Die hel­den von köln

Abbil­dung: Die KFV-Mann­schaft spiel­te 1910 im 2–3‑5-System (auch bekannt als „schot­ti­sche Fur­che“ oder „Pyra­mi­de“). Das 2–3‑5 war eines der ers­ten ech­ten Spiel­sys­te­me des Fuß­balls und wur­de bis 1925 über­wie­gend ein­ge­setzt (zwei Ver­tei­di­ger, drei Mit­tel­feld­spie­ler und fünf Stür­mer). Die Num­me­rie­rung des Sys­tems lebt bis heut fort. Die Rücken­num­mer gab es jedoch erst ab den 1930er Jah­ren. Das 2–3‑5-System wur­de teil­wei­se ab 1925 spä­tes­tens aber in den 1950er Jah­ren gänz­lich durch das in Eng­land ent­stan­de­ne „WM-Sys­tem“ abge­löst. Quel­le: KFV-Archiv.

Die Meis­ter­mann­schaft von 1910

Die Hel­den von Köln – elf Spie­ler hol­ten 1910 den Meis­ter­ti­tel erneut in die Resi­denz­stadt nach Karls­ru­he, nach­dem der Lokal­ri­va­le Phö­nix ein Jahr zuvor Fuß­ball­meis­ter wur­de. Zu den Vätern des Erfolgs gehör­ten neben den elf Spie­lern auf dem Platz auch Trai­ner Town­ley sowie ein kurz zuvor aus­ge­fal­le­ner Stamm­spie­ler. Die­ses Kapi­tel wirft ein Licht auf die drei­zehn Per­sön­lich­kei­ten, die den KFV zum deut­schen Meis­ter machten.

 

 

Tor­hü­ter — Adolf „Del­le Bam­bel“ Dell (1890–1977), erfolg­rei­cher Schauspieler

Rech­ter Ver­tei­di­ger - Kurt Albert Karl Hüber (1890–1915)

Lin­ker Ver­tei­di­ger - Ernst „Hol­ler“ Holl­stein (1886–1950), Deut­scher Natio­nal­spie­ler, Olympiateilnehmer

Rech­ter Läu­fer — Hans Anton „Bock“ Ruzek (1880–1914)

Mit­tel­läu­fer — Max Breu­nig (1888–1961) , Deut­scher Natio­nal­spie­ler, Olympiateilnehmer

Lin­ker Läu­fer — Max Richard Paul Schwar­ze (1985–1951)

Rechts­au­ßen — Fritz Tscher­ter (1888–1963)

Halb­rech­ter Stür­mer — Fritz „Frie­der“ För­de­rer (1888–1952), Deut­scher Natio­nal­spie­ler, Olympiateilnehmer

Mit­tel­stür­mer — Gott­fried Fuchs; im Exil: „God­frey Fochs“ (1898–1972), Deut­scher Natio­nal­spie­ler, Olympiateilnehmer

Halb­lin­ker Stür­mer — Juli­us „Jul­ler“ Hirsch (1892–1943), Deut­scher Natio­nal­spie­ler, Olympiateilnehmer

Links­au­ßen — Her­mann Bosch (1891–1916), Deut­scher Natio­nal­spie­ler, Olympiateilnehmer

im Fina­le ver­letzt: Wil­helm Trump

Trai­ner: Wil­liam „Bil­ly“ Town­ley (1866–1950)


 

Adolf Dell („Del­le Bam­bel“) – Dem Fuß­ball folg­te die Schauspielkarriere

30. Juni 1890 in Karls­ru­he – 9. Sep­tem­ber 1977 in Düsseldorf

Bereits als 12-jäh­ri­ger trug Dell die Tor­stan­gen aus dem Feu­er­wehr­haus zum Exer­zier­platz. Von der 3. Und 2. Mann­schaft kämpf­te sich Dell bis in die ers­te Elf, wo er den lang­jäh­ri­gen Tor­hü­ter Fritz Lan­ger 1908 ablöste.

Im Halb­fi­na­le der deut­schen Meis­ter­schaft 1910 ist der sen­si­ble und öfters flat­ter­haf­te Goa­lie vor Auf­re­gung laut eige­ner Aus­sa­ge „halb ohn­mäch­tig“ gewor­den. „Del­le Bam­bel“, wie der damals 20-Jäh­ri­ge genannt wur­de, hol­te sich gar zwei Feld­spie­ler mit ins Tor: „In der letz­ten so kri­ti­schen Vier­tel­stun­de wur­de die Tor­si­che­rung mit allen Schi­ka­nen wie Men­schen­mau­er, drei Mann im Tor oder Läu­fer­stür­mer vor­ge­nom­men. […] Der KFV hat­te bei einem Straf­stoß Breu­nig und Hüb­ner, die­se zwei Rie­sen­ge­stal­ten, neben dem gleich­falls statt­li­chen Dell ins Tor genom­men. In 99 sol­cher Fäl­le lohnt sich eine der­ar­ti­ge Anord­nung.“, stell­te Fuß­ball­li­te­rat Mich­ler in sei­nem Buch „Mit­tel­läu­fer spie­len auf“ süf­fi­sant fest.
Auch im dar­auf fol­gen­den End­spiel wur­de es wie­der knapp. Dell schil­der­te die Schluss­mi­nu­te des Finals gegen Kiel so: „Sie­ben Meter vor mei­nem Kas­ten tauch­te plötz­lich ganz allein der Kie­ler Mit­tel­stür­mer Fick mit dem Ball auf … ich sah die wahn­sin­ni­ge Auf­re­gung in sei­nem Gesicht, daß er die Rie­sen­chan­ce ver­pa­ßen könn­te. Und die Auf­re­gung hin­der­te ihn einen Moment, los­zu­schie­ßen. Da war ich mit zwei gro­ßen Sät­zen bei ihm, wir tra­ten genau im sel­ben Bruch­teil der Sekun­de auf den Ball, bei­de mit äußer­li­cher und letz­ter Kraft – da flog das Leder irgend­wo seit­lich her­aus, durch den dop­pel­ten Druck zu einem Ei defor­miert“. Das Ergeb­nis ist bekannt: Der KFV behielt mit 1:0 die Über­hand. Als Tor­hü­ter der KFV-Meis­ter­mann­schaft ging Dell somit in die deut­schen Fuß­ball­ge­schichts­bü­cher ein. 1921 wur­de er zusam­men mit eini­gen Mit­strei­tern des Jah­res 1910 zum Ehren­spiel­füh­rer des KFV ernannt.
Der Dra­ma­tik blieb Dell treu: Nach­dem er sei­ne Fuß­ball­schu­he schon sehr früh an den Nagel hing, folg­te ein Stu­di­um bei Wil­helm Trüb­ner an der Kunst­aka­de­mie Karls­ru­he. 1917 schloss er sich in Düs­sel­dorf der Künst­ler­ver­ei­ni­gung „Jun­ges Rhein­land“ an. Nach aus­ge­dehn­ten Stu­di­en­rei­sen mit Wer­ner Gil­les und Otto Pan­lok wur­de er Mit­glied des Künst­ler­krei­ses um die Gale­ris­tin Johan­na Ey.
Neben der Male­rei fand er auch an der Schau­spie­le­rei gefal­len. Früh kam er mit Gus­taf Gründ­gens in Berüh­rung. In der Ära der Inten­dan­ten Gus­taf Gründ­gens und Karl Heinz Stroux zähl­te er zu dem Stamm­ensem­ble des Schau­spiel­hau­ses Düs­sel­dorf und galt in spä­te­ren Jah­ren als Doy­en die­ser Büh­ne. 1950 trat Dell in den Dra­men „Der Fami­li­en­tag“ und „Cock­tail­par­ty“ von T. S. Eli­ot jeweils in den Insze­nie­run­gen von Gus­taf Gründ­gens und 1962 in Max Frischs „Andor­ra“ auf. Adolf Dell war zudem als Schau­spiel­leh­rer tätig. Er unter­rich­te­te den Schau­spie­ler Paul Esser, die Regis­seu­re Micha­el Koch und Han­no Lunin sowie den Schrift­stel­ler Gün­ter Lanser.

Dell wirk­te auch in Film- und Fern­seh­pro­duk­tio­nen mit. Dar­un­ter befan­den sich die Spiel­fil­me „Sil­ves­ter­nacht am Alex­an­der­platz“ aus dem Jahr 1939 von Richard Schnei­der-Edenk­o­ben mit Han­nes Stel­zer, Carl Rad­datz und Jut­ta Frey­be, 1951 „Sün­di­ge Gren­ze“ in der Regie von Robert A. Stemm­le mit Die­ter Bor­sche, Inge Egger und Peter Mos­ba­cher und 1956 „Wenn wir alle Engel wären“ von Gün­ther Lüders u.a mit Mari­an­ne Koch, Die­ter Bor­sche und Hans Söhn­ker. Gro­ße Popu­la­ri­tät erlang­te er mit der Rol­le des Franz Buch­ner in der acht­tei­li­gen Fern­seh­se­rie des Süd­west­funks „Der Forel­len­hof“. Neben ihm spiel­ten unter ande­rem Hans Söhn­ker, Jane Til­den und Ger­hart Lip­pert. Sei­ne letz­te Rol­le Fern­seh­rol­le spiel­te er in einer Fol­ge der Serie „Die Kra­mer“. Adolf Dell arbei­te­te auch als Hör­spiel­spre­cher und war über­wie­gend in Pro­duk­tio­nen des Nord­west­deut­schen Rund­funks (NWDR) bzw. West­deut­schen Rund­funks (WDR) zu hören. In Düs­sel­dorf hei­ra­te­te Dell noch ein­mal und leb­te mit sei­ner deut­lich jün­ge­ren Frau bis zu sei­nem Lebens­en­de in der Rheinmetropole.


Kurt Hüber – Rie­sen­ge­stalt im Strafraum

28. Okto­ber 1890  in Karls­ru­he  — 17. August 1915 bei Skrawd­zie, Litauen

Der rech­te Ver­tei­di­ger Kurt (Albert Karl) Hüber ging aus der KFV-Jugend her­vor. Er spiel­te als Juni­or in der 2. Mann­schaft und rück­te für Fritz Gutsch in die ers­te Elf nach, nach­dem die­ser sei­ne Kar­rie­re been­de­te. 1910 war er Spiel­wart der Schwarz-Roten. Zusam­men mit Hol­stein bil­de­te er die Karls­ru­her Ver­tei­di­gung in den End­spie­len 1910 und 1912. 1912 war er außer­dem einer der Grün­dungs­mit­glie­der des Fuß­ball­klubs Fran­ko­nia Stup­fe­rich (heu­te SG Stup­fe­rich). Der in Stup­fe­rich ange­stell­te Unter­leh­rer der Volks­schu­le war auch der ers­te Trai­ner der Stup­fe­ri­cher. Im 1. Welt­krieg brach­te es der 24-jäh­ri­ge, ledi­ge Leh­rer zum Leut­nant der Reser­ve des Infan­te­rie Regi­ments 166, 2. Kom­pa­nie. Am 16. August des zwei­ten Kriegs­jah­res wur­de er bei der Bela­ge­rung von Kow­no (dt. Kau­nas) im heu­ti­gen Litau­en schwer ver­wun­det und erlag sei­nen schwe­ren Ver­let­zun­gen einen Tag spä­ter im Reser­ve­la­za­rett 109. Süd­west­lich von Kow­no wur­de er bei Skriau­dži­ai (Skrawd­zie), Litau­en, auf einem Sol­da­ten­fried­hof beigesetzt. 


Max Schwar­ze – Frü­hes Kar­rie­re­en­de durch Sportverletzung

19. Mai 1885 in Karls­ru­he – 5. April 1951 in Goch

Max Richard Paul Schwar­ze begann sei­ne Lauf­bahn 1904 und stand bereits im Juni 1905 im End­spiel um die deut­sche Meis­ter­schaft (0:2 gegen Uni­on Ber­lin). Schwar­ze zeich­ne­te sich durch sei­ne Schnel­lig­keit und Schuss­kraft aus. Zunächst ersetz­te er den lin­ken Ver­tei­di­ger Holl­stein, als sich die­ser in Examens­nö­ten befand. 1910 wur­de der Diplom-Inge­nieur als lin­ker Läu­fer deut­scher Fuß­ball­meis­ter. Schwar­ze galt als emo­tio­nal höchst aus­ge­gli­che­ner Mensch und ver­füg­te nicht gera­de über das impul­sivs­te Tem­pe­ra­ment inner­halb der KFV-Trup­pe, was ihn zum guten Geist der Meis­ter­mann­schaft wer­den ließ: „Die See­le von einem Men­schen. Flott trug er sein schwar­zes Schnurr­bärt­chen. Waren Gerä­te her­bei­zu­schaf­fen, war der Platz zu zeich­nen, war irgend eine Mei­nungs­ver­schie­den­heit in der Mann­schaft zu schlich­ten, dann griff Schwar­ze ein.“ Schwar­ze ver­lor nach der Meis­ter­schaft sei­nen Stamm­platz beim KFV, als er sich in einem Spiel gegen Phö­nix Karls­ru­he beim Abstop­pen eines Angriffs von Phö­nix-Spie­ler Wege­le eine schwe­re Seh­nen­zer­rung zuzog. Der Diplom-Inge­nieur arbei­te­te in Frank­furt und hei­ra­te­te 1916 mit Emi­lie Eget­mey­er, eine Schwes­ter der Eget­mey­er-Brü­der, die vor und kurz nach dem 1. Welt­krieg beim KFV eine gewich­ti­ge Rol­le ein­nah­men. Mit sei­ner Gat­tin Emi­lie, die im Herbst 1950 starb, zog Schwar­ze nach Gre­ven­broich, ins Städ­te­drei­eck Düs­sel­dorf – Köln – Mön­chen­glad­bach. Im April 1951 erlag er nach einem schwe­ren Auto­un­fall einer Hirn­blu­tung im Wil­helm-Anton-Hos­pi­tal in Goch bei Kle­ve. In Gre­ven­broich wur­de der Meis­ter­spie­ler beigesetzt.


 Max Breunig

(* 12.November 1888 in einem Vor­ort von Karls­ru­he; † 04. Juli 1961 in Pforzheim)

Abbil­dun­gen: Auto­gramm­kar­ten, Quel­le: KFV.

Max Breu­nig war deut­scher Fuß­ball­na­tio­nal­spie­ler von 1910–1913. Breu­nig absol­vier­te zwi­schen 1910 und 1913 ins­ge­samt neun Län­der­spie­le und schoss dabei ein Tor. Er war in allen neun Ein­sät­zen Kapi­tän der deut­schen Mann­schaft. Auf Ver­eins­ebe­ne gewann Breu­nig mit dem Karls­ru­her FV 1910 die deut­sche Meis­ter­schaft und war im Fina­le Schüt­ze des Sieg­to­res zum 1:0.. Im sel­ben Jahr gewann er mit der süd­deut­schen Aus­wahl den Kron­prin­zen­po­kal. Zwei Jah­re spä­ter war er erneut in der sieg­rei­chen Aus­wahl Süd­deutsch­lands ver­tre­ten. Im Sep­tem­ber 1913 wech­sel­te Breu­nig zum 1.FC Pforz­heim. Er galt als einer der bes­ten Mit­tel­läu­fer in der Zeit vor dem 1. Welt­krieg. Durch den Kriegs­be­ginn wur­de sei­ne Kar­rie­re vor­zei­tig beendet.

 


Ernst Holl­stein – Kopf­ball­star­ker Blondschopf

9. Dezem­ber 1886 in Karls­ru­he – 9. August 1950 in Karlsruhe

Ernst Holl­stein (es exis­tiert auch die Schreib­wei­se „Hol­stein“), geru­fen „Hol­ler“,  begann beim FC Phö­nix das Fuß­ball­spie­len, wech­sel­te aber sehr bald zum KFV. Bei Kirn/Natan wird fest­ge­hal­ten: „Ernst Hol­stein war einer der größ­ten Ver­tei­di­ger, die je über ein Feld zogen. Spiel­te links wie rechts, zog aber die lin­ke Posi­ti­on vor. Der mit­tel­gro­ße Spie­ler gehör­te zu der KFV-Eli­te des gran­dio­sen ‚Fuß­ball-Geschwa­ders’, das sei­ne Mann­schaft zwi­schen 1909 und 1912 dar­stell­te. Mit sei­nem Kol­le­gen Fritz Gutsch bil­de­te er ein per­fek­tes Ver­tei­di­ger-Paar. Sein intui­ti­ves Stel­lungs­spiel wur­de gar als „Gedan­ken­le­sen bezeich­net.“ Der „gold­haa­ri­ge“ Holl­stein ver­senk­te 1910 einen Kopf­ball aus 30 (!) Metern.

Der lin­ke Ver­tei­di­ger bestritt gegen die Nie­der­lan­de sein ers­tes Län­der­spiel (2:4) in Arn­heim. Als Teil­neh­mer der Olym­pi­schen Som­mer­spie­le 1912 been­de­te er gegen Ungarn als 26-jäh­ri­ger sei­ne Kar­rie­re in der deut­schen Natio­nal­mann­schaft, in der er ins­ge­samt auf sechs Län­der­spie­le kam. Bereits 1913 zog er sich aus dem Leis­tungs­sport zurück, um sei­nen Fokus auf das Stu­di­um zu legen. 1918 wur­de er zum Gewer­be­leh­rer ernannt. In Offen­burg arbei­te­te er spä­ter als Ober­stu­di­en­rat. Dort war er 1920/21 auch Trai­ner des Offen­bur­ger FV in der 1. Kreis­klas­se (2. Liga). Die illus­trier­te Sport­zei­tung Fuß­ball schrieb am 28. Dezem­ber 1920 über sei­nen erfolg­rei­chen Trai­ner­job: „Die Erfol­ge sind in ers­ter Linie dem Inter­na­tio­na­len Ernst Hol­stein zu ver­dan­ken, wel­cher in dan­kens­wer­ter Wei­se die Mann­schaft trainiert.“

 



Abbil­dung: Adolf Dell mit „sei­nen“ Ver­tei­di­gern Kurt Hüber (links) und Ernst Holl­stein (rechts) 1910. Quel­le: KFV-Archiv.
Abbil­dung: Schwar­ze in Akti­on. Quel­le: KFV.
Abbil­dung: Schrei­ben des DFB-Prä­si­den­ten zum Tod von Max Schwar­ze. Quel­le: KFV.
Abbil­dung: Cover eines Kicker-Buchs. Quel­le: Tho­mas Staisch.
Abbil­dung: Max Breu­nig 1906 auf dem KFV-Platz. Quel­le: Illus­trier­te Fuss­ball, Nr. 30, 1920, Rubrik “Aus bes­se­ren Tagen”. Recher­chiert von Micha­el Quell.
Abbil­dung: Nicht jugend­frei: Max Breu­nig posiert in der Illus­trier­ten Sport­zei­tung. „Max Breu­nig […] ist ein Bei­spiel eines kör­per­lich gut ent­wi­ckel­ten Fuß­ball­spie­lers“. Quel­le: Tho­mas Staisch.
Abil­dung: Arti­kel über den Tod Breu­nigs, Quel­le: KFV. 
Abbil­dung: Auto­gramm­kar­te, Quel­le: KFV:
Abbil­dung: Spie­ler­por­trait. Quel­le: Tho­mas Staisch/ Fuß­ball 1911/12.
Abbil­dung: Natio­nal­spie­ler Holl­stein mit Rudolf Hirsch (Juli­us’ Bru­der), För­de­rer und Juli­us Hirsch sowie Meis­ter­schafts­spie­ler Hüber. Bild­quel­le: Gustavo Hirsch 
Abbil­dung: Home­sto­ry — Die Fami­li­en Breu­nig und Holl­stein. Quel­le. Der Kicker.
Abbil­dung: Die süd­deut­sche Mann­schaft mit Holl­stein, die 1912 die Aus­wahl Ber­lins in einem packen­den Spiel mit 6:5 bezwang. Ganz links: Fritz För­de­rer, Gott­fried Fuchs; vor dem Tor­wart: Ernst Holl­stein, Max Breu­nig; rechts außen: Juli­us Hirsch und Wil­helm Groß. Quel­le: KFV.
Abbil­dung: Die deut­sche Natio­nal­mann­schaft vor dem Spiel gegen Bel­gi­en in Lüt­tich mit Rei­ser, Nei­ße, Han­ßen, Fuchs (KFV), Holl­stein (KFV), Breu­nig (KFV), Wer­ner, För­de­rer (KFV), Ugi, Bur­ger, W. Fischer. Quel­le: KFV-Archiv.
Abbil­dung: Die deut­sche Natio­nal­mann­schaft bei den Olym­pi­schen Spie­len 1912 mit star­kem per­so­nel­lem KFV-Bei­trag: Hin­te­re Rei­he v. l. n. r. Juli­us Hirsch (KFV), Her­mann Bosch (KFV), Karl Wege­le, Wil­li Worpitz­ky, Ernst Holl­stein (KFV), Adolf Jäger, Albert Weber, Georg Krog­mann, Hel­mut Röp­nack; vor­de­re Rei­he, v. l. n. r. Eugen Kipp, Max Breu­nig (KFV). Quel­le: KFV-Archiv. 
Abbil­dung: Auto­gramm­kar­te, Quel­le: KFV.
Abbil­dung: Tscher­ter auf dem Cover der Süd­deut­schen Sport­zei­tung (rechts im Bild). Quel­le: Tho­mas Staisch.
Abbil­dung: Hans Ruzek in „Meis­ter des Fuß­balls“, Quel­le: Tho­mas Staisch.
Abbil­dung: KFV-Mit­glieds­kar­te Tscher­ters von 1908. Quel­le: Stadt­ar­chiv Karlsruhe.
Abbil­dung: Tscher­ter im Halb­fi­na­le der deut­schen Meis­ter­schaft gegen Phö­nix Karls­ru­he. Quel­le: Tho­mas Staisch.
Abbil­dung: Tscher­ter (rechts außen am Ball) führt die KFV-Stür­mer­rei­he an. Im Hin­ter­grund: Juli­us Hirsch. Quel­le: KFV-Archiv.

