933 wird das Konkursverfahren eröffnet. Julius Hirsch, Geschäftsführer und Reisevertreter, ist jetzt arbeitslos. Von der Kaiserallee 123 zieht die Familie in eine preiswertere Wohnung in der Murgstr. 7 im Karlsruher Stadtteil Weiherfeld um.
Der Altinternationale findet für die Spielzeit 1933/34 eine Anstellung als Trainer bei der FA Illkirch-Graffenstaden nahe Straßburg im Nachbarland Frankreich. Nach der Saison kehrt er heim nach Karlsruhe, wo Juden ausschließlich in jüdischen Sportvereinen aktiv sein können. Da er Mitglied im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (RjF) ist, schließt sich der einstige Meisterspieler dem Turnclub 03 Karlsruhe im Sportbund Schild an und nicht der zionistischen Hakoah Karlsruhe.
Spieler/Trainer im jüdischen Turnclub
Julius Hirsch arbeitet als Fußball-Trainer in dem jüdischen Verein und spielt auch mit mehr als 40 Jahren weiterhin aktiv. Der „Judensportplatz“ liegt dabei direkt neben dem KFV-Stadion. 1935 hält Hirsch einen Vortrag im Verein, der überliefert ist („Aus meiner Fußballzeit“). Den Schlusssatz hat er rot durchgestrichen: „Ich schließe meine Ausführungen mit dem Wunsche, dass der jüdische Sport blühen, wachsen und gedeihen möge.“
Seit 1934 arbeitet er als „Vertreter in Manufakturen und Wäsche“, also Reisender. „Wir kennen die Leute heute noch genau, die ihm damals etwas abgekauft haben“, sagte Sohn Heinold 1992 in einem Interview, doch leider sind keine Unterlagen erhalten geblieben. Denn möglicherweise gehörten zu den Abnehmern auch Fußball- und Sportfreunde. Seit 1937 ist Hirsch als Lohnbuchhalter und Hilfsplatzmeister der jüdischen Firma Vogel & Bernheimer AG in deren Dependance Maxau beschäftigt. Bis 1938, dann ist er nach der „Arisierung“ der Firma erneut arbeitslos. Die stellt dem Kaufmann noch ein Zeugnis aus: „Sein Fleiß und sein persönliches Verhalten waren stets einwandfrei.“
Es gibt Zeitzeugen-Berichte, nach denen vor dem KFV-Stadion ein Schild stand: „Juden unerwünscht!“ Und es gibt Aussagen, nach denen ehemalige KFVler die Straßenseite wechselten, wenn sie Hirsch sahen.
Das andere Karlsruhe
Jedoch: auch Anderes ist zu berichten. Fritz Tscherter (1888–1963), der mit Hirsch 1910 die Deutsche Fußball-Meisterschaft für den KFV gewann, unterstützte aus der bedeutendsten Karlsruher Kohlenhandlung heraus die Familie in Weiherfeld mit Brennmaterialien. Und auf dem KFV-Platz ließ ihn der ehemalige Nationalspieler Lorenz „Lora“ Huber (1906–1989) ein. „Eier-Huber“, in dessen Geschäft Hirsch gelegentlich aushalf, versorgte die Familie Hirsch mit Lebensmitteln. Das Schokoladengeschäft von Mina Rabe, Kaiserstr. 225 im Karlsruher Zentrum, diente als Treffpunkt der von der sog. Mischehe Betroffenen. FIFA-Generalsekretär Dr. Ivo Schricker (1877–1962), ein Hauptakteur früherer Karlsruher Fußball-Tage, setzte sich ebenfalls für Hirsch ein. Einiges deutet darauf hin, dass dies auch der spätere DFB-Präsident Dr. Peter Josef „Peco“ Bauwens (1886–1963) tat.
Hätte Julius Hirsch flüchten können aus Deutschland? 1936 besucht er seine Schwester Anna in Luzern. Die Schweiz steht jüdischen Emigranten meist ablehnend gegenüber. Sohn Heinold Hirsch im Interview 1992: „Dadurch, dass wir kein Geld hatten, gab es für uns auch keine Chance auszuwandern, denn jeder, der auswandern wollte, brauchte eine Bürgschaft.“
1938 besucht Julius seine Schwester Rosa in Paris. Er spricht fließend Französisch und er hofft auf Arbeit. Letztmals trifft er in der französischen Hauptstadt seinen früheren Mitspieler aus der Nationalelf und vom KFV, Gottfried Fuchs. Und zum letzten Mal sieht er seinen Schwager Louis Einstein, den Ehemann von Rosa. 1944 wird die SS den 73-jährigen in Chateau l’ Eveque in der Dordogne ermorden.