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Ernst Holl­stein – Kopf­ball­star­ker Blondschopf

9. Dezem­ber 1886 in Karls­ru­he – 9. August 1950 in Karlsruhe

Ernst Holl­stein (es exis­tiert auch die Schreib­wei­se „Hol­stein“), geru­fen „Hol­ler“,  begann beim FC Phö­nix das Fuß­ball­spie­len, wech­sel­te aber sehr bald zum KFV. Bei Kirn/Natan wird fest­ge­hal­ten: „Ernst Hol­stein war einer der größ­ten Ver­tei­di­ger, die je über ein Feld zogen. Spiel­te links wie rechts, zog aber die lin­ke Posi­ti­on vor. Der mit­tel­gro­ße Spie­ler gehör­te zu der KFV-Eli­te des gran­dio­sen ‚Fuß­ball-Geschwa­ders’, das sei­ne Mann­schaft zwi­schen 1909 und 1912 dar­stell­te. Mit sei­nem Kol­le­gen Fritz Gutsch bil­de­te er ein per­fek­tes Ver­tei­di­ger-Paar. Sein intui­ti­ves Stel­lungs­spiel wur­de gar als „Gedan­ken­le­sen bezeich­net.“ Der „gold­haa­ri­ge“ Holl­stein ver­senk­te 1910 einen Kopf­ball aus 30 (!) Metern.

Der lin­ke Ver­tei­di­ger bestritt gegen die Nie­der­lan­de sein ers­tes Län­der­spiel (2:4) in Arn­heim. Als Teil­neh­mer der Olym­pi­schen Som­mer­spie­le 1912 been­de­te er gegen Ungarn als 26-jäh­ri­ger sei­ne Kar­rie­re in der deut­schen Natio­nal­mann­schaft, in der er ins­ge­samt auf sechs Län­der­spie­le kam. Bereits 1913 zog er sich aus dem Leis­tungs­sport zurück, um sei­nen Fokus auf das Stu­di­um zu legen. 1918 wur­de er zum Gewer­be­leh­rer ernannt. In Offen­burg arbei­te­te er spä­ter als Ober­stu­di­en­rat. Dort war er 1920/21 auch Trai­ner des Offen­bur­ger FV in der 1. Kreis­klas­se (2. Liga). Die illus­trier­te Sport­zei­tung Fuß­ball schrieb am 28. Dezem­ber 1920 über sei­nen erfolg­rei­chen Trai­ner­job: „Die Erfol­ge sind in ers­ter Linie dem Inter­na­tio­na­len Ernst Hol­stein zu ver­dan­ken, wel­cher in dan­kens­wer­ter Wei­se die Mann­schaft trainiert.“

 


Her­mann Bosch – Ele­gan­ter Außenläufer

10. März 1891 in Öhn­in­gen bei Kon­stanz – 16. Juli 1916 in Kron­stadt, Rumänien

Der Links­au­ßen der Meis­ter­schaft von 1910 war ein All­roun­der der als Läu­fer und Ver­tei­di­ger spie­len konn­te. Sei­ne ele­gan­te Spiel­wei­se, sei­ne Päs­se und sei­ne Flü­gel­wech­sel, die kein ande­rer Außen­läu­fer zustan­de brach­te, waren sein Ste­cken­pferd. „Er hat­te die Gabe, durch Ein­nah­me der bewuß­ten Schräg­stel­lung zum vor­ge­hen­den geg­ne­ri­schen Außen­stür­mer den Ball im letz­ten Moment weg­zu­schnap­pen, als es fast zu spät schien“. Der Sohn des Ober­rech­nungs­rats Fri­do­lin Bosch und sei­ner Frau Emma wur­de 1910 deut­scher Meis­ter (als er für den ver­letz­ten Trump im Fina­le nach­rück­te), 1912 Vize­meis­ter sowie drei­mal süd­deut­scher Meis­ter. Bei den olym­pi­schen Spie­len 1912 trat er für die deut­sche Aus­wahl gegen die star­ken Mann­schaf­ten aus Ungarn sowie Öster­reich an (bei­de Spie­le wur­den ver­lo­ren). Im Juli 1916 starb er als Gefrei­ter an der rumä­ni­schen Front im sie­ben­bür­gi­schen Kronstatt an einem Kopf­schuss. Es war der zwei­te Sohn, den die Fami­lie Bosch im 1. Welt­krieg ver­lor. Im Monat sei­nes Todes erhielt der Gewer­be­leh­rer noch das Eiser­ne Kreuz. Mann­schafts­kol­le­ge Max Breu­nig hei­ra­te­te spä­ter Boschs Schwes­ter Emma.

 


Hans Ruzek – Ein Leben für den KFV

5. August 1880 in Karls­ru­he – 24.Oktober 1914 bei Zon­ne­be­ke, Pas­schen­dae­le (Bel­gi­en)

In den meis­ten Spie­len von 1896 bis 1910 hat­te Hans Anton Ruzek – „Bock“ genannt – mit­ge­wirkt und 392 Pflicht­spie­le („Wett­spie­le“) in der ers­ten Mann­schaft des KFV bestrit­ten. Bereits beim 7:2‑Sieg gegen den 1. FC Pforz­heim in der Sai­son 1896/97 fei­er­te Ruzek sein Debüt. In den Anfangs­jah­ren des KFV war er zunächst noch als Außen­stür­mer am rech­ten Flü­gel, ein Mit­glied der viel­leicht erfolg­reichs­ten Sturm­rei­he Deutsch­lands (zusam­men mit Wetz­ler, Heck, Zins­er, Fritz Lan­ger und Otto Jüng­ling). Als Außen­stür­mer „war Ruzek wäh­rend des Spiels kaum zu hal­ten, die Läu­fe die­ses unge­wöhn­lich kräf­ti­gen Spie­lers erfolg­ten mit unwi­der­steh­li­cher Ener­gie, ver­bun­den mit famo­ser Ball­tech­nik, sodaß fast jeder Angriff Ruzeks mit einer ver­wand­lungs­fä­hi­gen Flan­ke ende­te“. Denk­wür­dig war das 5:1 im Jah­re 1899 gegen den DFC Prag. Mit glei­chem Erfolg wur­de Ruzek in den spä­te­ren Jah­ren sei­ner akti­ven Spie­ler­zeit als Läu­fer und Ver­tei­di­ger ein­ge­setzt. Kuri­os: Hans „Bock“ Ruzek hat­te laut Fuß­ball­kri­ti­ker Mich­ler eine Nase „wie ein rie­si­ger Papa­gei­en­schna­bel“, was aus den über­lie­fer­ten Foto­gra­fien aber nicht hervorgeht.

Ben­se­mann stell­te Ruzek auch 1899 für eines der Urlän­der­spie­le auf, an wel­chem er aus beruf­li­chen Grün­den schließ­lich aber nicht teil­neh­men konn­te. Sechs­mal errang er die süd­deut­sche, ein­mal die deut­sche Meis­ter­schaft und nahm ins­ge­samt drei­mal an der End­run­de um die deut­sche Meis­ter­schaft teil. Ruzek „ver­band eine unver­wüst­lich schei­nen­de, durch wohl­ge­ord­ne­te Lebens­wei­se geschon­te Gesund­heit mit gro­ßem Talent für das Fuß­ball­spiel“. Auch in der Ver­wal­tung des Ver­eins war der Bank­be­am­te tätig und opfer­te sei­ne gesam­te Frei­zeit dem KFV. Die heu­te noch erhal­te­nen Wett­spiel­chro­ni­ken aus der Anfangs­zeit des KFV stam­men aus sei­nen Hän­den. Eine fröh­li­che Unbe­fan­gen­heit leg­te Ruzek stets an den Tag und war inner­halb des KFV sehr beliebt. Ruzek fiel am 24. Okto­ber in der Schlacht bei Zon­ne­be­ke – Pas­schen­dae­le (Bel­gi­en). Sein Nef­fe Josef Ruzek wur­de spä­ter Vor­sit­zen­der des KFV (sie­he wei­ter unten).


Fritz Tscher­ter – Der Mann mit dem Hom­bur­ger, der die KFV-Stür­mer berühmt mach­te – aber selbst nie Natio­nal­spie­ler wurde

17. Novem­ber 1888 – 8. Juli 1963 in Karlsruhe

von Tho­mas Alex­an­der Staisch

Die ent­schei­den­de Begeg­nung im (Sportler-)Leben von Fritz Tscher­ter fand im August 1908 in Karls­ru­he statt – genau genom­men in der Nowack­an­la­ge 19 in der Süd­stadt. Karl Geppert, Kopf von Ale­man­nia Karls­ru­he, erin­ner­te sich: „Wir hat­ten unser Ver­eins­lo­kal ja dort im Café Nowak. Eines Abends wur­de ich her­aus­ge­ru­fen. Drau­ßen stan­den Tscher­ter und För­de­rer, sie woll­ten bei Ale­man­nia spie­len.“ Auch sei­ne über­ra­schen­de Ant­wort ist über­lie­fert: Geppert teil­te den bei­den 20-jäh­ri­gen Bur­schen allen Erns­tes mit, dass er sie nicht auf­neh­men kön­ne, weil er dann zwei ande­re Spie­ler aus der Mann­schaft wer­fen müs­se und das „Ver­rat an der Klub­ka­me­rad­schaft“ sei! „Ihr kennt ja unse­re Ein­stel­lung. Ihr geht am bes­ten zum KFV!“, emp­fahl er. Der Rest ist bekannt. 50 Jah­re spä­ter aber erkann­te Geppert wenn nicht sei­nen Feh­ler, dann doch die ver­ge­be­ne Chan­ce: „Sie bil­de­ten her­nach einen der bes­ten Flü­gel, die je eine deut­sche Mann­schaft besaß …“. Aber von Anfang an: Fritz Tscher­ter (17. Novem­ber 1888 – 8. Juli 1963) war tsche­chi­scher Her­kunft, sein Vater Schuh­ma­cher­meis­ter – und Lie­fe­rant für die badi­sche Groß­her­zo­gin. Laut Juli­us-Hirsch-Bio­graph Wer­ner Skrent­ny hat er die edlen Tre­ter natür­lich per­sön­lich und stan­des­ge­mäß im Geh­rock („Cut“) im Schloss ange­lie­fert. Fuß­bal­le­risch tob­te sich Fritz (zusam­men mit Fritz För­de­rer) zuerst bei FC Ger­ma­nia 1898 aus, bevor er nach dem denk­wür­di­gen „Café-Tref­fen“ am 8. August 1908 zum Karls­ru­her FV wech­sel­te – wo er zu einem legen­dä­ren Rechts­au­ßen in der ers­ten Mann­schaft avancierte.

Ins Natio­nal­team wur­de Tscher­ter unver­ständ­li­cher­wei­se und im Gegen­satz zu sei­nen Kame­ra­den Holl­stein, Bosch, Breu­nig, Groß, För­de­rer, Fuchs und Hirsch nie beru­fen (auf Rechts­au­ßen hat­te er star­ke Kon­kur­renz durch Wege­le von Phö­nix), wohl aber in die Süd­deut­sche Aus­wahl­mann­schaft, die regel­mä­ßig um den Kron­prin­zen­po­kal kämpf­te oder z.B. 1910 gegen eine Lon­do­ner Ama­teur­mann­schaft sen­sa­tio­nell mit 2:1 tri­um­phier­te. Tscher­ter, der mit dem KFV 1910 schließ­lich Deut­scher Meis­ter wur­de, hat sich auch cine­as­tisch ein Denk­mal gesetzt: Auf den berühm­ten Auf­nah­men zum Halb­fi­nal­klas­si­ker KFV gegen Phö­nix vom 1. Mai 1910 (2:1) – dem ältes­ten Film im deut­schen Fuß­ball – ist der schnel­le Flü­gel­stür­mer mehr­mals in Akti­on zu bewun­dern – mit weit offe­ner Blu­se und (vor allem gegen­über sei­nen eher kor­rekt geschei­tel­ten Kol­le­gen) mit gelock­tem Haupt­haar. Im wich­ti­gen Ent­schei­dungs­spiel um die Süd­deut­sche Meis­ter­schaft in Pforz­heim hat­te Tscher­ter zuvor das wich­ti­ge 3:0 gegen Phö­nix erzielt. „Wohl nie­mals hat eine KFV-Mann­schaft bes­ser gespielt als in die­sem Spiel’, schrieb damals die KFV-Chro­nik. (Fast) für die Ewig­keit: Sei­nen per­sön­li­chen Lor­beer­kranz zur Meis­ter­schaft mit schwarz-rotem Bän­del bewahr­te sei­ne Toch­ter Lore Matz noch 90 Jah­re lang, bis 2000 auf, dann soll er laut Skrent­ny zer­fal­len sein.

Abbil­dung: Tscher­ter im Halb­fi­na­le der deut­schen Meis­ter­schaft gegen Phö­nix Karls­ru­he. Quel­le: Tho­mas Staisch.

Abbil­dung: Tscher­ter (rechts außen am Ball) führt die KFV-Stür­mer­rei­he an. Im Hin­ter­grund: Juli­us Hirsch. Quel­le: KFV-Archiv.

Der Autor traf den Enkel des Aus­nah­me­stür­mers, Bernd Matz, zu einem Mini-Inter­view. Matz erleb­te sei­nen Opa noch 14 Jah­re – und ist heu­te Mit­glied im Ehren­rat des „KFV-Erz­fein­des“ KSC.

Herr Matz: Stimmt es, dass Fritz Tscher­ter von sei­nem Ver­ein nicht geehrt wurde?

„Das ist rich­tig, hat­te aber gewich­ti­ge Grün­de: Mein Opa hat­te schwe­re Herz­pro­ble­me, sei­ne Frau ver­bat ihm, zu den Ehrun­gen zu gehen. Das hat ihn immer sehr auf­ge­regt, es bestand Lebens­ge­fahr! Ande­rer­seits hat sich zumin­dest mei­ne Mut­ter oft über feh­len­de Wür­di­gung von Sei­ten des KFV beklagt. ‚Dabei hat er doch die Flan­ken geschla­gen, damit Hirsch und Fuchs und För­de­rer die Tore machen konn­ten!’, hat­te sie dann gesagt.“

Die Kicker der Kai­ser­zeit waren alle­samt Ama­teu­re – was hat­te ihr Opa denn gearbeitet?

„Er war Pro­ku­rist und Geschäfts­füh­rer bei der Win­schmann GmbH, Koh­le­groß- und Klein­han­del in der Ste­pha­ni­en­stra­ße (er hat übri­gens auch in der Ste­pha­ni­en­stra­ße 94 gewohnt). Das war von Vor­teil: Spä­ter soll er z.B. den ver­folg­ten und geschass­ten Juli­us Hirsch gra­tis mit Brenn­ma­te­ri­al ver­sorgt haben.“

Auch mit dem von den Nazis aus dem Land ver­trie­be­nen Gott­fried Fuchs pfleg­te Tscher­ter eine lebens­lan­ge Freund­schaft. Laut Autor Skrent­ny revan­chier­te sich der KFV-Tor­jä­ger mit Hilfs­pa­ke­ten aus dem Asyl in Kana­da – 1959 traf man sich in Karls­ru­he wieder.

Fritz Tscher­ter soll immer sehr viel auf sein Äuße­res gelegt haben …

„Mein Opa war ein gepfleg­ter Mann, sehr eitel, immer im Anzug und mit gestärk­tem Kra­gen. Der Hom­bur­ger auf dem Kopf wur­de sein Mar­ken­zei­chen. Vor jedem Aus­flug hat­ten wir ein Ritu­al: Ich erin­ne­re mich, dass er mir immer die Fin­ger­nä­gel kon­trol­liert, den Schei­tel gezo­gen und mei­nen nicht vor­han­de­nen Schnurr­bart gekämmt hat – er hat­te ja einen Bart!“

Wie darf man sich dann einen Spa­zier­gang mit Opa, dem Fuß­ball-Star, vorstellen?

„Für mich als Jun­gen waren die Spa­zier­gän­ge durch die Stadt immer auf­re­gend: Alle paar Minu­ten hat ihn jemand gegrüßt. Als ihn ein­mal ein Stra­ßen­bahn­fah­rer spät­abends in der Bahn erkannt hat (da war ich natür­lich nicht dabei), hat er extra die Rou­te geän­dert und ihn fast bis vors Haus gefah­ren! Ich weiß auch noch, dass er beim Vor­bei­ge­hen am ‚Café End­le’ immer mit sei­nem Bril­lant-Ring an die Schei­be geklopft und als Char­meur alter Schu­le die Damen begrüßt hat!“

Wo konn­te man Fritz Tscher­ter in Karls­ru­he antreffen? 

„Er war bei jedem Stamm­tisch im ‚Kaf­fee Visel’ in der Molt­ke­stra­ße 81 und natür­lich im ‚Monin­ger’. Der KFV hat­te sei­nen Tisch ganz hin­ten. Für mich war es eine ganz gro­ße Ehre, da dabei zu sein – zwi­schen all den Fußballstars.“

Wie fast jeder Fuß­bal­ler jener Tage war auch Tscher­ter ein begeis­ter­ter Leser der Fach­pres­se, vor allem der „Süd­deut­schen Sport­zei­tung“. Bei Enkel Bernd Matz haben sich die gebun­de­nen Aus­ga­ben der Zei­tung erhal­ten – sein Opa hat­te wich­ti­ge Pas­sa­gen ger­ne far­big unter­stri­chen. Beim Spiel­be­richt über das legen­dä­re 2:1 über Phö­nix 1910 hat­te er die The­se des Jour­na­lis­ten mar­kiert, dass der Ball mani­pu­liert gewe­sen sein soll. Ob Fritz Tscher­ter des­halb mehr über die „Legen­de von den zwei Bla­sen“ wuss­te, kann aller­dings nur ver­mu­tet werden.

Man kann es nicht glau­ben, aber ihr Opa, der Deut­sche Fuß­ball-Meis­ter, hat Ihnen das Fuß­ball­spie­len verboten!

 „Das ist rich­tig. Erst nach sei­nem Tod im Juli 1963 – er starb lei­der viel zu früh – habe ich ange­fan­gen zu kicken. Mein Opa hat die Idee des Pro­fi­fuß­balls nie ver­stan­den und auch den Start der Bun­des­li­ga im August 1963 nicht mehr erlebt. Für ihn stand beim Fuß­ball allein die Kame­rad­schaft im Mit­tel­punkt und kei­ne geschäft­li­chen Interessen.“

Auf dem Platz fiel der Rechts­au­ßen vor allem durch einen Trick auf, der heu­te zum Stan­dard­pro­gramm jedes Hob­by­ki­ckers gehört, damals aber eine Sen­sa­ti­on war: Das Vor­bei­le­gen des Bal­les z.B. links am Geg­ner bei gleich­zei­ti­gem Umlau­fen rechts. Laut Medi­en­be­rich­ten soll Tscher­ter die Kunst des „Umschwei­fens’ – so wur­de die Tech­nik damals genannt – per­fek­tio­niert haben. Bei den „Schwarz­ro­ten“ war er zudem für fast alle Eck­bäl­le zustän­dig – beim 9:1‑Kantersieg gegen Mann­heim 1912 erziel­te er sogar ein Tor durch eine direkt ver­wan­del­te Ecke. Im berühm­ten KFV-Team, das 1910–1912 Süd­deut­scher Meis­ter, 1910 Deut­scher Meis­ter und 1912 Deut­scher Vize­meis­ter wur­de, spiel­te Tscher­ter noch bis 1922.

Kuri­os: In den meis­ten Matches der Schwarz­ro­ten war Fritz Tscher­ter gene­rell als einer der ers­ten Spie­ler am Ball. War­um? Beim Anstoß leg­ten damals die Halb­stür­mer prak­tisch aller Teams auf den Mit­tel­läu­fer (beim KFV war das Koloss Max Breu­nig) zurück, der dann „mit einem Rie­sen­schlag“ eben Rechts­au­ßen Tscher­ter „schick­te“. Was pas­siert wäre, wenn Geppert 1908 Fritz Tscher­ter bei der Ale­man­nia auf­ge­nom­men hät­te, ist natür­lich spe­ku­la­tiv. Sicher ist aber: Nach der Fusi­on 1912 wären der Rechts­au­ßen und sei­ne kon­ge­nia­ler Kol­le­ge För­de­rer beim KFV-Erz­feind Phö­nix-Ale­man­nia Karls­ru­he gelandet.


Fritz “Frie­der” Förderer

(* 05. Janu­ar 1888 in Karls­ru­he; † 20. Dezem­ber 1952 in Weimar)

Fritz För­de­rer, genannt „Frie­der“, war ein Fuß­ball­spie­ler des KFV,  der von 1908–13 zu elf Ein­sät­zen in der deut­schen Natio­nal­mann­schaft kam und dabei zehn Tore erzielte.

Abbil­dun­gen: Auto­gramm­kar­te, Quel­le: KFV.

Der vom Nach­barn FC Ger­ma­nia zum Karls­ru­her FV gekom­me­ne Halb­stür­mer war einer der bes­ten Fuß­bal­ler sei­ner Zeit. Er war Drib­bel­kö­nig und Schuss­ka­no­ne zugleich, der als „Zau­be­rer mit dem Ball“ galt. Als 20-Jäh­ri­ger ver­trat er die Far­ben des DFB beim ers­ten Spiel einer deut­schen Fuß­ball­na­tio­nal­mann­schaft am 5. April 1908 in Basel gegen die Schweiz. Bei der 3:5‑Niederlage steu­er­te er einen Tref­fer bei. Auch beim 14 Tage spä­ter statt­fin­den­den zwei­ten Ein­satz der Natio­nal­mann­schaft gegen Eng­land lief er wie­der für Deutsch­land auf das Feld. Er schoss das Ehren­tor bei der 1:5‑Niederlage am 20. April in Ber­lin-Mari­en­dorf. Mit dem KFV gewann er am 15. Mai 1910 in Köln die deut­sche Meis­ter­schaft. Mit sei­ner Schuss­kraft, sei­ner Drib­bel­kunst und sei­ner Explo­si­vi­tät rag­te er aus der Meis­ter­elf her­aus. Er war auch 1912 bei der Kie­ler Revan­che mit dabei. Im Kron­prin­zen­po­kal fei­er­te er in der Aus­wahl des Südens in den Jah­ren 1910 und 1912 den Titel­ge­winn und wie­der­hol­te dies 1921 mit der Mann­schaft von Mit­tel­deutsch­land. Nach dem 1. Welt­krieg ver­schlug es ihn beruf­lich als Sport­leh­rer an die Saa­le und er setz­te beim VFL Hal­le 1896 sei­ne akti­ve Kar­rie­re fort. Als Mit­glied des „Karls­ru­her-Stur­mes“, Ober­le und Wege­le von Phö­nix auf den Flü­geln, För­de­rer, Hirsch und Fuchs vom KFV als Innen­sturm, ging er in die His­to­rie der Natio­nal­mann­schaft beim Spiel am 24. März 1912 in Zwol­le gegen Hol­land ein. Bei den Olym­pi­schen Spie­len in Stock­holm war er in den Spie­len gegen Russ­land und Ungarn fünf­fa­cher Tor­schüt­ze für die deut­schen Far­ben. Mit der 1:4‑Niederlage am 26. Okto­ber 1913 in Ham­burg gegen Däne­mark ver­ab­schie­de­te er sich nach 11 Län­der­spie­len mit 10 Toren aus der Natio­nal­mann­schaft. Dazu bei­getra­gen hat auch ein schwe­rer Schien­bein­ruch wäh­rend eines Spie­les um den Kron­prin­zen­po­kal im Spät­jahr 1913 im Nürn­ber­ger „Zabo“, der ihn in sei­ner Kar­rie­re zurück­warf. För­de­rer wur­de am 20. April 1908 mit sei­nem zwei­ten Län­der­spiel­tor im zwei­ten deut­schen Län­der­spiel deut­scher Rekord-Tor­schüt­ze (zusam­men mit Fritz Becker, der im ers­ten Län­der­spiel zwei Tore geschos­sen hat­te). Am 3. April 1909 wur­de er mit drei Toren von Eugen Kipp abge­löst, der den Rekord bis zum 5. Mai 1912 auf acht Tore ausbaute.

Am 1. Juli 1912 konn­te För­de­rer im Rekord­spiel gegen Russ­land (16:0) durch vier Tore zwar Kipps Rekord um ein Tor über­bie­ten, da aber Gott­fried Fuchs in die­sem Spiel 10 Tore schoss, wur­de Fuchs Rekord­tor­schüt­ze. Am 3. Juli 1912 schoss För­de­rer im Spiel gegen Ungarn (End­stand 1:3) sein zehn­tes und letz­tes Tor für Deutschland.Oftmals war er durch die Meis­ter­schafts­be­an­spru­chun­gen sei­nes KFV für die Natio­nal­mann­schaft verhindert.

Alle die Fritz För­de­rer spie­len sahen und als Mensch erleb­ten, waren zutiefst berührt, als er am 6. Dezem­ber 1952 kurz vor sei­nem 65. Geburts­tag in Wei­mar starb.

Abbil­dung: Sieb­ter von links: Fritz För­de­rer mit der deut­schen Natio­nal­mann­schaft 1908 (beim ers­ten Län­der­spiel der deut­schen Natio­nal­mann­schaft), Quel­le: DFB.

Abbil­dung: För­de­rer gegen die Sport­freun­de Stutt­gart 1912.Quelle: KFV.

Abbil­dun­gen: Sam­mel­bil­der, Quel­le: KFV.

Wei­te­re Auf­nah­men zu Fritz Förderer

Abbil­dung: Nach­ruf und Sam­mel­bil­der zu För­de­rer. Bild rechts: Frau Jul­chen För­de­rer und Toch­ter Lisa. Quel­le: Alex­an­der Förderer.

Abbil­dung: För­de­rer mit DFB-Abzei­chen, Quel­le: Alex­an­der Förderer.

Abbil­dung: Hand­schrift­li­cher, sport­li­cher Lebens­lauf von Fried­rich För­de­rer, Quel­le: Alex­an­der Förderer.

Abbil­dung: För­de­rer im Kran­ken­bett nach sei­ner schwe­ren Ver­let­zung, Quel­le: Alex­an­der Förderer.

Abbil­dung: För­de­rer als Trai­ner von Jahn Regens­burg, Quel­le: Alex­an­der Förderer.

Abbil­dung: För­de­rer mit Hal­le; Drit­ter von rechts, Quel­le: Alex­an­der Förderer.

Abbil­dung: För­de­rer: Einer der bes­ten sei­ner Zeit, Quel­le: Alex­an­der Förderer.

Abbil­dun­gen: Auch Sohn Fritz För­de­rer jun. blieb dem Sport anhäng­lich. Er wur­de ein bekann­ter Ten­nis-Leh­rer in der DDR, Quel­le: Alex­an­der Förderer.

Daten zu Fritz För­de­rers Leben:

Inter­na­tio­nal
Län­der­spie­le/-Tore: 11/10 von 1908 bis 1913
Ver­ei­ne als Spie­ler:
Ger­ma­nia Karls­ru­he: 1905–1908, Karls­ru­her FV: 1908–1919, Vfl Hal­le 1896: 1919–1932
Ver­ei­ne als Trai­ner:
VfL Hal­le, Schwa­ben Augs­burg: 1932–1933, Jahn Regens­burg: 1933–1935, 1. FC Naum­burg 05: 1935–1937, FC Köthen 02:  1937–1939, S.C. Wei­mar:  1939–1952
Kin­der:
Fri­d­rich August För­de­rer (1910–1970)
Lisa För­de­rer (1913–2005)
Inge­borg För­de­rer (1924–1945 bei einem Bom­ben­an­griff auf Weimar)

 Inter­view mit Alex­an­der För­de­rer aus Hal­le, einem Ur-Enkel von Fritz Förderer

KFV: „För­de­rer“ ist nicht „Becken­bau­er“, „See­ler“ oder „Mat­thä­us“. Die meis­ten Spie­ler aus der Früh­zeit des Fuß­balls sind heu­te nur noch in den Köp­fen von Fuß­ball­be­geis­ter­ten prä­sent  – wird man denn als „För­de­rer“ über­haupt noch mit Fuß­ball in Ver­bin­dung gebracht bzw. dar­auf angesprochen?

Alex­an­der För­de­rer: Ja das Gesprächs­the­ma „Fritz För­de­rer“ ist immer noch groß in der Fami­lie. Auch älte­re Gene­ra­tio­nen in Hal­le wis­sen noch, wer För­de­rer war auch durch sei­nen Ver­ein in Hal­le, dem VfL Hal­le 1896, aber auch durch sei­nen Sohn Fritz För­de­rer jun. Der in Hal­le ein bekann­ter Ten­nis­leh­rer war und auf den Sport­plät­zen der HSG Wis­sen­schaft St. Anna trainierte.

Die Nach­kom­men von Frie­der leb­ten in der BRD als auch in der DDR. Kam es trotz der deut­schen Tei­lung zum Aus­tausch in der Fami­lie?
Trotz der deut­schen Tei­lung kam Frie­ders Toch­ter Lisa, die einen Regens­bur­ger hei­ra­te­te, ein‑, zwei­mal im Jahr nach Hal­le. Nach­dem Lisa in Regens­burg ver­starb, ist deren Fami­lie nach Lan­za­ro­te aus­ge­wan­dert. Die meis­ten Nach­kom­men leben in Halle.

Hat Fritz För­de­rer Anek­do­ten über sei­ne Fuß­ball­kar­rie­re wei­ter­ge­tra­gen?
Er sag­te immer zu sei­ner Frau Jul­chen (gest. 1974): „Mein gelieb­ter KFV“. Über ande­re Ver­ei­ne sprach er nicht so. Auch noch aus Wei­mar beob­ach­te­te er das Gesche­hen um sei­nen KFV in Karls­ru­he. Sei­ne Toch­ter Lisa hat­te immer noch Kon­takt nach Karls­ru­he bis sie 2005 in Regens­burg verstarb.

Das wohl am meis­ten ver­brei­te­te Bild von Fritz För­de­rer zeigt ihn mit sei­nen ehe­ma­li­gen Mit­stür­mern Gott­fried Fuchs und Juli­us Hirsch. Der berühm­te KFV-Innen­sturm För­de­rer-Fuchs-Hirsch war auch in der Natio­nal­elf erfolg­reich. Fuchs und Hirsch wur­den als Juden im drit­ten Reich ver­folgt. Hat För­de­rer von sei­nen zwei Mit­spie­lern gespro­chen oder hat­te er noch nach dem 2. Welt­krieg Kon­takt mit Fuchs?
Ob Fritz Kon­takt zu Hirsch und Fuchs hat­te kann man nicht mehr nach­voll­zie­hen aber eins weiß man, dass zu sei­ner Hoch­zeit 1913 in Karls­ru­he Fuchs und Hirsch mit dabei gewe­sen sein sol­len. Mei­ne Tan­ten konn­ten sich erin­nern, dass er über Hirsch und Fuchs in der Nach­kriegs­zeit gespro­chen hat. Er hat sich für deren Schick­sal inter­es­siert und auch gesucht. Aber den Tod sei­ner Toch­ter Inge­borg, die bei einem Bom­ben­an­griff 9. 2. 1945 in Wei­mar ums Leben kam beschäf­tig­te ihn weit­aus mehr. Deren Tod hat­te er nie ganz verkraftet.

Abbil­dung: För­de­rer (rechts im Bild) mit der Mann­schaft der 3. SS-Toten­kopf­stan­dar­te, der Wach­mann­schaft des KZ Buchen­wald. Quel­le: Alex­an­der Förderer.

1939 trai­nier­te För­de­rer eine SS-Mann­schaft und trat 1942 in die NSDAP ein. Ein überzeug­ter Natio­nal­­so­­zia­­list war er wohl nicht, da er nach dem Krieg u.a. sei­ne Stel­lung als Platz­wart auf Anord­nung der russi­schen Besat­­zungs­­­macht wieder­­­be­­kam. Wie beur­tei­len Sie die­sen Zeit­raum? Hat er je dar­über gespro­chen?
Über die Kriegs­zeit hat er nie sehr viel gespro­chen. Mei­ne Ur-Oma woll­te nie etwas dar­über wis­sen. Mei­ne per­sön­li­che Mei­nung ist, dass die Leu­te in Wei­mar zu 80 % gewusst haben, was in Buchen­wald pas­siert. Das kann man gar nicht ver­säu­men. Ich habe mir es selbst vor Ort ein­mal ange­schaut. Der Trai­nings­platz lag nicht weit ent­fernt vom Lager. Er trai­nier­te die 3. SS-Toten­kopf­stan­dar­te. Ich habe selbst noch Doku­men­te über die Stun­den, die er als Trai­ner dort ableis­te­te und wie­viel Geld er dafür bekam etc.  Nach dem 2. Welt­krieg wur­de er vom rus­si­schen Oberst Kude­now als Platz­wart ein­ge­setzt und trai­nier­te neben der Sol­da­ten­mann­schaft auch die Poli­zei­wach­mann­schaft in Weimar.

War es in der DDR schwie­rig das Andenken an einen Vor­kriegs­na­tio­nal­spie­ler wach zu hal­ten oder ist die­sem Umstand kei­ne Bedeu­tung bei­zu­mes­sen?
Der Name För­de­rer war in Hal­le bekannt. Zumal mein Opa auch den Ten­nis­sport in Hal­le nach 1945 wie­der auf­bau­te. Auch den VfL, wo er noch aktiv spiel­te. Als Jugend­li­cher hat­te ich selbst nicht das größ­te Inter­es­se an mei­nem Uropa, wuss­te aber sehr wohl, wer er war. Ins­be­son­de­re durch mei­ne Groß-Tan­ten, die ihn noch „live“ erlebten.

Ist die Fami­lie För­de­rer auch heu­te noch Fuß­ball-affin?
Nein Fuß­ball spielt in der Fami­lie För­de­rer kaum einer. Die Gene­ra­tio­nen danach sind alle zum Ten­nis gewechselt. 

Wel­chem Ver­ein drü­cken Sie heu­te die Dau­men?
Die Gene­ra­tio­nen, die noch in Hal­le woh­nen, drü­cken dem VfL Hal­le 96 die Dau­men. Dort spielt auch mein Sohn.

Gibt es auch Ehrungen/Benennungen nach Fritz För­de­rer? Erfährt er heu­te noch eine Aner­ken­nung?
Dass Hirsch und Fuchs als Opfer des Natio­nal­so­zia­lis­mus vor­ran­gig geehrt wer­den, kann ich gut ver­ste­hen. Vor allem vor dem Hin­ter­grund, dass der DFB selbst zu die­ser Zeit mit Schuld behaf­tet ist. Aber ein biss­chen fin­de ich es schon trau­rig, dass er nie im grö­ße­ren Rah­men geehrt wur­de. Er hat immer­hin das ers­te Län­der­spiel­tor geschos­sen. So etwas gibt es nur ein­mal und kommt nicht mehr wieder.

Hat Frie­der der Fami­lie Erin­ne­run­gen an sei­ne groß­ar­ti­ge Fuß­ball­kar­rie­re hin­ter­las­sen?
Ja, ich habe einen Ball aus den 1950er Jah­ren geerbt. Es gibt noch das Ehren­ab­zei­chen des DFB und ein Abzei­chen von den Olym­pi­schen Spie­len von 1912 in Stock­holm, Ehren­ring (ver­mut­lich 1910) und ein Ehren­ring des VfL 1896 Halle.

War Frie­der noch ein­mal nach Kriegs­en­de in Karls­ru­he?
Ja, er war auch nach dem Krieg noch eini­ge Mal in Karls­ru­he. In Erin­ne­rung geblie­ben ist ein letz­tes Tref­fen mit Tan­te Babet­te in Karls­ru­he 1950. Das war noch ein­mal eine letz­te grö­ße­re För­de­rer-Zusam­men­kunft. Man ver­ab­schie­de­te Frie­ders Schwa­ger, der in die USA aus­wan­der­te. Bis 1974/75 erreich­ten die Fami­lie Medi­ka­men­te aus Karls­ru­he (Frie­ders Frau ver­starb 1974). 


Abbil­dun­gen: Auto­gramm­kar­te, Quel­le: KFV.
Abbil­dun­gen: Sam­mel­bil­der, Quel­le: KFV.
Abbil­dung: Hand­schrift­li­cher, sport­li­cher Lebens­lauf von Fried­rich För­de­rer, Quel­le: Alex­an­der Förderer.
Abbil­dung: Arti­kel zum Tod von Fritz Förderer.
Abbil­dung: För­de­rer im Kran­ken­bett nach sei­ner schwe­ren Ver­let­zung, Quel­le: Alex­an­der Förderer.
Abbil­dung: För­de­rer gegen die Sport­freun­de Stutt­gart 1912.Quelle: KFV.
Abbil­dung: Sieb­ter von links: Fritz För­de­rer mit der deut­schen Natio­nal­mann­schaft 1908 (beim ers­ten Län­der­spiel der deut­schen Natio­nal­mann­schaft), Quel­le: DFB.
Abbil­dung: För­de­rer (rechts im Bild) mit der Mann­schaft der 3. SS-Toten­kopf­stan­dar­te, der Wach­mann­schaft des KZ Buchen­wald. Quel­le: Alex­an­der Förderer. 
Abbil­dun­gen: Fuchs mit Pele (damals FC San­tos), 1971. Quel­le: Wer­ner Skrentny.
Abbil­dung: Bay­ern Mün­chen – KFV 0:5 (ca. 1911): Fuchs schießt (gegen den dama­li­gen “bes­ten Tor­wart der Welt”, Pekar­na, das letz­te Tor), Quel­le: KFV.
Abbil­dung: Die Natio­nal­mann­schaft die im März 1912 gegen die Nie­der­lan­de in Zwol­le ein spek­ta­ku­lä­res 5:5 erspiel­te. Gros, Breu­nig, Bur­ger, Holl­stein, Röp­nack, Wer­ner, unte­re Rei­he v.l.n.r.: Wege­le, För­de­rer, Fuchs, Hirsch und Ober­le. Quel­le: KFV-Archiv.
Abbil­dung: Zusam­men mit Juli­us Hirsch (sie­he unten) prägt Fuchs seit 2013 mit einem eige­nen Platz auch das Karls­ru­her Stadt­bild. Quel­le: Stadt­wi­ki Karlsruhe.

 


Gott­fried Fuchs aka God­frey E. Fochs und sein Län­der­spiel-Tor-Rekord — Tadel­lo­ser Sports­mann, ste­tes Vorbild

3. Mai 1889 in Karls­ru­he — 25. Febru­ar 1972 in Mont­re­al, Qué­bec, Kanada

von Wer­ner Skrentny

Als Gott­fried Fuchs, bis auf den heu­ti­gen Tag Rekord-Tor­schüt­ze der deut­schen Natio­nal­mann­schaft mit zehn Tref­fern (!) in einem Län­der­spiel, am 25. Febru­ar 1972 im Alter von 83 Jah­ren als God­frey E. Fochs im kana­di­schen Exil in West­mount ver­starb, zeig­te die Mono­pol-Zei­tung sei­ner frü­he­ren Hei­mat­stadt Karls­ru­he, die „Badi­schen Neu­es­ten Nach­rich­ten“, sei­nen Tod mit einer kur­zen, ein­spal­ti­gen, in einen Kas­ten gesetz­ten Notiz an. „Poli­ti­sche Ereig­nis­se zwan­gen ihn dazu, sei­ne Hei­mat zu ver­las­sen“, hieß es nebulös.