Verschollen in Frankreich
Am 3. November 1938 verlässt Julius Hirsch mit dem Zug Paris, kommt aber nicht in Karlsruhe an. Anderthalb Monate lang ist er verschollen. Bis Mitte Dezember 1938 das Hospital Psychatrique de la Meuse aus Fains-les Sources in Lothringen die Familie in Karlsruhe informiert: Der verzweifelte Ehemann und Vater hat versucht, sich in einem Steinbruch bei Commercy das Leben zu nehmen. Erst im Februar 1939 kehrt Julius Hirsch nach Karlsruhe zurück.
Als am 23./24. Oktober 1940 die erste Deportation jüdischer Deutscher – die „Ostmark“ bzw. Österreich seien hier ausgenommen – in Baden, der Pfalz und dem Saarland für 6.504 Menschen durchgeführt wird, ist Julius Hirsch nicht betroffen. Ehefrau Ellen gilt nach der NS-Ideologie als „Arierin“ bzw. „deutschblütig“, womit Hirsch in einer sog. Mischehe lebt.
Es gibt Überlegungen zur Flucht in die Schweiz, mit Hilfe von Georg Böttger, dem Leiter des Postscheckamtes Karlsruhe (G. B. war Spielausschussvorsitzender des KFV und spielte nach Kriegsende für seinen Verein noch in der Oberliga Süd). Doch Hirsch findet sich frühmorgens nicht am Kurierfahrzeug, das bei Abfahrt versiegelt wird, ein. Er fürchtet, die Nazis würden sich an seiner zurück gebliebenen Familie rächen.
Um die Kinder Heinold und Esther zu schützen (ein vergeblicher Versuch, dies vorweg), wird die Ehe zwischen Julius und Ellen Hirsch 1942 geschieden.
Seit 1939 setzt das Städtische Tiefbauamt Karlsruhe den Kaufmann auf einem Schuttplatz am Stadtrand – dort, wo sich heute „XXXL Mann-Mobilia“ befindet -, als Zwangsarbeiter ein. Ellen Hirsch sagt Tochter Esther: „Dein Vater muss mit den Ratten da draußen leben.“ Ab 1. September 1941 müssen der Vater und die beiden Kinder das Zwangskennzeichen Judenstern tragen.
Nach der Scheidung muss Hirsch, er gilt als „Volljude“, in ein sog. Judenhaus Kronenstr. 62 (zerstört) ziehen, hält aber weiterhin täglich Kontakt zur Familie in Weiherfeld. Am 18. April 1943 werden die Kinder Heinold und Esther evangelisch getauft. Dies ist nicht selbstverständlich in diesen Zeiten, weshalb Ludwig Dreher, der Pfarrer der Melanchthongemeinde Beiertheim-Bulach, hervorzuheben ist.
Die Deportation
Die „Mischehe“ „schützt“ Julius Hirsch nun nicht mehr. Am Morgen des 1. März 1943 muss sich Julius Israel Hirsch (der zwangsweise Beiname ist seit Januar 1939 Vorschrift) auf dem Hauptbahnhof Karlsruhe zum „Abwanderungstransport“ einfinden. Leopold Ransenberg von der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, Bezirksstelle Baden-Pfalz, begleitet ihn ebenso wie die 14-jährige Tochter Esther, die sich später erinnerte: „Es war ein strahlend schöner Tag. Noch heute kann ich nicht begreifen, dass an diesem Tag die Sonne scheinen konnte! Wir haben nicht geglaubt, dass wir ihn nie mehr wiedersehen werden.“
Esther erlebt noch, wie ihr Vater „ein normales Zugabteil“ der Deutschen Reichsbahn II. Klasse besteigt. Mit ihm deportiert die Gestapo weitere acht Personen aus Baden.