Die Tat­sa­che: Der Mit­tel­stür­mer Fuchs war mit sei­ner Fami­lie als Jude 1937 aus Deutsch­land geflüch­tet. Zum Karls­ru­her FV ist er nach Ende der Dik­ta­tur trotz mehr­ma­li­ger Auf­ent­hal­te im ehe­ma­li­gen Hei­mat­land nie zurück gekehrt – „weil sie den „Jul­ler“ Hirsch ermor­det haben.“

Fuchs’ ein­zi­ge Schwes­ter Sen­ta, gebo­ren 1888 in Karls­ru­he, wur­de 1943 mit ihrem Ehe­mann Dr. Hugo Bernd, einem Fach­arzt, aus Koblenz in das KZ Ausch­witz depor­tiert und umge­bracht. Die Tan­te Sel­ma Fuchs aus Kon­stanz ist eben­falls in Ausch­witz getö­tet wor­den. Cou­sin Phil­ipp Fuchs erschoss sich nach der Pogrom­nacht am 10. Novem­ber 1938 in sei­ner Karls­ru­her Woh­nung, als die ein Roll­kom­man­do stür­men woll­te. Zahl­rei­che wei­te­re Ver­wand­te des Fuß­ball-Natio­nal­spie­lers wur­den in der NS-Zeit ermordet.

Bekann­ten und Sport­freun­den wie Fritz Tscher­ter aus der KFV-Meis­ter­elf von 1910 ließ Fuchs nach Kriegs­en­de Hil­fe zukom­men, so in Form von Lebens­mit­tel-Pake­ten aus Übersee.

Ein unzu­tref­fen­des Bild vom Ver­hält­nis KFV / Fuchs zeich­ne­te in der noch jun­gen Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land der Sport­jour­na­list Richard Vol­der­au­er, der 1960 anläss­lich einer Zwi­schen­lan­dung in New York auf dem Weg zu den Olym­pi­schen Win­ter­spie­len von Squaw Val­ley aus­führ­lich mit dem Ex-Natio­nal­spie­ler tele­fo­nier­te und in einer KFV-Fest­schrift das Fol­gen­de nie­der­schrieb: „Fuchs ist heu­te ein Sieb­zi­ger und hängt natür­lich an sei­ner Hei­mat­stadt Karls­ru­he und an dem KFV.“

Vol­der­au­er (1889–1963), Mit­glied des KFV, nach dem Krieg Redak­teur des „Offen­bur­ger Tag­blatt“, hat­te die Glanz­zei­ten von Fuchs noch mit­er­lebt. 1908 – zwei Jah­re dar­auf wur­de der Karls­ru­her FV Deut­scher Fuß­ball-Meis­ter -, begann er sei­ne jour­na­lis­ti­sche Lauf­bahn als Redak­ti­ons-Volon­tär bei der Tages­zei­tung „Badi­sche Pres­se“ und führ­te dort die mon­täg­li­che Sport-Bei­la­ge ein. Als „Schrift­lei­ter für Sport und Hei­mat­teil“ wird Richard Vol­der­au­er 1937 bei der Karls­ru­her Tages­zei­tung „Der Füh­rer. Haupt­or­gan der NSDAP Gau Baden“ genannt.

Ein Kar­ten­gruß aus Moskau

Ob nun auf­grund sei­ner NS-Ver­gan­gen­heit und einem mög­li­cher­wei­se schlech­ten Gewis­sen oder ob jugend­li­cher Erin­ne­rung: Vol­der­au­er stell­te 1955 den Kon­takt zwi­schen dem DFB und sei­nem Rekord-Tor­jä­ger her. Der Redak­teur schlug vor, anläss­lich des ers­ten Fuß­ball-Län­der­spiels zwi­schen der Sowjet­uni­on und der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land am 21. August 1955 einen Kar­ten­gruß aus Mos­kau nach Kana­da zu schi­cken. Denn beim 16:0 über die Aus­wahl des zaris­ti­schen Russ­land 1912 bei den Olym­pi­schen Spie­len in Stock­holm hat­te Gott­fried Fuchs ja zehn Tore erzielt – wie erwähnt Rekord bis heu­te. DFB-Prä­si­dent Dr. Peco Bau­wens äußer­te „vol­les Ver­ständ­nis“ und tat­säch­lich ließ Bun­des­trai­ner Sepp Her­ber­ger die Natio­nal­spie­ler die Kar­te nach West­mount unterschreiben.

Her­ber­ger: „Hell­auf begeistert“

Es war der Auf­takt zu einem regen Brief­wech­sel zwi­schen Her­ber­ger und dem Emi­gran­ten, den Bernd M. Bey­er, Lek­tor des Autors vom Ver­lag Die Werk­statt in Göt­tin­gen, im DFB-Archiv in Frankfurt/Main ent­deck­te. Her­ber­ger erin­ner­te sich 1955: „Ich war noch ein klei­ner Schul­bub in Mann­heim, als ich von ihrer Fuß­ball­kunst hör­te, und dann sah ich sie selbst in Mann­heim spie­len (Anm.: Phö­nix Mann­heim – KFV 2:2; bei­de Karls­ru­her Tore durch Fuchs). Sie und ihr Spiel waren es, das mei­ne Kame­ra­den und ganz beson­ders mich hell­auf begeis­ter­ten.“ Fuchs, eben­so wie Her­ber­ger Mit­tel­stür­mer, ant­wor­te­te: „Sie kön­nen sich nicht vor­stel­len, wie sehr mich ihr natür­li­cher und herz­li­cher Brief gefreut hat.“

Die voll­stän­di­ge Kor­re­spon­denz der bei­den frü­he­ren Natio­nal­spie­ler ist lei­der nicht erhal­ten. U. a. berich­tet Her­ber­ger, bis 1964 Bun­des­trai­ner, im Jahr dar­auf von einem „Kreis der Alten“, der sich wohl um den VfR Mann­heim und den SV Wald­hof gebil­det hat­te: „Wenn der Name Gott­fried Fuchs fällt, dann lebt die gro­ße Zeit des Karls­ru­her Fuß­ball­ver­eins auf, und immer ist dabei auch von Ihnen die Rede. Sie haben nicht nur als ein Spie­ler gro­ßer Klas­se, son­dern auch als ein vor­bild­li­cher Sports­mann gegolten.“

Für Letz­te­res gibt es vie­le Bei­spie­le. Einen Straf­stoß, des­sen Ver­hän­gung er als unge­recht emp­fand, ver­such­te Fuchs nach Rück­spra­che mit dem Schieds­rich­ter zu kor­ri­gie­ren. Aus dem Lor­beer­kranz, der ihm ein­mal ver­lie­hen wur­de, zupf­te er die Blät­ter her­aus, um sie an sei­ne Mit­spie­ler zu ver­tei­len. Der Tor­jä­ger galt als über­aus fair und beschei­den. Um sei­nen Sta­tus als Natio­nal­spie­ler oder den Tor­re­kord hat er auch im Alter nie irgend­ein Auf­he­ben gemacht. Nach Kar­rie­re­en­de taucht er in der Sport­pres­se weder als Pro­mi­nen­ter noch als Kom­men­ta­tor auf. Fuß­ball­spie­le hat er nach Aus­kunft der Toch­ter Ani­ta Fochs Hel­ler spä­ter noch besucht, am neu­en Wohn­sitz in Ber­lin und im Exil in Frank­reich. „Nach 1933 hat er aber nicht mehr viel gere­det über Fuß­ball. Er war depri­miert. Er hat­te das ver­lo­ren, was ihm so viel bedeu­te­te im Leben.“ 

In Kana­da, alles ande­re als ein Fuß­ball-Land, hat­te man Fuchs’ Tor-Rekord der­weil nicht ver­ges­sen. Im Juli 1971 führ­te er mit 82 Jah­ren beim Freund­schafts­spiel FC San­tos gegen FC Bolo­gna (1:0) in Mont­re­al den Anstoß aus und unter­hielt sich ange­regt mit Welt­klas­se-Mann Pelé aus Brasilien.

Aus dem Brief­wech­sel Her­ber­gers mit sei­nem Jugend-Idol resul­tiert eine Idee: 1972 ist Deutsch­land erst­mals seit 1936 wie­der Aus­tra­gungs­ort der Olym­pi­schen Som­mer­spie­le. Ter­min für die Eröff­nung des neu erbau­ten Münch­ner Olym­pia­sta­di­ons ist der 24. Mai: Es spie­len die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und die Sowjet­uni­on. Dr. jur. Wolf­gang Huber (1913–1998), ein nam­haf­ter Ten­nis-Funk­tio­när aus Essen und Geschäfts­füh­rer bei Raab Kar­cher (einem Unter­neh­men, des­sen Wur­zeln in Karls­ru­he lie­gen; der Kon­takt zwi­schen den Fami­li­en Huber und Fuchs geht weit zurück), regt bei Her­ber­ger eine Ein­la­dung für den Rekord-Tor­schüt­zen ins „Aktu­el­le Sport­stu­dio“ des ZDF an. 

Abbil­dung: Fuchs schießt aus bedräng­ter Posi­ti­on im Fina­le des Kron­prin­zen­po­kals. Quel­le: KFV-Archiv.

Der frü­he­re Reichs- und Bun­des­trai­ner an Dr. Huber: „Glau­ben Sie, dass Gott­fried Fuchs – nach allem, was gewe­sen ist – über­haupt noch ein Inter­es­se an einem Kon­takt mit dem deut­schen Fuß­ball hat? Und glau­ben Sie, dass er gege­be­nen­falls einer sol­chen Ein­la­dung wegen not­falls auch in die eige­ne Tasche grei­fen wür­de? (…) Ich bit­te um ver­trau­li­che Behandlung.“

Dr. Wolf­gang Huber ant­wor­tet: „Fochs ist heu­te wie­der ein ver­mö­gen­der Mann und durch­aus in der Lage, sei­ne Rei­se zu bezah­len. Gera­de im Hin­blick auf die Fra­ge, dass wir auch hier viel wie­der gut zu machen haben, hegt Fochs kei­ner­lei Res­sen­ti­ments gegen Deutsch­land und steht abso­lut wie­der wie frü­her mit uns.“

Der Esse­ner Jurist wäre ggf. bereit, die Rei­se­kos­ten zu über­neh­men – ein Ange­bot, das durch Gott­fried Fuchs’ Tod nicht mehr rele­vant war (s. unten).

„Wen könn­te man denn bes­ser ehren als ihn, der heu­te noch den Welt­re­kord als Tor­schüt­ze in einem olym­pi­schen Spiel inne­hat, und wen bes­ser ehren als ihn, der als Jude, obgleich er gro­ße Ver­diens­te um Deutsch­land hat­te (Hohen­zol­lern-Haus­or­den, wie­der­hol­te Tap­fer­keit vor dem Feind, Ers­ter Welt­krieg) im Drit­ten Reich so schlecht behan­delt wurde.“

Sepp Her­ber­ger schlägt dem DFB vor, God­frey E. Fochs als Ehren­gast zum Russ­land-Län­der­spiel in Mün­chen ein­zu­la­den. „Eine sol­che Ein­la­dung als ein Ver­such der Wie­der­gut­ma­chung will­fah­re­nen Unrechts wür­de sicher­lich nicht nur im Kreis der Fuß­bal­ler und Sport­ler, son­dern über­all in Deutsch­land ein gutes Echo fin­den.“ Nach Kana­da schreibt der Fuß­ball­leh­rer an Fochs: „Hal­ten Sie sich die­sen Ter­min 24. Mai schon ein­mal frei.“

Das DFB-Prä­si­di­um, das u. a. ehe­ma­li­ge NSDAP-Mit­glie­der bil­den, lehnt eine Ein­la­dung ab: Es wür­de ein Prä­ze­denz­fall geschaf­fen, heißt es. Auch aus finan­zi­el­len Grün­den sei eine Ein­la­dung nicht mög­lich: „Die Haus­halts­la­ge ist sehr angespannt.“

Der Flug Mont­re­al – Frankfurt/Main und retour hät­te den größ­ten und reichs­ten Sport­ver­band der Welt damals 1.760 DM gekostet.

Abbil­dung: Gott­fried Fuchs (3.v.l.) mit der deut­schen Natio­nal­mann­schaft vor dem Rekord­spiel gegen Russ­land bei den Olym­pi­schen Spie­len 1912. Die Spie­ler von l.n.r.: Karl Bur­ger, Hans Ree­se, Gott­fried Fuchs, Otto Thiel, Wal­ter Hem­pel, Adolf Wer­ner, Fritz För­de­rer, Emil Ober­le, Karl Uhle, Dr. Josef Gla­ser, Camil­lo Ugi.

„Es ist auf NIEMANDEN mehr Verlass“

Sepp Her­ber­ger ist bit­ter ent­täuscht und schreibt am 22. März 1972 an sein eins­ti­ges Idol: „Die­se Absa­ge ist für mich eine ein­zi­ge Ent­täu­schung und ein Anlass, wie­der ein­mal mehr fest­zu­stel­len, dass (…) auf NIEMANDEN mehr Ver­lass ist (…) Es tut mir sehr leid, Sie ent­täu­schen zu müssen.“

Tod nach dem Schneesturm

God­frey E. Fochs hat von der Absa­ge nie mehr erfah­ren, denn er stirbt wie ein­gangs erwähnt am 25. Febru­ar 1972. Er hat­te noch Ten­nis  in der Hal­le gespielt am Vor­abend und war dann, weil Taxen im Schnee­sturm nicht mehr ver­kehr­ten, in Mont­re­al nachts fast sechs Kilo­me­ter nach­hau­se gelau­fen. Fochs starb in sei­nem Bade­zim­mer „einen Tod ohne Lei­den“. Sepp Her­ber­ger erfährt davon erst am 5. Mai.

Gott­fried Erik Fuchs wur­de 1889 in Karls­ru­he gebo­ren. Wie all sei­ne Geschwis­ter erhielt er einen Vor­na­men aus Richard Wag­ner-Opern, den Vater Gus­tav hoch ver­ehr­te. Erik, das war der Jäger aus „Der flie­gen­de Holländer.“

Abbil­dung: Gott­fried Fuchs in Akti­on. Quel­le: KFV-Archiv.

Die Groß­el­tern waren aus dem Dorf Wein­gar­ten bei Karls­ru­he in die badi­sche Resi­denz­stadt gezo­gen. Die Fami­lie ver­leg­te sich über­aus erfolg­reich auf den Holz­han­del, wes­halb der Mit­tel­stür­mer zeit­wei­se unzu­tref­fend als „Fuß­ball-Mil­lio­när“ bezeich­net wur­de. Das Fuß­ball­spiel hat er womög­lich erst in Karls­ru­he, danach bei sei­nem beruf­li­chen Auf­ent­halt in Lon­don ken­nen gelernt und als er in Düs­sel­dorf sei­ne Aus­bil­dung als Kauf­mann kom­plet­tier­te, wur­de er mit dem dor­ti­gen FC 99 West­meis­ter. Dem Team gehör­ten sei­ner­zeit zur Hälf­te Eng­län­der an.

„Der neu­ein­ge­stell­te Fuchs“

Dass er sich als Spross der bür­ger­li­chen Ober­schicht dem „neu­en Sport“ ver­schrieb, war typisch für jene Anfangs­jah­re des Fuß­balls. Den trie­ben Dok­to­ren, Stu­den­ten, Ober­schü­ler und Real­schü­ler vor­an. „Der neu­ein­ge­stell­te Fuchs“, damals 17 Jah­re jung, wirk­te am 8. April 1907 erst­mals beim KFV mit, als Pio­nier Walt­her Ben­se­mann den Oxford Uni­ver­si­ty Asso­cia­ti­on Foot­ball Club aus Eng­land nach Karls­ru­he ver­pflich­tet hatte.

Dies war ein außer­or­dent­li­ches Ereig­nis, die 3.000 Zuschau­er bedeu­te­ten damals deut­schen Besu­cher-Rekord! Stadt und Frem­den­ver­kehrs­amt Karls­ru­he über­nah­men die Kos­ten für das Gast­spiel, es gab ein umfang­rei­ches Begleit­pro­gramm und auf der eigens errich­te­ten Tri­bü­ne nahm auch „sei­ne groß­her­zog­li­che Hoheit“ Prinz Max von Baden Platz. Oxford gewann 3:0. Unter den Zuschau­ern dürf­te auch der damals 15-jäh­ri­ge KFV-Jugend­spie­ler Juli­us Hirsch gewe­sen sein.

Abbil­dung: Gott­fried Fuchs mit Pele bei einem Freund­schafts­spiel des FC San­tos (Peles Hei­mat­ver­ein) bei dem Fuchs den Ehren­an­stoss aus­führ­te. Rech­tes Bild: Fuchs in der Bild­zei­tung nach dem 13:0 gegen San Mari­no im Sep­tem­ber 2006. Quel­le: Wer­ner Skrentny/ KFV-Archiv.

„Fuß­ball-Metro­po­le“ Karlsruhe

Die Resi­denz der badi­schen Groß­her­zö­ge galt damals als deut­sche „Fuß­ball-Metro­po­le“, ein Ruf, den spä­ter die Deut­schen Meis­ter Phö­nix (1909) und KFV (1910) bestä­tig­ten. Die „Illus­trier­te Sport­zei­tung“ aus Mün­chen berich­te­te im KFV-Meis­ter­jahr: „Eini­ge Tau­send Ein­woh­ner der badi­schen Resi­denz ver­brin­gen den Sonn­tag-Nach­mit­tag regel­mä­ßig bei den Fuß­ball-Wett­kämp­fen. Die Liga­meis­ter­schafts­spie­le sind zu Ereig­nis­sen gewor­den, wel­che im öffent­li­chen Leben der Stadt viel bemerkt wer­den. Karls­ru­he ist die Wie­ge des deut­schen Fußballsports.“ 

Den schlan­ken, schlak­si­gen Gott­fried Fuchs zeich­nen Schnel­lig­keit, Wen­dig­keit, eine aus­ge­zeich­ne­te fuß­bal­le­ri­sche Tech­nik und Treff­si­cher­heit aus. In sei­ner Zeit gilt er als einer der her­aus­ra­gen­den Mit­tel­stür­mer. 1910 wird „Got­ti“ bzw. „Got­tes“, wie er genannt wur­de, mit dem KFV Deut­scher Meis­ter, und ein Jahr spä­ter als ers­ter Natio­nal­spie­ler jüdi­schen Glau­bens beim 6:2 gegen die Schweiz (zwei Fuchs-Tore) beru­fen.  In sechs Län­der­spie­len erzielt er 14 Tore.

Abbil­dung: Fuchs (Mit­te) nimmt ein Zuspiel von Breu­nig auf. Quel­le: KFV-Archiv.

Abbil­dung: Fuchs (links) im Spiel gegen Erz­ri­va­len Phö­nix. Quel­le: Tho­mas Staisch.

1912 gewinnt Süd­deutsch­land in Ber­lin mit 6:5 gegen Bran­den­burg (KFV-Bei­trag: 3 Tore Hirsch, 2 Fuchs) den Kron­prin­zen­po­kal. Das ist der bedeu­tends­te Län­der-Wett­be­werb für Ver­bands­mann­schaf­ten, seit 1909 aus­ge­spielt. Ab 1919 heißt er Bun­des­po­kal, danach Reichs­bund-Pokal und schließ­lich DFB-Län­der­po­kal (für Ama­teu­re). In der süd­deut­schen Sie­ger­elf von 1912 ste­hen neben Hirsch und Fuchs mit Ernst Holl­stein, Franz Bur­ger, Max „Mäx­le“ Breu­nig,  Wil­helm Gros, Frie­der „Fri­d­der“ För­de­rer (alle KFV) und Wege­le (Phö­nix) wei­te­re Karlsruher. 

Im End­spiel um die Deut­sche Meis­ter­schaft unter­liegt der KFV 1912 dem Geg­ner vom Fina­le 1910, Hol­stein Kiel, 0:1 – auch, weil Mit­tel­stür­mer Fuchs durch eine Knie­ver­let­zung gehan­di­kapt ist.

Sei­ne Stern­stun­de erlebt er dann, bestimmt auch wegen der Zuspie­le sei­nes KFV-Mann­schafts-Kame­ra­den För­de­rer, wie erwähnt bei den Olym­pi­schen Spie­len 1912 in Stock­holm: Zehn Tore beim 16:0 gegen das zaris­ti­sche Russ­land. Dies bedeu­tet Welt­re­kord, gemein­sam mit Sofus Niel­sen, der 1908 eben­falls beim olym­pi­schen Fuß­ball-Tur­nier für Däne­mark beim 17:1 gegen Frank­reich zehn­mal traf. Über­trof­fen wird die Rekord-Mar­ke erst 2001, als Archie Thomp­son im WM-Qua­li­fi­ka­ti­ons­spiel Aus­tra­li­en gegen Ame­ri­ka­nisch-Samoa beim 31:0 13 Tore erzielte.