Die Reichsbahn fährt auch in Kriegszeiten pünktlich. Der nächste Halt ist außerhalb der Stuttgarter Innenstadt der Innere Nordbahnhof, wo 44 schwäbische Jüdinnen und Juden zusteigen müssen. Es folgen die Stationen Trier und Güterbahnhof Düsseldorf-Derendorf, danach der Dortmunder Südbahnhof. Dort gelingt es Julius Hirsch, eine Postkarte zum 15. Geburtstag der Tochter Esther auf den Weg zu bringen: „Meine Lieben! Bin gut gelandet, es geht gut. Komme nach Oberschlesien, noch in Deutschland. Herzliche Grüße und Küsse euer Juller.“ Dies ist nicht ungewöhnlich: vielen Deportierten glückte es noch, einen letzten postalischen Gruß auf den Weg zu bringen.
In Dortmund ist die Sammelstelle für Juden die Turnhalle des TV Eintracht (im Krieg zerstört). Ob ausgerechnet der ehemalige Sportsmann und Nationalspieler Julius Hirsch dort übernachten musste, ist ungewiss. Wohl aber weiß man, dass Hirsch den Transport nun in geschlossenen Güterwaggons, auch als „Viehwaggons“ bezeichnet, fortsetzen musste. Der „Sonderzug“ hält noch am Güterbahnhof von Bielefeld, fährt dann weiter nach Hannover. Zeitzeugen-Berichte:
„Die Insassen saßen dicht gedrängt. Die Waggontüren waren von außen verriegelt. Als Sitzgelegenheit dienten die Koffer. In einer Ecke des Waggons stand ein Eimer, der als Toilette benutzt werden sollte. Am Anfang des langen Zuges und am Ende war jeweils ein Personenwaggon für die SS. In jedem Bremserhäuschen der Waggons saß ein Bewacher.“
Am späten Nachmittag des 3. März 1943 trifft der Transport mit 1.500 Menschen in Auschwitz-Birkenau ein.
Das Eingangsbuch des Vernichtungslagers führt 150 Männer auf.
Der Name von Julius Hirsch ist nicht darunter.
Was bedeutet, dass er unmittelbar nach Ankunft in Auschwitz-Birkenau ermordet wurde.
Am 14. Februar 1945 findet die letzte Deportation in Karlsruhe statt, wiederum vom Hauptbahnhof. Daran erinnert seit 2015 ein Mahnmal in Form einer informativen Stele. Die Hirsch-Kinder Heinold (22) und Esther (16) treffen zwei Tage später im KZ Theresienstadt (heute Terezín, Tschechien) ein. Nach der Terminologie der Diktatur sind sie trotz der evangelischen Taufen „Geltungsjuden“ bzw. „Mischlinge zweiten Grades“, da ein Teil ihrer Großeltern jüdisch sind. Beide überleben und kehren am 16. Juni nach Karlsruhe zurück. Viele Jahre später hat Esther Hirsch aufgeschrieben: „Wäre Vater noch verheiratet gewesen, wäre er mit dem gleichen Transport wie wir nach Theresienstadt gekommen.“ Denn dorthin deportiert wurde auch Max Hirsch, der Bruder von Julius, verheiratet mit einer evangelischen Frau.
„Wir suchen: Juller Hirsch vom Karlsruher Fußball-Verein“
Mit dem Ende der Diktatur gilt der frühere Nationalspieler als vermisst. U. a. über den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes im Rundfunk lässt sein Sohn verlauten: „Wir suchen: Hirsch, Julius (…) durch die Gestapo deportiert ab Karlsruhe 1.3.1943, letzte Nachricht von Dortmund 4.3.1943. Von dort Sammeltransport vermutlich Auschwitz. Ist weit bekannt als Juller Hirsch vom Karlsruher Fußball-Verein (…) Sofort Nachricht geben, durch Post oder Radio (…) oder an die Sammeladresse Heino Hirsch, Karlsruhe, Kandelstr. 2.“
Das Amtsgericht Karlsruhe erklärt 1950 Julius Hirsch für tot. Das Sterbedatum wird auf den 8. Mai 1945, 0 Uhr, festgelegt – der Tag, an dem Deutschland kapituliert hat.
Die frühere Ehefrau, die beiden Kinder, die Enkel und Nachkommen werden niemals ein Grab vorfinden, an dem sie trauern können.
Abgesehen von wenigen Erwähnungen geraten Julius Hirsch und seine Ermordung in Vergessenheit. Der Sportjournalist Joseph Michler schreibt 1951 vom „Martertod dieses großen Sportmanns“. Es ist derselbe Michler, der ihn als „kicker“-Redakteur in der NS-Zeit in Publikationen weitgehend verschwieg.
Falsche – oder keine Angaben
Als sich der DFB 1949 in Stuttgart-Bad Cannstatt neu gründet, werden jüdische Fußballer nicht erwähnt. Die offizielle DFB-Geschichte von 1954 listet Julius Hirsch als „gestorben 1939/45 im Getto“ auf. Als 1966 das WM-Album der Firma „Aral“ erschien, las man darin, Hirsch sei am 6. Mai 1941 im KZ Auschwitz umgekommen. Die in der DDR sehr aufwändig recherchierte Geschichte „Fußball in Vergangenheit und Gegenwart, Band I“, erwähnt jüdische Fußballer und damit auch Hirsch an keiner Stelle. Viele Hinweise auf ihn hatte dagegen Josef Werner (1914–2015) in seinem Standard-Werk „Hakenkreuz und Judenstern“ über die Karlsruher Jüdinnen und Juden publiziert. Die, wie sich später heraus stellen sollte, unzutreffenden Angaben waren Anlass für den Autor, sich bei seinen Recherchen zum Buch „Als Morlock noch den Mondschein traf. Die Geschichte der Oberliga Süd 1945–1963“ (1993, 2. Aufl. 2001) mit der Biografie von Julius Hirsch zu befassen. Die wichtigsten Informationen waren vom Sohn Heinold zu erfahren, der sich offensichtlich darüber freute, dass sich jemand für seinen Vater interessierte. Wir fuhren zum Jüdischen Friedhof und Heinold Hirsch meinte damals: „Der DFB müsste mal etwas tun. Eine Erinnerungstafel oder so.“
Im damals noch existenten Vereinsheim des Karlsruher FV hing das großformatige Foto der Meistermannschaft von 1910: Hirsch guckt darauf etwas verschüchtert – eben der Kleinste und Jüngste der Elf. Das erste Karlsruher Kriegerdenkmal nach dem 1. Weltkrieg stand seinerzeit ebenfalls noch unversehrt beim Klubheim. Damit wurde der KFV-Kriegstoten gedacht – nicht aber Julius Hirsch. Die Veröffentlichung des erwähnten Beitrags „Der Tod des Juller Hirsch“ im Oberliga Süd-Buch war für das Bildungszentrum Pfinztal in Pfinztal-Berghausen Anlass, den Namen „Julius-Hirsch-Stadion“ vorzuschlagen. Dies wurde abgelehnt, doch erhielt die Schulsporthalle 1999 durch einen einstimmigen Beschluss des Gemeinderats den Namen „Julius-Hirsch-Halle“.
Die Stadt Karlsruhe aber war mit der Erinnerung an einen ihrer berühmtesten Fußballspieler nach wie vor außen vor. Mit den Jahren nahmen die Veröffentlichungen zu Hirsch zu. Die Schülerin Alexandra Syré (2003) und ihr Vater Ludger Syré (2005) verfassten Beiträge. Swantje Schollmeyer folgte mit einer Broschüre in der Reihe „Jüdische Miniaturen“ 2007. Im Jahr darauf gab das Stadtarchiv Karlsruhe die studentische Arbeit „Julius Hirsch. Ein deutscher Fußballnationalspieler jüdischer Herkunft aus Karlsruhe“ von Gideon Thönnissen heraus. Ernst Otto Bräunche, Leiter des Stadtarchivs Karlsruhe, befasste sich im Band „Sport in Karlsruhe“ (2006) mit der „Fußballhochburg Karlsruhe“ und den beiden jüdischen Nationalspielern.
Der „Julius Hirsch Preis“
Die herausragendste Würdigung erfuhr der ehemalige Internationale mit dem 2005 erstmals verliehenen „Julius Hirsch Preis“ des DFB „für besonderen Einsatz für Freiheit, Toleranz und Menschlichkeit und gegen nationalsozialistische, rassistische, fremdenfeindliche und extremistische Erscheinungsformen.“ Wie eingangs erwähnt, ist diese Initiative dem früheren DFB-Präsidenten Dr. Theo Zwanziger gut zu schreiben, unterstützt von anderen Funktionären. Nachfolger Wolfgang Niersbach, inzwischen nicht mehr im Amt, nahm sich ebenfalls persönlich der Preisverleihung an. Der Julius Hirsch Preis wurde 2015 zum zehnten Mal vergeben. Der Anlass ist jeweils ein Länderspiel der Nationalmannschaft. Leider hatten die „BNN“ in ihrer Berichterstattung den „Julius Hirsch Preis“ lange negiert. Mit der Benennung der Julius-Hirsch-Straße und des Gottfried-Fuchs-Platz unweit des früheren KFV-Stadions auf Anregung der CDU Karlsruhe-West und infolge eines einstimmigen Beschlusses der Gemeinderats bekannte sich die Stadt endlich 2013 zu zweien ihrer bekanntesten Fußballer, nachdem dort bereits eine Stele des Stadtarchivs gesetzt worden war. Einen Stolperstein am letzten freiwilligen Wohnort Murgstr. 7 in Weiherfeld ließ eine unbekannte Person setzen.