Im Krieg: „beson­de­re Tapferkeit“

Mit Kriegs­be­ginn 1914 mel­det sich Gott­fried Fuchs als Frei­wil­li­ger und kämpft bis zu einer schwe­ren Ver­wun­dung im März 1918 durch einen Schrapnell­schuss in den lin­ken Arm durch­ge­hend an der West­front. Als Leut­nant der Reser­ve ver­lässt er den Mili­tär­dienst. Mehr­fach aus­ge­zeich­net, dürf­te er der höchst­de­ko­rier­te Kriegs­teil­neh­mer der DFB-Natio­nal­mann­schaft sowohl im 1. Als auch im 2. Welt­krieg gewe­sen sein, erhielt er doch auch das „Kreuz der Rit­ter des König­li­chen Haus­or­dens von Hohen­zol­lern mit Schwer­tern“, das 8.921mal ver­ge­ben wur­de. Abtei­lungs- und Regi­ments-Kom­man­deur beschrei­ben Gott­fried Fuchs als „tüch­ti­gen, schnei­di­gen Offi­zier, im Kame­ra­den­kreis sehr gern gese­hen und sehr beliebt“. Her­vor geho­ben wird sei­ne „beson­de­re Tapferkeit“. 

Der Leut­nant Fuchs kämpft an der West­front auch gegen Eng­län­der, in deren Land er ehe­mals gelebt und mit deren Fuß­bal­lern er in einer Mann­schaft gespielt hat­te. Spä­ter wird er vom Lebens­stil her als anglo­phil gel­ten; u. a. ordert er Anzü­ge aus Lon­don. Wie er, der aus einem ein­deu­tig deutsch­na­tio­na­len Eltern­haus stamm­te, die­sen Krieg und sei­nen Ein­satz emp­fun­den hat, dar­über kann man­gels Zeug­nis­sen nichts berich­tet werden.

Nach­dem er am 30. Novem­ber 1918 aus dem Heer ent­las­sen wird (die Mon­ar­chie stürzt am 9. Novem­ber),  spielt Gott­fried Fuchs wie­der für den KFV. Doch haben der Beruf und die Fir­ma H. Fuchs und Söh­ne schließ­lich Vor­rang. Nach der Hei­rat mit der jüdi­schen Archi­tek­tin Euge­nia Stein­berg aus War­schau wer­den 1924 im Feri­en­do­mi­zil im heu­ti­gen Bad Her­ren­alb die Zwil­lin­ge Jan und Yvonne gebo­ren. Die Fami­lie kauft die Vil­la in der heu­ti­gen Rein­hold-Frank-Str. 54 in Karls­ru­he, wo 1926 Toch­ter Ani­ta zur Welt kommt. 1929 erfolgt die Umsied­lung des inzwi­schen auch inter­na­tio­nal täti­gen Kauf­manns in die Ber­li­ner „Vil­len­co­lo­nie Niko­las­see“, wo Toch­ter Nata­lie gebo­ren wird. Als begeis­ter­ter Ten­nis­spie­ler enga­giert sich Fuchs im dor­ti­gen Klub, er über­nimmt auch Funk­tio­nen, bis der Ver­ein 1935 sei­ne jüdi­schen Mit­glie­der aus­schließt. Neben­bei: Einst­mals hat­te Fuchs, ver­mut­lich auf­grund sei­ner Erfah­run­gen in Eng­land, das Cri­cket­spiel nach Karls­ru­he gebracht.

Anti­se­mi­tis­mus hat­te Fuchs noch in Karls­ru­he erfah­ren, als 1926 die Gedenk­ta­fel an der Syn­ago­ge für die jüdi­schen Welt­kriegs-Toten mit Teer besu­delt wur­de. Nicht mehr les­bar war auch der Name sei­nes Cou­sins Erich Fuchs, der 1917 als Kriegs­frei­wil­li­ger im Alter von 19 Jah­ren ums Leben kam.

In der Reichs­haupt­stadt Ber­lin, dem neu­en Wohn­sitz, erlebt er die Macht­über­nah­me der NSDAP, den sog. Juden­boy­kott am 1. April 1933, die Nürn­ber­ger Geset­ze von 1935. Die poli­zei­li­che Abmel­dung der Fami­lie Fuchs aus Ber­lin datiert vom 30. Dezem­ber 1937. Die Kin­der, die im All­tag bereits Schi­ka­nen erfah­ren haben, glau­ben an einen Urlaub in Engel­berg in der Zen­tral­schweiz. Tat­säch­lich hat das Ehe­paar beschlos­sen, zu emi­grie­ren: „Als Jude hat Gott­fried Fuchs nach Erlass der Nürn­ber­ger Geset­ze klar die Ent­wick­lung für sich und sei­ne Fami­lie erkannt. Es lagen eine gro­ße Anzahl von Ereig­nis­sen im Leben der Fami­lie Fuchs schon zu jener Zeit vor, die ihn bestimm­ten Deutsch­land zu ver­las­sen“ (1952).

Kein Exil in der Schweiz

Die Schweiz aller­dings gewährt kein Exil. Unter­la­gen dazu sind in den dort zustän­di­gen Archi­ven heu­te uner­klär­li­cher­wei­se nicht mehr auf­zu­fin­den. Im Okto­ber 1938 muss die Fami­lie das Land verlassen.

Da die Vor­fah­ren von Fuchs’ Mut­ter Sarah aus dem Elsass stam­men, bemüht sich der Geschäfts­mann um die fran­zö­si­sche Staats­bür­ger­schaft – ver­ge­bens. Im Zür­cher US-Kon­su­lat erhält er die Visa für die Ein­rei­se in die USA, doch wol­len die Kin­der nicht dorthin.

Abschied von „Jul­ler“ Hirsch

Man lässt sich in Paris nie­der, wo Gott­fried Fuchs letzt­mals sei­nen frü­he­ren Mann­schafts­ka­me­ra­den Juli­us Hirsch trifft. Er schrieb über die Begeg­nung 1966 an Sepp Her­ber­ger: „Die Hit­ler­zeit ganz zu ver­ges­sen ist für die­je­ni­gen, die unter ihr gedul­det und gelit­ten haben, nicht ein­fach. Ich kom­me nicht dar­über hin­weg, wie ich im Jah­re 1939 (Anm.: zutref­fend ist 1938), kurz vor dem Aus­bruch des Krie­ges, dem lie­ben Jul­ler Hirsch in Paris mit Weh­mut im Her­zen zum letz­ten Male die Hand zum Abschied drück­te, als er zu sei­ner Fami­lie nach Karls­ru­he zurück­zu­keh­ren sich entschloss.“

Nach dem Angriff Deutsch­lands 1940 auf Bel­gi­en, die Nie­der­lan­de, Luxem­burg und Frank­reich wird Fuchs in Paris als „feind­li­cher Aus­län­der“ inter­niert, denn er besitzt nach wie vor die deut­sche Staatsbürgerschaft.

Ob Gott­fried Fuchs im Exil noch von dem „kicker“-Sammelbilder-Album „Die deut­schen Natio­nal­spie­ler“ erfah­ren hat, das 1939 ver­öf­fent­licht wur­de? (ver­gleich­bar mit den „Panini“-Alben). Es feh­len dar­in drei Fotos und die ent­spre­chen­den Bio­gra­fien. Ein Natio­nal­spie­ler wur­de durch ein Ver­se­hen ver­ges­sen, Gott­fried Fuchs und Juli­us Hirsch aber wer­den aus ras­sis­ti­schen Grün­den nicht gewür­digt. Bei der Neu­auf­la­ge die­ses Albums 1988 durch das Köl­ner Sport-Anti­qua­ri­at Strauß war zwar „der Füh­rer“ auf zwei Bild­sei­ten nicht mehr groß­flä­chig abge­bil­det, wohl aber fehl­ten nach wie vor die bei­den Karls­ru­her Internationalen.

Die Ret­tung für die Fami­lie Fuchs bedeu­te­te das Visa für Kana­da, das des­sen Gene­ral­kon­sul Geor­ges Vanier in Paris aus­stellt. Es ist die Aus­nah­me, denn von 1938 bis 1945 nimmt Kana­da ledig­lich 5.000 jüdi­sche Flücht­lin­ge auf. Die deut­sche Wehr­macht steht bereits in Frank­reich, als Gott­fried und Ehe­frau „Genia“ mit den vier Kin­dern und der grei­sen Mut­ter Sarah Fuchs das Land in St. Malo in der Nor­man­die ver­las­sen. Sarah (1863–1941) wird in Kana­da ster­ben. In Lon­don sieht Gott­fried sei­ne Brü­der Walt­her und Sieg­mund wie­der. Richard, der Archi­tekt, ein wei­te­rer Bru­der, ist nach Neu­see­land entkommen.

1941 teilt die Gesta­po dem Finanz­amt Ber­lin-Moa­bit mit: „Die Ver­mö­gens­wer­te des Juden Gott­fried Isra­el Fuchs (Anm.: sie­he oben, der Vor­na­me Erik aus der Wag­ner-Oper ent­fiel) sind im Zuge der beab­sich­tig­ten Aus­bür­ge­rung durch die Staats­po­li­zei­stel­le Ber­lin sicher­ge­stellt worden.“ 

Weil der Name Fuchs eng­lisch aus­ge­spro­chen unan­ge­nehm klingt, heißt der Emi­grant fort­an God­frey E. Fochs. Auf­grund des Anti­se­mi­tis­mus im neu­en Hei­mat­land kann er nicht mehr in der Holz­bran­che tätig sein. Er arbei­tet jetzt im Tex­til­ge­schäft. Die Fami­lie lässt sich wie erwähnt schließ­lich in West­mount, Mont­re­al, nie­der. Dort, bei den öffent­li­chen Ten­nis­plät­zen, befin­det sich an einem Baum eine klei­ne, von Toch­ter Ani­ta ange­brach­te Pla­ket­te, denn Fochs war dort oft aktiv. Der Mount Roy­al Ten­nis Club of Mont­re­al woll­te den Juden damals nicht aufnehmen.

Die Grä­ber der Karlsruher

Ihre letz­te Ruhe­stät­te haben „God­frey Eric Fochs (Gott­fried Fuchs)“, so die Inschrift auf dem Grab­stein, und „Euge­nie Fochs (Fuchs)“, ver­stor­ben 1965, auf dem Baron de Hirsch Ceme­tery von Mont­re­al gefun­den. Unweit davon, in einer ande­ren Abtei­lung des Jüdi­schen Fried­hofs, befin­det sich das Grab von Max Hirsch, dem Bru­der von Fuchs’ ehe­ma­li­gen Mit­spie­ler Juli­us. Er war 1948 nach Kana­da emi­griert. Doch haben sich die bei­den, aus Karls­ru­he stam­men­den Fami­li­en Fuchs und Hirsch in Mont­re­al nie ken­nen gelernt – ein Beweis für die Wir­ren jener Zeit, obwohl inzwi­schen eine Rei­he mög­li­cher Berüh­rungs­punk­te über die Nach­fah­ren aus­ge­macht wurde. 

Dass der Kon­takt zwi­schen den Fami­li­en Fuchs/Fochs aus Kana­da und Hirsch aus Karls­ru­he wie­der zustan­de kam, war Dan­ny Mul­he­ron aus Neu­see­land zu dan­ken. Der Fil­me­ma­cher dreh­te mit sei­ner Frau Sara Stret­ton zu sei­nem Groß­va­ter Richard Fuchs, inzwi­schen auch als Kom­po­nist u. a. in Karls­ru­he gewür­digt, 2008 die Doku­men­ta­ti­on „The Third Richard“. Er film­te dabei u. a. auch im Haus Bei­ert­hei­mer Allee 42 a, dem letz­ten Bau­werk, das Richard Fuchs in Karls­ru­he kon­zi­piert hat­te. Ent­wor­fen hat­te Richard Fuchs 1928 auch die Syn­ago­ge von Gerns­bach im Murg­tal, die zehn Jah­re spä­ter durch Brand­stif­ter der SA ver­nich­tet wur­de (s. a.: www.richardfuchs.org.nz). Die zwei­ma­li­gen Besu­che des Autors in Kana­da bei der Fami­lie Fochs hal­fen, die Ver­bin­dung nach Karls­ru­he zu intensivieren.

Die Nazi-Dik­ta­tur, von Mil­lio­nen Deut­scher befür­wor­tet, hat­te zahl­rei­che Mit­glie­der der Fami­lie Fuchs in vie­le Exil­län­der gezwun­gen —  aber nicht aus­ein­an­der gebracht. Das war zuletzt in Haar­lem in den Nie­der­lan­den zu erle­ben, als sich im Juli 2015 etwa 100 Mit­glie­der der Fami­lie zur drit­ten „Fuchs Fami­ly Reuni­on“ tra­fen – dar­un­ter zahl­rei­che Jün­ge­re. Hin­ter der wei­ßen Fah­ne mit dem dar­auf gemal­ten Fuchs pil­ger­ten sie durch die Haar­le­mer Alt­stadt, zur Kanal­fahrt, ent­deck­ten „jun­ge Mat­jes“ auf dem Markt und lausch­ten dem Kon­zert mit Kom­po­si­tio­nen von Gott­frieds Bru­der Richard. Sie kamen aus vie­len Län­dern: USA und Kana­da und Groß­bri­tan­ni­en, der Schweiz, den Nie­der­lan­den und Neu­see­land. Das ers­te Tref­fen der Fami­lie hat­te 2009 in Karls­ru­he statt­ge­fun­den, ein wei­te­res 2012 in Esterel, Kana­da, in einem Resort-Hotel am See.

Als der Gott­fried-Fuchs-Platz am 20. Juni 2013 im Bei­sein von Karls­ru­hes Ober­bür­ger­meis­ter Dr. Frank Men­trup und des frü­he­ren DFB-Prä­si­den­ten Dr. Theo Zwan­zi­ger mit einem wür­di­gen Fest­akt ein­ge­weiht wur­de, war auch Toch­ter Nata­lie Fochs Iss­acs mit wei­te­ren Ver­wand­ten vor Ort. Die Kana­die­rin sprach in deutsch, flie­ßend; nur die Aus­spra­che des Worts „Ober­bür­ger­meis­ter“ fiel ihr schwer…

Der „Jugend­preis Gott­fried Fuchs“

Im Jahr 2017 wer­den die drei Fuß­ball­ver­bän­de von Baden-Würt­tem­berg – der Badi­sche Fuß­ball-Ver­band, der Süd­ba­di­sche Fuß­ball-Ver­band und der Würt­tem­ber­gi­sche Fuß­ball-Ver­band – erst­mals den „Jugend­preis Gott­fried Fuchs“ ver­lei­hen. Damit wird der Ein­satz „für Mensch­lich­keit und Tole­ranz, gegen Ras­sis­mus und Anti­se­mi­tis­mus“ von Ver­ei­nen, Abtei­lun­gen oder ein­zel­nen Mann­schaf­ten gewür­digt. Der mit ins­ge­samt 10.500 Euro dotier­te und in Abstim­mung mit den Nach­kom­men von God­frey E. Fochs geschaf­fe­ne Preis wird alle zwei Jah­re ver­ge­ben. Er geht zurück auf eine Initia­ti­ve von Dr. h. c. Alfred Seng­le (1934–2015), WFV-Ehren­prä­si­dent, ehe­mals DFB-Vize­prä­si­dent und Rott­wei­ler Land­ge­richts-Prä­si­dent a. D..

Die­ser Preis wird der Per­son und dem Sports­mann Gott­fried Fuchs gerecht.

Wie bedau­er­lich, dass er dies nicht mehr erle­ben durfte.

Abbil­dun­gen unten: Spiel­sze­nen mit Gott­fried Fuchs. Die ers­ten bei­den Bil­der zei­gen Fuchs in der deut­schen Natio­nal­mann­schaft. Die übri­gen im KFV-Dress. Bild­quel­len: Ers­te zei Abbil­dun­gen: DFB, danach: KFV.

Abbil­dung: Bay­ern Mün­chen – KFV 0:5 (ca. 1911): Fuchs schießt (gegen den dama­li­gen “bes­ten Tor­wart der Welt”, Pekar­na, das letz­te Tor), Quel­le: KFV.

Abbil­dun­gen unten: Noch heu­te erin­nert man sich an Gott­fried Fuchs’ Tor­re­kord, hier nach dem Spiel der deut­schen Natio­nal­mann­schaft gegen San Mari­no, 2006 (Bild-Zei­tung):

Abbil­dung: Zusam­men mit Juli­us Hirsch (sie­he unten) prägt Fuchs seit 2013 mit einem eige­nen Platz auch das Karls­ru­her Stadt­bild. Quel­le: Stadt­wi­ki Karlsruhe.

Abbil­dung: Die Natio­nal­mann­schaft die im März 1912 gegen die Nie­der­lan­de in Zwol­le ein spek­ta­ku­lä­res 5:5 erspiel­te. Gros, Breu­nig, Bur­ger, Holl­stein, Röp­nack, Wer­ner, unte­re Rei­he v.l.n.r.: Wege­le, För­de­rer, Fuchs, Hirsch und Ober­le. Quel­le: KFV-Archiv.


Juli­us “Jul­ler” Hirsch

(* 07. April 1892 in Achern; † wahr­schein­lich 1943, zum 8. Mai 1945 für tot erklärt)

von Wer­ner Skrentny

„Das Schick­sal von Juli­us Hirsch darf nicht in Ver­ges­sen­heit gera­ten. Es ist erschüt­ternd, sich vor­zu­stel­len, dass einem Men­schen – vor­her noch umju­belt wegen sei­ner Tore – vom einen auf ande­ren Tag auf der Stra­ße aus­ge­wi­chen wird.“

(der ehe­ma­li­ge DFB-Prä­si­dent Dr. Theo Zwan­zi­ger, der es sich zu einem Haupt­an­lie­gen gemacht hat­te, die oft unrühm­li­che Ver­gan­gen­heit des Ver­ban­des aufzuarbeiten).

Er erziel­te als ers­ter deut­scher Fuß­ball-Natio­nal­spie­ler in einem Län­der­spiel vier Tore. Das war 1912 beim 5:5 gegen Hol­land in Zwol­le (ein wei­te­rer Tref­fer ging auf das Kon­to von Gott­fried Fuchs vom KFV).

Er wur­de als ers­ter Spie­ler mit zwei Ver­ei­nen Deut­scher Meis­ter: 1910 mit dem KFV und 1914, als Spiel­füh­rer, mit der SpVgg Fürth.

Er war dabei, als Deutsch­lands Fuß­bal­ler 1912 erst­mals an den Olym­pi­schen Spie­len teil­nah­men, in Stockholm.

War Juli­us Hirsch also ein frü­her Fuß­ball-Star? Zumin­dest taucht sein Por­trät 1925 auf dem Ziga­ret­ten-Sam­mel­bild Nr. 303 der Ber­li­ner Fir­ma Mano­li auf. Das war zu einem Zeit­punkt, als er sei­ne Lauf­bahn aus­klin­gen ließ. Wohl aber schien sein Nach­ruhm damals noch zu wirken.

Mit­te der 1920er Jah­re näm­lich hat­te sich der Fuß­ball zum Mas­sen­sport ent­wi­ckelt. Durch die För­de­rung des Mili­tärs im 1. Welt­krieg, auf­grund des Acht-Stun­den-Arbeits­tags und weil die Medi­en ihm viel mehr Auf­merk­sam­keit wid­me­ten. Neue Ido­le waren ange­sagt: „Tull“ Har­der, der hünen­haf­te Mit­tel­stür­mer des Ham­bur­ger SV, oder „Hei­ner“ Stuhl­fauth, Schluss­mann des 1. FC Nürnberg.

Juli­us Hirsch, der Karls­ru­her Kauf­mann, dage­gen gehör­te zu den Pio­nie­ren der damals noch jun­gen Sport­art von der bri­ti­schen Insel. Nam­haft war er damit in einer Zeit, als die Anhän­ger­schar im Fuß­ball noch über­schau­bar war (wobei Karls­ru­he oft Besu­cher­re­kor­de mel­de­te!). An sich hät­te er als Bub’ den Kla­vier­un­ter­richt auf­su­chen sol­len, doch ent­schied er sich fürs Fuß­ball­spiel auf dem legen­dä­ren „Eng­län­der­platz“, dem „Eng­län­der­le“, in Karlsruhe.