In Fürth, wo Hirsch die Spielvereinigung 1914 zur Deutschen Meisterschaft führte, wird 2016 eine Großsporthalle nach ihm benannt. Dank einer Bürgerinitiative, deren Vorschlag vom Stadtrat einstimmig angenommen wurde.
Im Ende 2015 eröffneten Deutschen Fußball-Museum Dortmund wird Julius Hirsch gewürdigt. Der Autor, der 2012 die Biografie „Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet“ veröffentlichte, hat inzwischen in mehr als 30 Veranstaltungen dazu berichtet: In Schulen, bei den Ultras, Fan-Initiativen, in Jüdischen Gemeinden, Historischen Vereinen, Gedenkstätten, Fußball-Museen etc.
Leider hat sich bislang in keiner Karlsruher Schule eine solche Gelegenheit ergeben.
Wilhelm Trump – Der verhinderte Meisterspieler
Fast wäre Trump zu einem Bremsklotz im Meisterschaftsrennen 1910 geworden. Es geschah um die 15. Spielminute im Halbfinale der deutschen Fußballmeisterschaft 1910 gegen den Stadtrivalen FC Phönix in Karlsruhe: „Dem körperlich starken Halblinken Trump passierte ein Missgeschick, das damals Sehnenzerrung genannt wurde. Der schussgewaltige Mann brach zusammen und schied gänzlich aus. Da noch fast 80 Minuten zu spielen waren, kann sich jeder leicht ausmalen, was diese Schwächung für den Titelanwärter ausmachte!“, bemerkte Fußballkritiker Michler zum Ausfall des Verteidigers im Schlüsselspiel der deutschen Meisterschaft. Das Spiel gewann der KFV in Unterzahl dennoch knapp mit 2:1. Phönix zeigte sich daraufhin als schlechter Verlierer und legte beim DFB Protest ein, da Trump nicht spielberechtigt gewesen sein soll (er wurde jedoch bereits im Viertelfinale der Meisterschaftsendrunde eingesetzt). Der Protest blieb erfolglos und Trump fehlte verletzungsbedingt im Finale gegen Holstein Kiel. Nach seiner kurzen Zeit beim KFV (1908–1910) wechselte er ausgerechnet zum Lokalrivalen Phönix, wo er nun als Stürmer auflief. Trump soll bereits mit ca. 16 Jahren geheiratet haben, so dass ihn seine Spielerkollegen unberechtigterweise für sehr alt hielten und ihn „den alten Trump“ nannten. Beruflich machte Trump Karriere bei der Post. In Kaufbeuren leitete er später ein Postamt. Ab August 1928 war Trump – inzwischen Postinspektor – der erste Trainer des Lahrer FV und nahm „allsonntäglich seinen Weg nach Lahr“. 1927/28 stieg er mit Lahr in die Kreisliga Baden auf. 1938 wird er Vereinsführer des Beiertheimer Fußball und Postsportvereins sowie des Postsportvereins Karlsruhe erwähnt.
Abbildung: Trump in der Mitte vor seinen Mitspielern. Dahinter: Fuchs, Kächele, Schwarze, Wilhelm Langer, Gutsch, Ruzek, Hollstein; stehend: Breunig, Förderer, H. Link. Quelle: KFV-Archiv.
William „Billy“ Townley – Dreimaliger Meistermacher
14. Februar 1866 in Blackburn, England — 30. Mai 1950 in Blackpool, England
Townleys Fußballkarriere begann bei Blackburn Swift und Blackburn Olympics. Aufgewachsen in der englischen Baumwollstadt Blackburn, nördlich von Manchester, kam er bereits in den Public Schools mit dem Fußball in Kontakt. Zu Beginn der Saison 1888/1889 wechselte er zu den Blackburn Rovers, zu diesem Zeitpunkt einer der Spitzenclubs in England. In seiner ersten Saison mit den Blackburn Rovers erreichte er mit der Mannschaft den 4. Platz, 14 Punkte hinter Preston North End den damals „Unbesiegbaren“. Mit neu verpflichteten Spielern aus Schottland beendeten die Blackburn Rovers die nachfolgende Saison 1889/1890 bereits als Drittplatzierter nur noch 6 Punkte hinter Preston North End. Besser lief es in dieser Saison im FA Cup in dem sie das Endspiel gegen Sheffield Wednesday erreichten. Townley spielte auf der Position des linken Flügelstürmers und war einer der besten Spieler auf dem Platz, nicht zuletzt wegen seines Hattricks in diesem Spiel (Endstand 6:1) – dem ersten Hattrick in der Geschichte des englischen FA-Cups. Auch bei der Titelverteidigung im FA-Cup in der nächsten Saison 1890/1891 trug Townley seinen Beitrag zum Sieg gegen Notts County bei. Er erzielte das alles entscheidende 3.Tor beim 3:1 Sieg. Aufgrund von Unzufriedenheiten mit der Bezahlung bei Blackburn Rovers wechselte er 1891 zu Stockton. In den folgenden drei Jahren erzielte er 27 Tore in 77 Spielen. In diesen Jahren arbeitete er auch als Lehrer an der Brunswick Street Board School in Stockton. Nach einer kurzzeitigen Rückkehr zu den Rovers (1893/94), schloss er sich dem Zweitligisten FC Darwen an, wo er sechs Jahre verbrachte, bevor er zu Manchester City wechselte. Aufgrund einer schweren Kopfverletzung musste er dort seine Karriere als Fußballspieler beenden. 1889 und 1890 absolvierte Townley zwei Länderspiele für die englische Nationalmannschaft gegen Wales am 23. Februar 1889 (4:1) und 1890 gegen Irland. In diesem Spiel erzielte er zwei Tore zum 9:1 Sieg Englands.
Da Townley sich schon frühzeitig für die theoretischen Elemente des Fußballspiels interessierte und er die notwendigen pädagogischen Kenntnisse bei seiner Lehrerausbildung erwarb, war der Beruf des Fußballtrainers quasi die logische Folge. Was Townley nach Deutschland führte, ist nicht bekannt. Vermutlich lag es am hohen Wettbewerb um renommierte Trainerstellen auf der Insel, die ihn auf den Kontinent führte. Seine Pionierarbeit im süddeutschen Raum bleibt aber bis heute unumstritten. Die unglaublich hohe Anzahl von Trainerstationen umfassten die erfolgreichsten Klubs in Süddeutschland: DFC Prag (1908/09), KFV (17.01.1909-April 1911 sowie im Mai 1912), SpVgg Fürth (1911–13), FC Bayern München (1913/14), SpVgg Fürth (01/1914–08/1914), FC Bayern München 1919–21), FC St. Gallen (1920), SV Waldhof Mannheim (01/1921–03/1921), SC Viktoria Hamburg (1921–23), FC St. Gallen (1923–25), Niederländische Nationalmannschaft (1924), Eintracht Hannover (1926), SpVgg Fürth (05/1926–09/1927), FSV Frankfurt (1927–30), SpVgg Fürth (1930–32) und Arminia Hannover (1932/33).
Doch der Reihe nach: Nach seinem Trainerdebüt beim Deutschen Fußballclub Prag, dem Deutschen Vizemeister von 1903, wurde er für stolze 1000 Goldmark vom KFV verpflichtet, wo er am 17. Januar 1909 sein Amt antrat. Der „Verein konnte dies wagen, weil ein opferbereiter, vertrauensvoller Mitgliederstamm vorhanden war, der […] das Risiko einer Traineranstellung bejahte“. Vermutlich gehörte insbesondere Walther Bensemann zu diesen Mitgliedern, welche die Verpflichtung des Engländers auch finanziell unterstützten.