„Knirps auf Linksaußen“

Es ist ein Glücks­fall der deut­schen Fuß­ball­ge­schich­te, dass Auf­zeich­nun­gen zu sei­ner sport­li­chen Lauf­bahn im Fami­li­en­be­sitz erhal­ten geblie­ben sind. Nie­der geschrie­ben hat die 1938 in sei­nem letz­ten Auf­satz im Real­gym­na­si­um Goe­the­schu­le Karls­ru­he, das er aus ras­si­schen Grün­den ver­las­sen muss­te, Juli­us’ Sohn Hein­old (1922–1996), damals 16 Jah­re jung: „Auf dem „Eng­län­der­le“ ver­brach­te ich (Anm.: Juli­us Hirsch) den ers­ten Teil mei­ner Jugend, trotz Schlä­gen und Stra­fen, die ich für mei­ne so „sau­be­ren“ Hosen und Strümp­fe bekam (…) Man stell­te anfangs den noch klei­nen Knirps auf Links­au­ßen (also gewis­ser­ma­ßen kalt), und dar­aus ent­wi­ckel­te sich spä­ter der Links­au­ßen oder Linksin­nen Deutschlands.“ 

Hein­old, das wur­de bereits erwähnt, durf­te eben­so wie die Hirsch-Toch­ter Esther (1928–2012) in der NS-Zeit auf­grund der jüdi­schen Abstam­mung die Schu­le nicht mehr besuchen.

Zu Juli­us Hirsch und Gott­fried Fuchs vom KFV wird oft ange­merkt: „Es gab nur zwei Juden in der deut­schen Fuß­ball-Natio­nal­mann­schaft“ (Her­vor­he­bung vom Autor). Dies hat damit zu tun, dass der Fuß­ball­sport in sei­nen Anfän­gen aus­schließ­lich von Aka­de­mi­kern (!), Stu­den­ten und höhe­ren Schü­lern betrie­ben wur­de. Tat­säch­lich aber gab es wei­te­re her­aus­ra­gen­de Spie­ler, Sport­le­rin­nen und Sport­ler jüdi­schen Glau­bens, die der NS-Ideo­lo­gie vom „schwäch­li­chen Juden“ widersprachen.

„Der spielt jetzt immer!“

Juli­us Hirsch, gebo­ren 1892, die Eltern besa­ßen ein Tex­til­ge­schäft in der Kai­ser­stra­ße, schloss sich mit zehn Jah­ren dem Karls­ru­her FV an. Das Debüt 1909 in der 1. Mann­schaft beim 4:0 gegen den Deut­schen Ex-Meis­ter Frei­bur­ger FC hat sein Sohn Hein­old aus der Sicht des Vaters wie folgt geschil­dert: „Beim Spiel gegen Frei­burg fehl­te der damals schon etwas alten Mann­schaft des KFV ein Links­au­ßen (…) Man kann sich den­ken, ich hat­te schon ein biss­chen Herz­klop­fen, als ich zum ers­ten Mal unter lau­ter so berühm­ten Namen spiel­te, aber bald spiel­te ich wie sonst und schoss auch ein Tor. Nach dem Spiel sag­te der dama­li­ge Trai­ner Town­ley: „Die­ser Links­au­ßen spielt jetzt immer!“ und trotz der Ein­wen­dun­gen der „Alten“ ver­jüng­te er dann lang­sam den KFV.“

Das geschah am 6. März 1909. Sein ers­tes Tor, da trog die Erin­ne­rung fast drei Jahr­zehn­te danach, erziel­te der „Jul­ler“, wie er von den Sport­freun­den und Anhän­gern genannt wur­de, aller­dings „erst“ im Mai 1909 beim 4:0 gegen Ale­man­nia Karlsruhe.

Abbil­dung: Ziga­ret­ten-Sam­mel­bild mit Juli­us Hirsch und Hirsch in Akti­on. Quel­le: KFV-Archiv.

Abbil­dung: Fuß­ball der „Mar­ke Hirsch“. Quel­le: Wer­ner Skrentny.

Fehlt ein Länderspiel-Tor?

Abge­se­hen davon, dass Hirsch von da an einen Stamm­platz in der „Ers­ten“ des KFV in der dama­li­gen deut­schen Fuß­ball-Hoch­burg Karls­ru­he besaß, erst auf Links­au­ßen, spä­ter als Halb­stür­mer und Spiel­ma­cher, ern­te­te er rasch die Meri­ten sei­nes Kön­nens. Der 1.68 Meter gro­ße Stür­mer galt als schnell und trick­reich, „links wie rechts treff­si­cher“, was auch über­re­gio­nal auf­fiel. Es gab damals kei­nen Bun­des­trai­ner wie heu­te, man erach­te­te die Ent­fer­nun­gen im Kai­ser­reich als zu groß. Die Natio­nal­elf stell­te ein Spiel­aus­schuss, mal in Karls­ru­he, mal in Ham­burg ansäs­sig, zusam­men. „Jul­ler“ Hirsch bestritt von 1911 bis 1913 sie­ben Län­der­spie­le und erziel­te vier Tore. Wobei man letz­te­re Anga­be hin­ter­fra­gen muss: Min­des­tens zwei Zei­tun­gen berich­ten, nicht Kipp (Stutt­gar­ter Kickers) hät­te 1913 in Frei­burg das 1:2 gegen die Schweiz erzielt, son­dern der Karlsruher.

 Als Hirsch zur Sai­son 1913/14 vom Deut­schen Ex-Meis­ter KFV zur SpVgg Fürth wech­sel­te, ging das ohne jeg­li­che Auf­re­gung von­stat­ten. Die „Klee­blätt­ler“ aus Fran­ken kamen zum Ablö­se­spiel in die dama­li­ge badi­sche Resi­denz, man häng­te Hirsch zum Abschied einen rie­si­gen Lor­beer­kranz um. Denn es waren beruf­li­che Grün­de, die ihn zum Fort­gang bewegt hat­ten. Ehe­mals Lehr­ling in der Leder­hand­lung Freund und Strauss in der Karls­ru­her Kreuz­str. 31, hat­te er als Kauf­mann eine Anstel­lung in der zeit­wei­se welt­weit bedeu­tends­ten Spiel­zeug­fa­brik Gebrü­der Bing in Nürn­berg gefun­den. Eine Rol­le mag auch gespielt haben, dass sein frü­he­rer Karls­ru­her Trai­ner Wil­liam Town­ley in Fürth arbei­te­te und die SpVgg sich gezielt um Ver­stär­kun­gen von außer­halb bemühte.

 

Abbil­dung: Hirsch mit För­de­rer und Fuchs auf dem Cover von „Süd­deut­scher Illus­trier­ter Sport“. Quel­le: Stadt­ar­chiv Karls­ru­he. Rechts: Hirsch zusam­men mit För­de­rer auf dem Cover der Süd­deut­schen Sport­zei­tung. Das Foto auf dem Cover wur­de beim Spiel des KFV gegen den VfB Stutt­gart auf­ge­nom­men. Quel­le: Tho­mas Staisch.

Sogar auf Zel­lu­loid sind der KFV und Juli­us Hirsch im ältes­ten erhal­te­nen deut­schen Fuß­ball­film in ihren Glanz­zei­ten  ein­mal ver­ewigt wor­den: Am 1. Mai 1910 im DM-Halb­fi­na­le beim 2:1 gegen den Stadt­ri­va­len Phö­nix auf dem KFV-Platz. Das war bereits 2001 in „Das gro­ße Buch der deut­schen Fuß­ball­sta­di­en“ zu lesen. Den­noch wur­de der drei­mi­nü­ti­ge Film im Janu­ar 2014 als „Sen­sa­ti­ons­fund“ publiziert. 

Müs­sen wir nun noch ein­mal das Wört­chen „nur“ bemü­hen? Denn mehr als sie­ben Län­der­spie­le hät­ten es sein kön­nen. Doch begann 1914 der 1. Welt­krieg; die deut­sche Län­der­spiel-Pau­se währ­te von April 1914 bis Juni 1920. Außer­dem muss berück­sich­tigt wer­den, dass Mili­tär-Ange­hö­ri­gen – Hirsch leis­te­te sei­nen ein­jäh­ri­gen Dienst 1912/13 beim Badi­schen Leib-Gre­na­dier Regi­ment 109 in Karls­ru­he, dass die Schloss-Wache stell­te – kei­ne fuß­bal­le­ri­schen Aus­lands-Rei­sen erlaubt waren.

Der 1. Welt­krieg begann am 1. August 1914, sechs Tage spä­ter wur­de Juli­us Hirsch in Bay­ern Sol­dat. Sein Eltern­haus war deutsch­na­tio­nal ein­ge­stellt und Vater Bert­hold hat­te 1870/71 am Krieg gegen Frank­reich teil­ge­nom­men. Der Sohn ver­brach­te den Krieg vor allem in der Etap­pe, als Schrei­ber und Dol­met­scher. Vize­feld­we­bel war sein letz­ter Rang, er erhielt das Eiser­ne Kreuz II. Klas­se sowie die Baye­ri­schen Dienst­aus­zeich­nung. Am 9. Novem­ber 1918 ende­te die Herr­schaft von Kai­ser Wil­helm II und am 18. Novem­ber konn­te Hirsch das Mili­tär ver­las­sen.  Infol­ge einer Ver­let­zung spiel­te er aber erst wie­der ab März 1919 bei der SpVgg Fürth, ehe er nach Karls­ru­he heimkehrte.

Die elter­li­che Fir­ma hat­te sich als „Deut­sche Signal­flag­gen­fa­brik Gebr. Hirsch & Co“ auf Mili­tär-Zube­hör spe­zia­li­siert. Dies war mit Kriegs­en­de hin­fäl­lig, wes­halb man sich als „Sig­fa Sport“ auf die Her­stel­lung und den Ver­trieb von Sport­ar­ti­keln ver­leg­te. Juli­us und sein Bru­der Max wur­den 1926 als Geschäfts­füh­rer bestellt. Die Fir­ma flo­rier­te, man pro­du­zier­te sogar einen Fuß­ball „Mar­ke Hirsch“, um den Bekannt­heits­grad des Natio­nal­spie­lers zu nut­zen. Hirsch hat­te 1920 die Modis­tin Ellen Hau­ser, Direk­tri­ce in der Tex­til­bran­che, gehei­ra­tet, die aus die­sem Anlass zum jüdi­schen Glau­ben über­trat. Sohn Hein­old wur­de 1922 gebo­ren, die Toch­ter Esther 1928. Bei­de erin­ner­ten sich an einen lie­be­vol­len Vater vol­ler Zuwen­dung. Hirsch besaß ein Auto der Mar­ke „Wan­de­rer“, die Fami­lie leb­te in einer geräu­mi­gen Woh­nung Kai­ser­al­lee 123. Übri­gens unweit des Vier­tels, in dem die weit ver­zweig­te Fami­lie der „Holz-Füch­se“ ansäs­sig war, aus der sein Mit­spie­ler Gott­fried Fuchs stammte.

Zurück beim KFV: „Gera­de­zu unverwüstlich“

Juli­us Hirsch stand mit nun­mehr 27 Jah­ren dem KFV wie­der zur Ver­fü­gung und wur­de als „1. Spiel­füh­rer“ gewählt (Bru­der Rudolf war Kas­sen­wart des Ver­eins, ab 1924 Vor­sit­zen­der des Spiel­aus­schuss, dem auch „Jul­ler“ ange­hör­te). Nach wie vor war er eine bedeu­ten­de Per­son auf dem Platz: „Der alte Inter­na­tio­na­le ist gera­de­zu unver­wüst­lich“, mel­de­te die füh­ren­de Fach­zeit­schrift „Fuß­ball“ 1920. „Der Rasen­sport“ zwei Jah­re dar­auf: „Hirsch spiel­te wie in sei­nen bes­ten Tagen.“ 1923 wur­de er sogar noch ein­mal in die Aus­wahl von Süd­deutsch­land beru­fen. Das Mann­schafts­fo­to zeigt einen kör­per­lich etwas fül­li­ge­ren Akteur, womög­lich war Hirsch als Lokal­ma­ta­dor Ersatz, doch erziel­te er beim 3:3 gegen die Zen­tral­schweiz auf dem Phö­nix-Platz von Karls­ru­he ein Tor. 1924 stieg der KFV in die 2. Liga, die damals Kreis­li­ga Mit­tel­ba­den hieß, ab. Hirsch stand auch in die­ser Klas­se dem Ver­ein noch ein­mal zur Ver­fü­gung, ehe er mit dem Wie­der­auf­stieg 1925 die Lauf­bahn been­de­te (abge­se­hen von fol­gen­den AH-Begegnungen).

Es wird fälsch­li­cher­wei­se oft berich­tet, Juli­us Hirsch habe mit der NS-Macht­über­nah­me 1933 den Karls­ru­her FV ver­las­sen müs­sen. Inwie­fern die Mit­glie­der jüdi­schen Glau­bens nicht mehr Mit­glied sein konn­ten, wird an ande­rer Stel­le berich­tet (sie­he Kapi­tel zum Nationalsozialismus).

Abbil­dung: Juli­us Hirsch auf dem Cover von „Fuß­ball. Quel­le: Wer­ner Skrentny.

 

„Ent­fer­nung der Juden aus den Sportvereinen“

Tat­säch­lich hat­te Hirsch sei­ne Mit­glied­schaft nach 31 Jah­ren aufgekündigt.

Der Anlass war eine Mel­dung im Stutt­gar­ter „Sport­be­richt“, wonach am 9. April die teil­neh­men­den Ver­ei­ne an der Süd­deut­schen Meis­ter­schaft – dar­un­ter der KFV, Phö­nix Karls­ru­he und die SpVgg Fürth – beschlos­sen hat­ten, „alle Fol­ge­run­gen, ins­be­son­de­re in der Fra­ge der Ent­fer­nung der Juden aus den Sport­ver­ei­nen, zu ziehen.“

Bereits am 1. April hat­te auch in Karls­ru­he der sog. Juden­boy­kott statt­ge­fun­den („Kauft nicht beim Juden!“; „Wer jetzt noch zum Juden geht, ist ein Ver­rä­ter an sei­nem Vol­ke“). An der „Rie­sen­kund­ge­bung am Markt­platz“, Sams­tag, 17 Uhr, nah­men 25.000 Men­schen teil. 

Juli­us Hirsch war­tet nicht ab, ob ihn auch „die Ent­fer­nung der Juden aus den Sport­ver­ei­nen“ betrifft, son­dern ver­fasst einen Brief. Die­ser gehört zu den bemer­kens­wer­tes­ten Zeug­nis­sen deut­scher Fuß­ball-Geschich­te (Aus­zü­ge):

„Lei­der muss ich nun beweg­ten Her­zens mei­nem lie­ben KFV mei­nen Aus­tritt anzei­gen. Nicht uner­wähnt möch­te ich aber las­sen, dass es in dem heu­te so gehass­ten Prü­gel­kin­de der deut­schen Nati­on auch anstän­di­ge Men­schen und viel­leicht noch viel mehr natio­nal den­ken­de und auch durch die Tat bewie­se­ne und durch das Herz­blut ver­gos­se­ne deut­sche Juden gibt.“

Juli­us Hirsch hat Deutsch­land als Fuß­bal­ler ver­tre­ten, auch Süd­deutsch­land und „sei­nen“ KFV. Die Aus­gren­zung als Mensch jüdi­schen Glau­bens durch die neu­en Macht­ha­ber und gro­ße Tei­le der Bevöl­ke­rung sind für ihn als deutsch­na­tio­nal den­ken­den Bür­ger inak­zep­ta­bel. Leo­pold, sein ältes­ter Bru­der, der eben­falls beim KFV spiel­te, kam 1918 am Kem­mel­berg in Nord­west­flan­dern als Infan­te­rie-Leut­nant ums Leben. „Gefal­len auf dem Feld der Ehre“, schreibt Juli­us an den KFV. Bru­der Max lebt bei Kriegs­be­ginn 1914 in der neu­tra­len Schweiz. Obwohl er nur auf einem Auge sehen kann, mel­det er sich als Kriegs­frei­wil­li­ger. Ein wei­te­rer Bru­der von Juli­us, er heißt Rudolf, ist „im Fel­de von 1914–1918 bei der bayr. Flie­gen­den Divi­si­on Knei­sel. Besit­zer des EK I und der bayr. Tap­fer­keits­me­dail­le“ (Schrei­ben von Juli­us an den KFV).

Der Ex-Natio­nal­spie­ler teilt sei­nem Stamm­ver­ein auch mit: „Ich befin­de mich z. Zt. In einer wirt­schaft­li­chen pre­kä­ren Lage.“ Denn in der Welt­wirt­schafts­kri­se hat die „Sig­fa Sport“ ihre Eigen­pro­duk­ti­on ein­ge­stellt, 1933 wird das Kon­kurs­ver­fah­ren eröff­net. Juli­us Hirsch, Geschäfts­füh­rer und Rei­se­ver­tre­ter, ist jetzt arbeits­los. Von der Kai­ser­al­lee 123 zieht die Fami­lie in eine preis­wer­te­re Woh­nung in der Murg­str. 7 im Karls­ru­her Stadt­teil Wei­her­feld um.

Der Alt­in­ter­na­tio­na­le fin­det für die Spiel­zeit 1933/34 eine Anstel­lung als Trai­ner bei der FA Ill­kirch-Graf­fen­sta­den nahe Straß­burg im Nach­bar­land Frank­reich. Nach der Sai­son kehrt er heim nach Karls­ru­he, wo Juden aus­schließ­lich in jüdi­schen Sport­ver­ei­nen aktiv sein kön­nen. Da er Mit­glied im Reichs­bund jüdi­scher Front­sol­da­ten (RjF) ist, schließt sich der eins­ti­ge Meis­ter­spie­ler dem Turn­club 03 Karls­ru­he im Sport­bund Schild an und nicht der zio­nis­ti­schen Hako­ah Karlsruhe.

 

Spieler/Trainer im jüdi­schen Turnclub

Juli­us Hirsch arbei­tet als Fuß­ball-Trai­ner in dem jüdi­schen Ver­ein und spielt auch mit mehr als 40 Jah­ren wei­ter­hin aktiv. Der „Juden­sport­platz“ liegt dabei direkt neben dem KFV-Sta­di­on. 1935 hält Hirsch einen Vor­trag im Ver­ein, der über­lie­fert ist („Aus mei­ner Fuß­ball­zeit“). Den Schluss­satz hat er rot durch­ge­stri­chen: „Ich schlie­ße mei­ne Aus­füh­run­gen mit dem Wun­sche, dass der jüdi­sche Sport blü­hen, wach­sen und gedei­hen möge.“

Seit 1934 arbei­tet er als „Ver­tre­ter in Manu­fak­tu­ren und Wäsche“, also Rei­sen­der. „Wir ken­nen die Leu­te heu­te noch genau, die ihm damals etwas abge­kauft haben“, sag­te Sohn Hein­old 1992 in einem Inter­view, doch lei­der sind kei­ne Unter­la­gen erhal­ten geblie­ben. Denn mög­li­cher­wei­se gehör­ten zu den Abneh­mern auch Fuß­ball- und Sport­freun­de.  Seit 1937 ist Hirsch als Lohn­buch­hal­ter und Hilfs­platz­meis­ter der jüdi­schen Fir­ma Vogel & Bern­hei­mer AG in deren Depen­dance Max­au beschäf­tigt. Bis 1938, dann ist er nach der „Ari­sie­rung“ der Fir­ma erneut arbeits­los. Die stellt dem Kauf­mann noch ein Zeug­nis aus: „Sein Fleiß und sein per­sön­li­ches Ver­hal­ten waren stets einwandfrei.“

Es gibt Zeit­zeu­gen-Berich­te, nach denen vor dem KFV-Sta­di­on ein Schild stand: „Juden uner­wünscht!“ Und es gibt Aus­sa­gen, nach denen ehe­ma­li­ge KFV­ler die Stra­ßen­sei­te wech­sel­ten, wenn sie Hirsch sahen.

Das ande­re Karlsruhe 

Jedoch: auch Ande­res ist zu berich­ten. Fritz Tscher­ter (1888–1963), der mit Hirsch 1910 die Deut­sche Fuß­ball-Meis­ter­schaft für den KFV gewann, unter­stütz­te aus der bedeu­tends­ten Karls­ru­her Koh­len­hand­lung her­aus die Fami­lie in Wei­her­feld mit Brenn­ma­te­ria­li­en. Und auf dem KFV-Platz ließ ihn der ehe­ma­li­ge Natio­nal­spie­ler Lorenz „Lora“ Huber (1906–1989) ein. „Eier-Huber“, in des­sen Geschäft Hirsch gele­gent­lich aus­half, ver­sorg­te die Fami­lie Hirsch mit Lebens­mit­teln. Das Scho­ko­la­den­ge­schäft von Mina Rabe, Kai­ser­str. 225 im Karls­ru­her Zen­trum, dien­te als Treff­punkt der von der sog. Misch­ehe Betrof­fe­nen.  FIFA-Gene­ral­se­kre­tär Dr. Ivo Schri­cker (1877–1962), ein Haupt­ak­teur frü­he­rer Karls­ru­her Fuß­ball-Tage, setz­te sich eben­falls für Hirsch ein. Eini­ges deu­tet dar­auf hin, dass dies auch der spä­te­re DFB-Prä­si­dent Dr. Peter Josef „Peco“ Bau­wens (1886–1963) tat.