Geprägt von seinen schottischen Mitspielern bei den Blackburn Rovers war Townley ein Vertreter des schottischen Kurzpassspiels. Der schottische Fußball war zu dieser Zeit ein Gegenentwurf des englisch Kick ‘n‘ Rush, bei dem es vor allem darum ging, den Ball hoch und weit nach vorne zu schießen, falls man mit Dribbling (welches sehr extensiv betrieben wurde – analog zum Ball halten im Rugby), am Gegenspieler zu scheitern drohte. Die Schotten dagegen „setzten vor allem auf Kombinationsspiel: Die Spieler passten sich den Ball zu, bereiteten einen Spielzug gemeinsam vor […] spielten [..] auch mal quer oder nach hinten. Dabei versuchten sie stets, den Ball flach zu halten“. Beim KFV lautete Townleys taktisches Credo: „Stoppen, Schauen, Zuspielen“. Nach dem gewonnenen Finale gastierte Townleys Ex-Verein, die Blackburn Rovers, in Karlsruhe und schlugen den frischgebackenen deutschen Meister mit 7:1. Der Klassenunterschied zwischen dem englischen und deutschen Fußball war immer noch deutlich. 1911 erfolgte die Trennung von Townley: „Der Vorstand sah sich infolge des mangelhaften Besuchs der Fußball- und Laufübungen genötigt, den Vertrag mit seinem Trainer Townley zu lösen, da bei der geringen Inanspruchnahme dieses Trainings die schwere finanzielle Belastung sich auf Dauer nicht lohnen konnte.“
Seine größte fußballerische Lebensleistung vollbrachte Townley jedoch in seiner folgenden Trainerstation bei der SpVgg Fürth (heute SpVgg Greuther Fürth), deren Aufstieg in die deutsche Eliteklasse er erst ermöglichte. Mit Townley wechselte 1911 auch seine Entdeckung Julius Hirsch zur SpVgg Fürth, bei der er während seiner Trainerlaufbahn insgesamt viermal tätig war. Im Mai 1912 wurde er für wenige Tage nochmals vom KFV „ausgeliehen“, um die Karlsruher im Meisterschaftsfinale 1912 gegen Holstein Kiel zu betreuen (0:1).
Im Dezember 1913 wurde Townley erstmals vom FC Bayern München verpflichtet, bei dem er jedoch nur 5 Monate blieb und im April 1914 nach Fürth zurückkehrte. Im demselben Jahr erreichte er mit den Fürthern das deutsche Endspiel und schlug den damals dreifachen Meister und Rekordtitelträger VfB Leipzig in Magdeburg nach zweimaliger Verlängerung mit 3:2 Toren. Townley und Julius Hirsch errangen damit ihre 2. Deutsche Meisterschaft. Als sich der erste Weltkrieg ankündigte, verließ Townley Deutschland und ging nach England zurück, um einer drohenden Internierung zu entgehen. Ob Townley im 1. Weltkrieg als britischer Soldat diente, ist nicht bekannt. Nur einige Monate nach Kriegsende kehrte Townley nach Deutschland zurück und wurde erneut vom FC Bayern München verpflichtet. Schon vor dem Krieg beeindruckte er dort den Präsidenten Kurt Landauer.
Abbildung: Townley-Stiefel in der Karlsruher Werbung. Quelle: KFV-Archiv.
Vermutlich aufgrund der finanziellen Verhältnisse der Vereine wurde Townley immer nur für kurze Zeit beschäftigt und mit kurzfristigen Aufgaben betreut. So trainierte er den Schweizer Verein St. Gallen auf Leihbasis in einem „Sommertrainingscamp“ und den SV Waldhof Mannheim sollte er auf die süddeutsche Meisterschaft vorbereiten (unter den Spielern Sepp Herberger). Im März 1921 wechselte er für zwei Jahre zu Victoria Hamburg (wo er ein Gehalt von 800 Mark pro Woche bezogen haben soll), bevor er über den FC St. Gallen (1923–1925), und nach seiner kurzen Trainerbeschäftigung bei Eintracht Hannover (1926), zu seinem Lieblingsverein, der SpVgg Fürth, zurückkehrte. In Hamburg wurde er von seinem Sohn James Chadwick „Jimmy“ Townley (1902–1983) begleitet, ein „spindeldürrer aber schusskräftiger Stürmer“, der einen Profivertrag von Tottenham Hotspur erhielt, aufgrund eines Beinbruchs sich auf der Insel aber nie durchsetzen konnte. Mit den Kleeblättern gewann Townley Senior 1926 erneut das deutsche Endspiel in einem ereignisreichen Spiel in Frankfurt gegen Hertha BSC mit 4:1 und somit seinen 3. Deutschen Meistertitel. Seine Zeit in St. Gallen wurde unterbrochen durch die vier Monate dauernde Betreuung der niederländischen Nationalmannschaft bei den Olympischen Sommerspielen 1924 in Paris. Dort verlor er mit seiner Mannschaft im Halbfinale nur knapp gegen das damals weltbeste Team aus Uruguay und musste sich mit dem undankbaren 4. Platz begnügen.