Hät­te Juli­us Hirsch flüch­ten kön­nen aus Deutsch­land? 1936 besucht er sei­ne Schwes­ter Anna in Luzern. Die Schweiz steht jüdi­schen Emi­gran­ten meist ableh­nend gegen­über. Sohn Hein­old Hirsch im Inter­view 1992: „Dadurch, dass wir kein Geld hat­ten, gab es für uns auch kei­ne Chan­ce aus­zu­wan­dern, denn jeder, der aus­wan­dern woll­te, brauch­te eine Bürgschaft.“

1938 besucht Juli­us sei­ne Schwes­ter Rosa in Paris. Er spricht flie­ßend Fran­zö­sisch und er hofft auf Arbeit. Letzt­mals trifft er in der fran­zö­si­schen Haupt­stadt sei­nen frü­he­ren Mit­spie­ler aus der Natio­nal­elf und vom KFV, Gott­fried Fuchs. Und zum letz­ten Mal sieht er sei­nen Schwa­ger Lou­is Ein­stein, den Ehe­mann von Rosa. 1944 wird die SS den 73-jäh­ri­gen in Cha­teau l’ Eve­que in der Dordo­gne ermorden.

Ver­schol­len in Frankreich

Am 3. Novem­ber 1938 ver­lässt Juli­us Hirsch mit dem Zug Paris, kommt aber nicht in Karls­ru­he an. Andert­halb Mona­te lang ist er ver­schol­len. Bis Mit­te Dezem­ber 1938 das Hos­pi­tal Psy­cha­tri­que de la Meu­se aus Fains-les Sources in Loth­rin­gen die Fami­lie in Karls­ru­he infor­miert: Der ver­zwei­fel­te Ehe­mann und Vater hat ver­sucht, sich in einem Stein­bruch bei Com­mer­cy das Leben zu neh­men. Erst im Febru­ar 1939 kehrt Juli­us Hirsch nach Karls­ru­he zurück.

Als am 23./24. Okto­ber 1940 die ers­te Depor­ta­ti­on jüdi­scher Deut­scher – die „Ost­mark“ bzw. Öster­reich sei­en hier aus­ge­nom­men – in Baden, der Pfalz und dem Saar­land für 6.504 Men­schen durch­ge­führt wird, ist Juli­us Hirsch nicht betrof­fen. Ehe­frau Ellen gilt nach der NS-Ideo­lo­gie als „Arie­rin“ bzw. „deutsch­blü­tig“, womit Hirsch in einer sog. Misch­ehe lebt. 

Es gibt Über­le­gun­gen zur Flucht in die Schweiz, mit Hil­fe von Georg Bött­ger, dem Lei­ter des Post­scheck­am­tes Karls­ru­he (G. B. war Spiel­aus­schuss­vor­sit­zen­der des KFV und spiel­te nach Kriegs­en­de für sei­nen Ver­ein noch in der Ober­li­ga Süd). Doch Hirsch fin­det sich früh­mor­gens nicht am Kurier­fahr­zeug, das bei Abfahrt ver­sie­gelt wird, ein. Er fürch­tet, die Nazis wür­den sich an sei­ner zurück geblie­be­nen Fami­lie rächen.

Um die Kin­der Hein­old und Esther zu schüt­zen (ein ver­geb­li­cher Ver­such, dies vor­weg), wird die Ehe zwi­schen Juli­us und Ellen Hirsch 1942 geschieden. 

Seit 1939 setzt das Städ­ti­sche Tief­bau­amt Karls­ru­he den Kauf­mann auf einem Schutt­platz am Stadt­rand – dort, wo sich heu­te „XXXL Mann-Mobi­lia“ befin­det -, als Zwangs­ar­bei­ter ein. Ellen Hirsch sagt Toch­ter Esther: „Dein Vater muss mit den Rat­ten da drau­ßen leben.“ Ab 1. Sep­tem­ber 1941 müs­sen der Vater und die bei­den Kin­der das Zwangs­kenn­zei­chen Juden­stern tragen.

Nach der Schei­dung muss Hirsch, er gilt als „Voll­ju­de“, in ein sog. Juden­haus Kro­nen­str. 62 (zer­stört) zie­hen, hält aber wei­ter­hin täg­lich Kon­takt zur Fami­lie in Wei­her­feld. Am 18. April 1943 wer­den die Kin­der Hein­old und Esther evan­ge­lisch getauft. Dies ist nicht selbst­ver­ständ­lich in die­sen Zei­ten, wes­halb Lud­wig Dre­her, der Pfar­rer der Melan­chthon­ge­mein­de Bei­ert­heim-Bulach, her­vor­zu­he­ben ist. 

Die Depor­ta­ti­on

 Die „Misch­ehe“ „schützt“ Juli­us Hirsch nun nicht mehr. Am Mor­gen des 1. März 1943 muss sich Juli­us Isra­el Hirsch (der zwangs­wei­se Bei­na­me ist seit Janu­ar 1939 Vor­schrift) auf dem Haupt­bahn­hof Karls­ru­he zum „Abwan­de­rungs­trans­port“ ein­fin­den. Leo­pold Ran­sen­berg von der Reichs­ver­ei­ni­gung der Juden in Deutsch­land, Bezirks­stel­le Baden-Pfalz, beglei­tet ihn eben­so wie die 14-jäh­ri­ge Toch­ter Esther, die sich spä­ter erin­ner­te: „Es war ein strah­lend schö­ner Tag. Noch heu­te kann ich nicht begrei­fen, dass an die­sem Tag die Son­ne schei­nen konn­te! Wir haben nicht geglaubt, dass wir ihn nie mehr wie­der­se­hen werden.“

Esther erlebt noch, wie ihr Vater „ein nor­ma­les Zug­ab­teil“ der Deut­schen Reichs­bahn II. Klas­se besteigt. Mit ihm depor­tiert die Gesta­po wei­te­re acht Per­so­nen aus Baden.

Die Reichs­bahn fährt auch in Kriegs­zei­ten pünkt­lich. Der nächs­te Halt ist außer­halb der Stutt­gar­ter Innen­stadt der Inne­re Nord­bahn­hof, wo 44 schwä­bi­sche Jüdin­nen und Juden zustei­gen müs­sen. Es fol­gen die Sta­tio­nen Trier und Güter­bahn­hof Düs­sel­dorf-Deren­dorf,  danach der Dort­mun­der Süd­bahn­hof. Dort gelingt es Juli­us Hirsch, eine Post­kar­te zum 15. Geburts­tag der Toch­ter Esther auf den Weg zu brin­gen: „Mei­ne Lie­ben! Bin gut gelan­det, es geht gut. Kom­me nach Ober­schle­si­en, noch in Deutsch­land. Herz­li­che Grü­ße und Küs­se euer Jul­ler.“ Dies ist nicht unge­wöhn­lich: vie­len Depor­tier­ten glück­te es noch, einen letz­ten pos­ta­li­schen Gruß auf den Weg zu bringen.

In Dort­mund ist die Sam­mel­stel­le für Juden die Turn­hal­le des TV Ein­tracht (im Krieg zer­stört). Ob aus­ge­rech­net der ehe­ma­li­ge Sports­mann und Natio­nal­spie­ler Juli­us Hirsch dort über­nach­ten muss­te, ist unge­wiss. Wohl aber weiß man, dass Hirsch den Trans­port nun in geschlos­se­nen Güter­wag­gons, auch als „Vieh­wag­gons“ bezeich­net, fort­set­zen muss­te. Der „Son­der­zug“ hält noch am Güter­bahn­hof von Bie­le­feld, fährt dann wei­ter nach Han­no­ver. Zeitzeugen-Berichte:

„Die Insas­sen saßen dicht gedrängt. Die Wag­gon­tü­ren waren von außen ver­rie­gelt. Als Sitz­ge­le­gen­heit dien­ten die Kof­fer. In einer Ecke des Wag­gons stand ein Eimer, der als Toi­let­te benutzt wer­den soll­te. Am Anfang des lan­gen Zuges und am Ende war jeweils ein Per­so­nen­wag­gon für die SS. In jedem Brem­ser­häus­chen der Wag­gons saß ein Bewacher.“

Am spä­ten Nach­mit­tag des 3. März 1943 trifft der Trans­port mit 1.500 Men­schen in Ausch­witz-Bir­ken­au ein.

Das Ein­gangs­buch des Ver­nich­tungs­la­gers führt 150 Män­ner auf.

Der Name von Juli­us Hirsch ist nicht darunter.

Was bedeu­tet, dass er unmit­tel­bar nach Ankunft in Ausch­witz-Bir­ken­au ermor­det wurde.

Am 14. Febru­ar 1945 fin­det die letz­te Depor­ta­ti­on in Karls­ru­he statt, wie­der­um vom Haupt­bahn­hof. Dar­an erin­nert seit 2015 ein Mahn­mal in Form einer infor­ma­ti­ven Ste­le. Die Hirsch-Kin­der Hein­old (22) und Esther (16) tref­fen zwei Tage spä­ter im KZ The­re­si­en­stadt (heu­te Tere­zín, Tsche­chi­en) ein. Nach der Ter­mi­no­lo­gie der Dik­ta­tur sind sie trotz der evan­ge­li­schen Tau­fen „Gel­tungs­ju­den“ bzw. „Misch­lin­ge zwei­ten Gra­des“, da ein Teil ihrer Groß­el­tern jüdisch sind. Bei­de über­le­ben und keh­ren am 16. Juni nach Karls­ru­he zurück. Vie­le Jah­re spä­ter hat Esther Hirsch auf­ge­schrie­ben: „Wäre Vater noch ver­hei­ra­tet gewe­sen, wäre er mit dem glei­chen Trans­port wie wir nach The­re­si­en­stadt gekom­men.“ Denn dort­hin depor­tiert wur­de auch Max Hirsch, der Bru­der von Juli­us, ver­hei­ra­tet mit einer evan­ge­li­schen Frau. 

„Wir suchen: Jul­ler Hirsch vom Karls­ru­her Fußball-Verein“

Mit dem Ende der Dik­ta­tur gilt der frü­he­re Natio­nal­spie­ler als ver­misst. U. a. über den Such­dienst des Deut­schen Roten Kreu­zes im Rund­funk lässt sein Sohn ver­lau­ten: „Wir suchen: Hirsch, Juli­us (…) durch die Gesta­po depor­tiert ab Karls­ru­he 1.3.1943, letz­te Nach­richt von Dort­mund 4.3.1943. Von dort Sam­mel­trans­port ver­mut­lich Ausch­witz. Ist weit bekannt als Jul­ler Hirsch vom Karls­ru­her Fuß­ball-Ver­ein (…) Sofort Nach­richt geben, durch Post oder Radio (…) oder an die Sam­mel­adres­se Hei­no Hirsch, Karls­ru­he, Kan­del­str. 2.“

Das Amts­ge­richt Karls­ru­he erklärt 1950 Juli­us Hirsch für tot. Das Ster­be­da­tum wird auf den 8. Mai 1945, 0 Uhr, fest­ge­legt – der Tag, an dem Deutsch­land kapi­tu­liert hat.

Die frü­he­re Ehe­frau, die bei­den Kin­der, die Enkel und Nach­kom­men wer­den nie­mals ein Grab vor­fin­den, an dem sie trau­ern können.

Abge­se­hen von weni­gen Erwäh­nun­gen gera­ten Juli­us Hirsch und sei­ne Ermor­dung in Ver­ges­sen­heit. Der Sport­jour­na­list Joseph Mich­ler schreibt 1951 vom „Mar­ter­tod die­ses gro­ßen Sport­manns“. Es ist der­sel­be Mich­ler, der ihn als „kicker“-Redakteur in der NS-Zeit in Publi­ka­tio­nen weit­ge­hend verschwieg.

Fal­sche – oder kei­ne Angaben

Als sich der DFB 1949 in Stutt­gart-Bad Cannstatt neu grün­det, wer­den jüdi­sche Fuß­bal­ler nicht erwähnt. Die offi­zi­el­le DFB-Geschich­te von 1954 lis­tet Juli­us Hirsch als „gestor­ben 1939/45 im Get­to“ auf. Als 1966 das WM-Album der Fir­ma „Aral“ erschien, las man dar­in, Hirsch sei am 6. Mai 1941 im KZ Ausch­witz umge­kom­men. Die in der DDR sehr auf­wän­dig recher­chier­te Geschich­te „Fuß­ball in Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart, Band I“, erwähnt jüdi­sche Fuß­bal­ler und damit auch Hirsch an kei­ner Stel­le. Vie­le Hin­wei­se auf ihn hat­te dage­gen Josef Wer­ner (1914–2015) in sei­nem Stan­dard-Werk „Haken­kreuz und Juden­stern“ über die Karls­ru­her Jüdin­nen und Juden publi­ziert. Die, wie sich spä­ter her­aus stel­len soll­te, unzu­tref­fen­den Anga­ben waren Anlass für den Autor, sich bei sei­nen Recher­chen zum Buch „Als Mor­lock noch den Mond­schein traf. Die Geschich­te der Ober­li­ga Süd 1945–1963“ (1993, 2. Aufl. 2001) mit der Bio­gra­fie von Juli­us Hirsch zu befas­sen. Die wich­tigs­ten Infor­ma­tio­nen waren vom Sohn Hein­old zu erfah­ren, der sich offen­sicht­lich dar­über freu­te, dass sich jemand für sei­nen Vater inter­es­sier­te. Wir fuh­ren zum Jüdi­schen Fried­hof und Hein­old Hirsch mein­te damals: „Der DFB müss­te mal etwas tun. Eine Erin­ne­rungs­ta­fel oder so.“

Im damals noch exis­ten­ten Ver­eins­heim des Karls­ru­her FV hing das groß­for­ma­ti­ge Foto der Meis­ter­mann­schaft von 1910: Hirsch guckt dar­auf etwas ver­schüch­tert – eben der Kleins­te und Jüngs­te der Elf. Das ers­te Karls­ru­her Krie­ger­denk­mal nach dem 1. Welt­krieg stand sei­ner­zeit eben­falls noch unver­sehrt beim Klub­heim. Damit wur­de der KFV-Kriegs­to­ten gedacht – nicht aber Juli­us Hirsch. Die Ver­öf­fent­li­chung des erwähn­ten Bei­trags „Der Tod des Jul­ler Hirsch“ im Ober­li­ga Süd-Buch war für das Bil­dungs­zen­trum Pfinz­tal in Pfinz­tal-Berg­hau­sen Anlass, den Namen „Juli­us-Hirsch-Sta­di­on“ vor­zu­schla­gen. Dies wur­de abge­lehnt, doch erhielt die Schul­sport­hal­le 1999 durch einen ein­stim­mi­gen Beschluss des Gemein­de­rats den Namen „Juli­us-Hirsch-Hal­le“.

Die Stadt Karls­ru­he aber war mit der Erin­ne­rung an einen ihrer berühm­tes­ten Fuß­ball­spie­ler nach wie vor außen vor. Mit den Jah­ren nah­men die Ver­öf­fent­li­chun­gen zu Hirsch zu. Die Schü­le­rin Alex­an­dra Syré (2003) und ihr Vater Lud­ger Syré (2005) ver­fass­ten Bei­trä­ge. Swant­je Scholl­mey­er folg­te mit einer Bro­schü­re in der Rei­he „Jüdi­sche Minia­tu­ren“ 2007. Im Jahr dar­auf gab das Stadt­ar­chiv Karls­ru­he die stu­den­ti­sche Arbeit „Juli­us Hirsch. Ein deut­scher Fuß­ball­na­tio­nal­spie­ler jüdi­scher Her­kunft aus Karls­ru­he“ von Gideon Thön­nis­sen her­aus. Ernst Otto Bräun­che, Lei­ter des Stadt­ar­chivs Karls­ru­he, befass­te sich im Band „Sport in Karls­ru­he“ (2006) mit der „Fuß­ball­hoch­burg Karls­ru­he“ und den bei­den jüdi­schen Nationalspielern.

Der „Juli­us Hirsch Preis“

Die her­aus­ra­gends­te Wür­di­gung erfuhr der ehe­ma­li­ge Inter­na­tio­na­le mit dem 2005 erst­mals ver­lie­he­nen „Juli­us Hirsch Preis“ des DFB „für beson­de­ren Ein­satz für Frei­heit, Tole­ranz und Mensch­lich­keit und gegen natio­nal­so­zia­lis­ti­sche, ras­sis­ti­sche, frem­den­feind­li­che und extre­mis­ti­sche Erschei­nungs­for­men.“ Wie ein­gangs erwähnt, ist die­se Initia­ti­ve dem frü­he­ren DFB-Prä­si­den­ten Dr. Theo Zwan­zi­ger gut zu schrei­ben, unter­stützt von ande­ren Funk­tio­nä­ren. Nach­fol­ger Wolf­gang Niers­bach, inzwi­schen nicht mehr im Amt, nahm sich eben­falls per­sön­lich der Preis­ver­lei­hung an. Der Juli­us Hirsch Preis wur­de 2015 zum zehn­ten Mal ver­ge­ben. Der Anlass ist jeweils ein Län­der­spiel der Natio­nal­mann­schaft. Lei­der hat­ten die „BNN“ in ihrer Bericht­erstat­tung den „Juli­us Hirsch Preis“ lan­ge negiert. Mit der Benen­nung der Juli­us-Hirsch-Stra­ße und des Gott­fried-Fuchs-Platz unweit des frü­he­ren KFV-Sta­di­ons auf Anre­gung der CDU Karls­ru­he-West und infol­ge eines ein­stim­mi­gen Beschlus­ses der Gemein­de­rats bekann­te sich die Stadt end­lich 2013 zu zwei­en ihrer bekann­tes­ten Fuß­bal­ler, nach­dem dort bereits eine Ste­le des Stadt­ar­chivs gesetzt wor­den war. Einen Stol­per­stein am letz­ten frei­wil­li­gen Wohn­ort Murg­str. 7 in Wei­her­feld ließ eine unbe­kann­te Per­son setzen.

In Fürth, wo Hirsch die Spiel­ver­ei­ni­gung 1914 zur Deut­schen Meis­ter­schaft führ­te, wird 2016 eine Groß­sport­hal­le nach ihm benannt. Dank einer Bür­ger­initia­ti­ve, deren Vor­schlag vom Stadt­rat ein­stim­mig ange­nom­men wurde.

Im Ende 2015 eröff­ne­ten Deut­schen Fuß­ball-Muse­um Dort­mund wird Juli­us Hirsch gewür­digt.  Der Autor, der 2012 die Bio­gra­fie „Juli­us Hirsch. Natio­nal­spie­ler. Ermor­det“ ver­öf­fent­lich­te, hat inzwi­schen in mehr als 30 Ver­an­stal­tun­gen dazu berich­tet: In Schu­len, bei den Ultras, Fan-Initia­ti­ven, in Jüdi­schen Gemein­den, His­to­ri­schen Ver­ei­nen, Gedenk­stät­ten, Fuß­ball-Muse­en etc.

Lei­der hat sich bis­lang in kei­ner Karls­ru­her Schu­le eine sol­che Gele­gen­heit ergeben.