Von 1927 bis 1930 betreute Townley mit dem FSV Frankfurt den Vizemeister von 1925 bevor er erneut nach Fürth wechselte und 1931 die süddeutsche Meisterschaft gewann. Die letzte verbürgte Trainerstation Townleys war Arminia Hannover. 1934 verließ Townley für immer Deutschland. Townley inspirierte u. a. Richard Girulatis, der den ersten Fußball-Lehrfilm und das erste Fußball-Lehrbuch Deutschlands erstellte, und damit auch die späteren deutschen Reichstrainer Otto Nerz und Sepp Herberger.
Vizemeister 1912
Wilhelm Emmanuel Gros – Früher Tod in der Luft
6. Juli 1892 in Karlsruhe – 22. August 1917 in Vlissegem, Flandern
Willy Gros, Sohn des Wagnermeisters Wilhelm Gros aus Karlsruhe, löste als Spieler der Jugendabteilung den alternden Meisterspieler Hans Ruzek als rechten Läufer ab. Gros war nicht nur ein Techniker sondern insbesondere ein harter Zweikampfspieler, „der ohne Rücksicht auf sich selbst, jedoch immer fair und ohne seine Gegenspieler zu verletzten, bis zum Umfallen kämpfte“. Der junge Karlsruher „war bei aller Schulung und dadurch gewonnen Technik ein wilder Spieler und Draufgänger, der ohne Furcht […], freilich auch ohne sich zu verletzen, gleichzeitig mit dem Gegner auf den Ball schlug“. Im Viertelfinale der deutschen Meisterschaft 1911 gelang dem „Zerstörer des gegnerischen Spielflusses und Ballabnehmer“ drei Tore gegen Tasmania Berlin (4:0). Mit dem KFV wurde er 1912 deutscher Vizemeister sowie 1911 und 1912 Süddeutscher Meister. Für die süddeutsche Auswahl stand er 1911 im Finale des Kronprinzenpokals, welches mit 2:4 gegen Norddeutschland verloren wurde. Mit 19 Jahren bestritt er sein erstes und einziges Länderspiel gegen die Niederlande, das in Zwolle mit 5:5 endete. 1913/14 wechselte Gros kurzzeitig zum VfR Mannheim. Als Student wurde das junge Talent 1914 zum Ausbruch des ersten Weltkrieges eingezogen. Zunächst war er Mechaniker der Feldflieger-Abteilung 27, wurde dann zum Flugzeugführer ausgebildet, diente bei der Artillerie-Fliegerabteilung 207 und schließlich bei der „Malaula“-Jagdstaffel 17 an der Westfront, wo er als Jagdflieger eingesetzt wurde. Am 22. August kam der junge Leutnant bei Vlissegem in Flandern bei einem Beobachtungsflug ums Leben. Der Träger des Eisernen Kreuzes I. und II. Klasse wurde am 1. September 1917 in Karlsruhe-Hauptfriedhof beerdigt (Block D Grab 52)





Einige mitgereiste KFV-Fans und Angehörige feuerten die Schwarz-Roten im anschließenden Spiel im Stadion an. Nach der Partie wurden Wimpel und Geschenke ausgetauscht. Im Stadionrestaurant „Eleven“ speisten beide Mannschaften schließlich zusammen.
Wolfgang Ade, Koordinator der KFV-Traditionsmannschaft, organisierte die Reise der Karlsruher in die Schweiz. „Wir danken den Senioren 40+ des BSC Young Boys Bern/Wyler für das tolle und faire Freundschaftsspiel“, so der frühere Spieler und Trainer des KFV. „Das komplette Bern-Wochenende war ein unvergessliches Erlebnis“. Rüdiger Herr – stets eng in Kontakt mit Ade – organisierte auf Seiten der Berner Veteranenelf das Freundschaftsspiel.