 

 


Wil­helm Trump – Der ver­hin­der­te Meisterspieler

Fast wäre Trump zu einem Brems­klotz im Meis­ter­schafts­ren­nen 1910 gewor­den. Es geschah um die 15. Spiel­mi­nu­te im Halb­fi­na­le der deut­schen Fuß­ball­meis­ter­schaft 1910 gegen den Stadt­ri­va­len FC Phö­nix in Karls­ru­he: „Dem kör­per­lich star­ken Halb­lin­ken Trump pas­sier­te ein Miss­ge­schick, das damals Seh­nen­zer­rung genannt wur­de. Der schuss­ge­wal­ti­ge Mann brach zusam­men und schied gänz­lich aus. Da noch fast 80 Minu­ten zu spie­len waren, kann sich jeder leicht aus­ma­len, was die­se Schwä­chung für den Titel­an­wär­ter aus­mach­te!“, bemerk­te Fuß­ball­kri­ti­ker Mich­ler zum Aus­fall des Ver­tei­di­gers im Schlüs­sel­spiel der deut­schen Meis­ter­schaft. Das Spiel gewann der KFV in Unter­zahl den­noch knapp mit 2:1. Phö­nix zeig­te sich dar­auf­hin als schlech­ter Ver­lie­rer und leg­te beim DFB Pro­test ein, da Trump nicht spiel­be­rech­tigt gewe­sen sein soll (er wur­de jedoch bereits im Vier­tel­fi­na­le der Meis­ter­schafts­end­run­de ein­ge­setzt). Der Pro­test blieb erfolg­los und Trump fehl­te ver­let­zungs­be­dingt im Fina­le gegen Hol­stein Kiel. Nach sei­ner kur­zen Zeit beim KFV (1908–1910) wech­sel­te er aus­ge­rech­net zum Lokal­ri­va­len Phö­nix, wo er nun als Stür­mer auf­lief. Trump soll bereits mit ca. 16 Jah­ren gehei­ra­tet haben, so dass ihn sei­ne Spie­ler­kol­le­gen unbe­rech­tig­ter­wei­se für sehr alt hiel­ten und ihn „den alten Trump“ nann­ten. Beruf­lich mach­te Trump Kar­rie­re bei der Post. In Kauf­beu­ren lei­te­te er spä­ter ein Post­amt. Ab August 1928 war Trump – inzwi­schen Post­in­spek­tor – der ers­te Trai­ner des Lah­rer FV und nahm „all­sonn­täg­lich sei­nen Weg nach Lahr“. 1927/28 stieg er mit Lahr in die Kreis­li­ga Baden auf. 1938 wird er Ver­eins­füh­rer des Bei­ert­hei­mer Fuß­ball und Post­sport­ver­eins sowie des Post­sport­ver­eins Karls­ru­he erwähnt.

Abbil­dung: Trump in der Mit­te vor sei­nen Mit­spie­lern. Dahin­ter: Fuchs, Käche­le, Schwar­ze, Wil­helm Lan­ger, Gutsch, Ruzek, Holl­stein; ste­hend: Breu­nig, För­de­rer, H. Link. Quel­le: KFV-Archiv.


Wil­liam „Bil­ly“ Town­ley – Drei­ma­li­ger Meistermacher

14. Febru­ar 1866 in Blackb­urn, Eng­land  — 30. Mai 1950 in Black­pool, England

Town­leys Fuß­ball­kar­rie­re begann bei Blackb­urn Swift und Blackb­urn Olym­pics. Auf­ge­wach­sen in der eng­li­schen Baum­woll­stadt Blackb­urn, nörd­lich von Man­ches­ter, kam er bereits in den Public Schools mit dem Fuß­ball in Kon­takt. Zu Beginn der Sai­son 1888/1889 wech­sel­te er zu den Blackb­urn Rovers, zu die­sem Zeit­punkt einer der Spit­zen­clubs in Eng­land. In sei­ner ers­ten Sai­son mit den Blackb­urn Rovers erreich­te er mit der Mann­schaft den 4. Platz, 14 Punk­te hin­ter Pres­ton North End den damals „Unbe­sieg­ba­ren“. Mit neu ver­pflich­te­ten Spie­lern aus Schott­land been­de­ten die Blackb­urn Rovers die nach­fol­gen­de Sai­son 1889/1890 bereits als Dritt­plat­zier­ter nur noch 6 Punk­te hin­ter Pres­ton North End. Bes­ser lief es in die­ser Sai­son im FA Cup in dem sie das End­spiel gegen Shef­field Wed­nes­day erreich­ten. Town­ley spiel­te auf der Posi­ti­on des lin­ken Flü­gel­stür­mers und war einer der bes­ten Spie­ler auf dem Platz, nicht zuletzt wegen sei­nes Hat­tricks in die­sem Spiel (End­stand 6:1) – dem ers­ten Hat­trick in der Geschich­te des eng­li­schen FA-Cups. Auch bei der Titel­ver­tei­di­gung im FA-Cup in der nächs­ten Sai­son 1890/1891 trug Town­ley sei­nen Bei­trag zum Sieg gegen Notts Coun­ty bei. Er erziel­te das alles ent­schei­den­de 3.Tor beim 3:1 Sieg. Auf­grund von Unzu­frie­den­hei­ten mit der Bezah­lung bei Blackb­urn Rovers wech­sel­te er 1891 zu Stock­ton. In den fol­gen­den drei Jah­ren erziel­te er 27 Tore in 77 Spie­len. In die­sen Jah­ren arbei­te­te er auch als Leh­rer an der Bruns­wick Street Board School in Stock­ton. Nach einer kurz­zei­ti­gen Rück­kehr zu den Rovers (1893/94), schloss er sich dem Zweit­li­gis­ten FC Dar­wen an, wo er sechs Jah­re ver­brach­te, bevor er zu Man­ches­ter City wech­sel­te. Auf­grund einer schwe­ren Kopf­ver­let­zung muss­te er dort sei­ne Kar­rie­re als Fuß­ball­spie­ler been­den. 1889 und 1890 absol­vier­te Town­ley zwei Län­der­spie­le für die eng­li­sche Natio­nal­mann­schaft gegen Wales am 23. Febru­ar 1889 (4:1) und 1890 gegen Irland. In die­sem Spiel erziel­te er zwei Tore zum 9:1 Sieg Englands.

Da Town­ley sich schon früh­zei­tig für die theo­re­ti­schen Ele­men­te des Fuß­ball­spiels inter­es­sier­te und er die not­wen­di­gen päd­ago­gi­schen Kennt­nis­se bei sei­ner Leh­rer­aus­bil­dung erwarb, war der Beruf des Fuß­ball­trai­ners qua­si die logi­sche Fol­ge. Was Town­ley nach Deutsch­land führ­te, ist nicht bekannt. Ver­mut­lich lag es am hohen Wett­be­werb um renom­mier­te Trai­ner­stel­len auf der Insel, die ihn auf den Kon­ti­nent führ­te. Sei­ne Pio­nier­ar­beit im süd­deut­schen Raum bleibt aber bis heu­te unum­strit­ten. Die unglaub­lich hohe Anzahl von Trai­ner­sta­tio­nen umfass­ten die erfolg­reichs­ten Klubs in Süd­deutsch­land: DFC Prag (1908/09), KFV (17.01.1909-April 1911 sowie im Mai 1912), SpVgg Fürth (1911–13), FC Bay­ern Mün­chen (1913/14), SpVgg Fürth (01/1914–08/1914), FC Bay­ern Mün­chen 1919–21), FC St. Gal­len (1920), SV Wald­hof Mann­heim (01/1921–03/1921), SC Vik­to­ria Ham­burg (1921–23), FC St. Gal­len (1923–25), Nie­der­län­di­sche Natio­nal­mann­schaft (1924), Ein­tracht Han­no­ver (1926), SpVgg Fürth (05/1926–09/1927), FSV Frank­furt (1927–30), SpVgg Fürth (1930–32) und Armi­nia Han­no­ver (1932/33).
Doch der Rei­he nach: Nach sei­nem Trai­ner­de­büt beim Deut­schen Fuß­ball­club Prag, dem Deut­schen Vize­meis­ter von 1903, wur­de er für stol­ze 1000 Gold­mark vom KFV ver­pflich­tet, wo er am 17. Janu­ar 1909 sein Amt antrat. Der „Ver­ein konn­te dies wagen, weil ein opfer­be­rei­ter, ver­trau­ens­vol­ler Mit­glie­der­stamm vor­han­den war, der […] das Risi­ko einer Trai­ner­an­stel­lung bejah­te“. Ver­mut­lich gehör­te ins­be­son­de­re Walt­her Ben­se­mann zu die­sen Mit­glie­dern, wel­che die Ver­pflich­tung des Eng­län­ders auch finan­zi­ell unter­stütz­ten.
Geprägt von sei­nen schot­ti­schen Mit­spie­lern bei den Blackb­urn Rovers war Town­ley ein Ver­tre­ter des schot­ti­schen Kurz­pass­spiels. Der schot­ti­sche Fuß­ball war zu die­ser Zeit ein Gegen­ent­wurf des eng­lisch Kick ‘n‘ Rush, bei dem es vor allem dar­um ging, den Ball hoch und weit nach vor­ne zu schie­ßen, falls man mit Dribb­ling (wel­ches sehr exten­siv betrie­ben wur­de – ana­log zum Ball hal­ten im Rug­by), am Gegen­spie­ler zu schei­tern droh­te. Die Schot­ten dage­gen „setz­ten vor allem auf Kom­bi­na­ti­ons­spiel: Die Spie­ler pass­ten sich den Ball zu, berei­te­ten einen Spiel­zug gemein­sam vor […] spiel­ten [..] auch mal quer oder nach hin­ten. Dabei ver­such­ten sie stets, den Ball flach zu hal­ten“. Beim KFV lau­te­te Town­leys tak­ti­sches Cre­do: „Stop­pen, Schau­en, Zuspie­len“. Nach dem gewon­ne­nen Fina­le gas­tier­te Town­leys Ex-Ver­ein, die Blackb­urn Rovers, in Karls­ru­he und schlu­gen den frisch­ge­ba­cke­nen deut­schen Meis­ter mit 7:1. Der Klas­sen­un­ter­schied zwi­schen dem eng­li­schen und deut­schen Fuß­ball war immer noch deut­lich. 1911 erfolg­te die Tren­nung von Town­ley: „Der Vor­stand sah sich infol­ge des man­gel­haf­ten Besuchs der Fuß­ball- und Lauf­übun­gen genö­tigt, den Ver­trag mit sei­nem Trai­ner Town­ley zu lösen, da bei der gerin­gen Inan­spruch­nah­me die­ses Trai­nings die schwe­re finan­zi­el­le Belas­tung sich auf Dau­er nicht loh­nen konn­te.“
Sei­ne größ­te fuß­bal­le­ri­sche Lebens­leis­tung voll­brach­te Town­ley jedoch in sei­ner fol­gen­den Trai­ner­sta­ti­on bei der SpVgg Fürth (heu­te SpVgg Greu­ther Fürth), deren Auf­stieg in die deut­sche Eli­te­klas­se er erst ermög­lich­te. Mit Town­ley wech­sel­te 1911 auch sei­ne Ent­de­ckung Juli­us Hirsch zur SpVgg Fürth, bei der er wäh­rend sei­ner Trai­ner­lauf­bahn ins­ge­samt vier­mal tätig war. Im Mai 1912 wur­de er für weni­ge Tage noch­mals vom KFV „aus­ge­lie­hen“, um die Karls­ru­her im Meis­ter­schafts­fi­na­le 1912 gegen Hol­stein Kiel zu betreu­en (0:1).
Im Dezem­ber 1913 wur­de Town­ley erst­mals vom FC Bay­ern Mün­chen ver­pflich­tet, bei dem er jedoch nur 5 Mona­te blieb und im April 1914 nach Fürth zurück­kehr­te. Im dem­sel­ben Jahr erreich­te er mit den Für­thern das deut­sche End­spiel und schlug den damals drei­fa­chen Meis­ter und Rekord­ti­tel­trä­ger VfB Leip­zig in Mag­de­burg nach zwei­ma­li­ger Ver­län­ge­rung mit 3:2 Toren. Town­ley und Juli­us Hirsch erran­gen damit ihre 2. Deut­sche Meis­ter­schaft. Als sich der ers­te Welt­krieg ankün­dig­te, ver­ließ Town­ley Deutsch­land und ging nach Eng­land zurück, um einer dro­hen­den Inter­nie­rung zu ent­ge­hen. Ob Town­ley im 1. Welt­krieg als bri­ti­scher Sol­dat dien­te, ist nicht bekannt. Nur eini­ge Mona­te nach Kriegs­en­de kehr­te Town­ley nach Deutsch­land zurück und wur­de erneut vom FC Bay­ern Mün­chen ver­pflich­tet. Schon vor dem Krieg beein­druck­te er dort den Prä­si­den­ten Kurt Landauer.

Abbil­dung: Town­ley-Stie­fel in der Karls­ru­her Wer­bung. Quel­le: KFV-Archiv.

Ver­mut­lich auf­grund der finan­zi­el­len Ver­hält­nis­se der Ver­ei­ne wur­de Town­ley immer nur für kur­ze Zeit beschäf­tigt und mit kurz­fris­ti­gen Auf­ga­ben betreut. So trai­nier­te er den Schwei­zer Ver­ein St. Gal­len auf Leih­ba­sis in einem „Som­mer­trai­nings­camp“ und den SV Wald­hof Mann­heim soll­te er auf die süd­deut­sche Meis­ter­schaft vor­be­rei­ten (unter den Spie­lern Sepp Her­ber­ger). Im März 1921 wech­sel­te er für zwei Jah­re zu Vic­to­ria Ham­burg (wo er ein Gehalt von 800 Mark pro Woche bezo­gen haben soll), bevor er über den FC St. Gal­len (1923–1925), und nach sei­ner kur­zen Trai­ner­be­schäf­ti­gung bei Ein­tracht Han­no­ver (1926), zu sei­nem Lieb­lings­ver­ein, der SpVgg Fürth, zurück­kehr­te. In Ham­burg wur­de er von sei­nem Sohn James Chad­wick „Jim­my“ Town­ley (1902–1983) beglei­tet, ein „spin­del­dür­rer aber schuss­kräf­ti­ger Stür­mer“, der einen Pro­fi­ver­trag von Tot­ten­ham Hot­spur erhielt, auf­grund eines Bein­bruchs sich auf der Insel aber nie durch­set­zen konn­te. Mit den Klee­blät­tern gewann Town­ley Seni­or 1926 erneut das deut­sche End­spiel in einem ereig­nis­rei­chen Spiel in Frank­furt gegen Her­tha BSC mit 4:1 und somit sei­nen 3. Deut­schen Meis­ter­ti­tel. Sei­ne Zeit in St. Gal­len wur­de unter­bro­chen durch die vier Mona­te dau­ern­de Betreu­ung der nie­der­län­di­schen Natio­nal­mann­schaft bei den Olym­pi­schen Som­mer­spie­len 1924 in Paris. Dort ver­lor er mit sei­ner Mann­schaft im Halb­fi­na­le nur knapp gegen das damals welt­bes­te Team aus Uru­gu­ay und muss­te sich mit dem undank­ba­ren 4. Platz begnü­gen.
Von 1927 bis 1930 betreu­te Town­ley mit dem FSV Frank­furt den Vize­meis­ter von 1925 bevor er erneut nach Fürth wech­sel­te und 1931 die süd­deut­sche Meis­ter­schaft gewann. Die letz­te ver­bürg­te Trai­ner­sta­ti­on Town­leys war Armi­nia Han­no­ver. 1934 ver­ließ Town­ley für immer Deutsch­land. Town­ley inspi­rier­te u. a. Richard Giru­la­tis, der den ers­ten Fuß­ball-Lehr­film und das ers­te Fuß­ball-Lehr­buch Deutsch­lands erstell­te, und damit auch die spä­te­ren deut­schen Reichs­trai­ner Otto Nerz und Sepp Herberger.


Vize­meis­ter 1912

Wil­helm Emma­nu­el Gros – Frü­her Tod in der Luft

6. Juli 1892 in Karls­ru­he – 22. August 1917 in Vlis­se­gem, Flandern

Wil­ly Gros, Sohn des Wag­ner­meis­ters Wil­helm Gros aus Karls­ru­he, lös­te als Spie­ler der Jugend­ab­tei­lung den altern­den Meis­ter­spie­ler Hans Ruzek als rech­ten Läu­fer ab. Gros war nicht nur ein Tech­ni­ker son­dern ins­be­son­de­re ein har­ter Zwei­kampf­spie­ler, „der ohne Rück­sicht auf sich selbst, jedoch immer fair und ohne sei­ne Gegen­spie­ler zu ver­letz­ten, bis zum Umfal­len kämpf­te“. Der jun­ge Karls­ru­her „war bei aller Schu­lung und dadurch gewon­nen Tech­nik ein wil­der Spie­ler und Drauf­gän­ger, der ohne Furcht […], frei­lich auch ohne sich zu ver­let­zen, gleich­zei­tig mit dem Geg­ner auf den Ball schlug“. Im Vier­tel­fi­na­le der deut­schen Meis­ter­schaft 1911 gelang dem „Zer­stö­rer des geg­ne­ri­schen Spiel­flus­ses und Ball­ab­neh­mer“ drei Tore gegen Tas­ma­nia Ber­lin (4:0). Mit dem KFV wur­de er 1912 deut­scher Vize­meis­ter sowie 1911 und 1912 Süd­deut­scher Meis­ter. Für die süd­deut­sche Aus­wahl stand er 1911 im Fina­le des Kron­prin­zen­po­kals, wel­ches mit 2:4 gegen Nord­deutsch­land ver­lo­ren wur­de. Mit 19 Jah­ren bestritt er sein ers­tes und ein­zi­ges Län­der­spiel gegen die Nie­der­lan­de, das in Zwol­le mit 5:5 ende­te. 1913/14 wech­sel­te Gros kurz­zei­tig zum VfR Mann­heim. Als Stu­dent wur­de das jun­ge Talent 1914 zum Aus­bruch des ers­ten Welt­krie­ges ein­ge­zo­gen. Zunächst war er Mecha­ni­ker der Feld­flie­ger-Abtei­lung 27, wur­de dann zum Flug­zeug­füh­rer aus­ge­bil­det, dien­te bei der Artil­le­rie-Flie­ge­r­ab­tei­lung 207 und schließ­lich bei der „Malaula“-Jagdstaffel 17 an der West­front, wo er als Jagd­flie­ger ein­ge­setzt wur­de. Am 22. August kam der jun­ge Leut­nant bei Vlis­se­gem in Flan­dern bei einem Beob­ach­tungs­flug ums Leben. Der Trä­ger des Eiser­nen Kreu­zes I. und II. Klas­se wur­de am 1. Sep­tem­ber 1917 in Karls­ru­he-Haupt­fried­hof beer­digt (Block D Grab 52)

Abbil­dung: Hirsch im Fina­le 1912, Quel­le: KFV. 
Abbil­dung: Wer­be­an­zei­ge im Kicker: Der KFV war mit sei­nen her­aus­ra­gen­den Spie­lern (wie hier Juli­us Hirsch) als Wer­be­trä­ger prä­de­sti­niert. Quel­le: Skrentny.
Abbil­dung: Sam­mel­bild von Mano­li — 1920er Jah­re der Natio­nal­spie­ler. Quel­le: KFV.
Abbil­dung: Hirsch im Spiel gegen Phönix
Hirsch im Spiel gegen die Stutt­gar­ter Kickers. Quel­le: kickers-Archiv.
Die Tra­di­ti­ons­mann­schaft des KFV – bestehend aus frü­he­ren und aktu­el­len Spie­lern des Alt­meis­ters – reis­te bereits am frü­hen Mor­gen mit dem Bus nach Bern und besuch­te davor gemein­sam mit dem Schwei­zer Gast­ge­ber das Muse­um der Young Boys Bern im Sta­di­on, wo sich die Karls­ru­her Mann­schaft in das Gäs­te­buch ein­trug. Den Karls­ru­hern wur­de schnell klar: Der zwölf­ma­li­ge Schwei­zer Meis­ter wur­de wie der KFV von Gym­na­si­as­ten gegrün­det und blickt auf eine sehr lan­ge Tra­di­ti­on zurück.
Eini­ge mit­ge­reis­te KFV-Fans und Ange­hö­ri­ge feu­er­ten die Schwarz-Roten im anschlie­ßen­den Spiel im Sta­di­on an. Nach der Par­tie wur­den Wim­pel und Geschen­ke aus­ge­tauscht. Im Sta­di­on­re­stau­rant „Ele­ven“ speis­ten bei­de Mann­schaf­ten schließ­lich zusam­men.
Wolf­gang Ade, Koor­di­na­tor der KFV-Tra­di­ti­ons­mann­schaft, orga­ni­sier­te die Rei­se der Karls­ru­her in die Schweiz. „Wir dan­ken den Senio­ren 40+ des BSC Young Boys Bern/Wyler für das tol­le und fai­re Freund­schafts­spiel“, so der frü­he­re Spie­ler und Trai­ner des KFV. „Das kom­plet­te Bern-Wochen­en­de war ein unver­gess­li­ches Erleb­nis“. Rüdi­ger Herr – stets eng in Kon­takt mit Ade – orga­ni­sier­te auf Sei­ten der Ber­ner Vete­ra­nen­elf das Freundschaftsspiel.
Abbil­dung: Town­ley-Stie­fel in der Karls­ru­her Wer­bung. Quel­le: KFV-Archiv.
Abbil­dung: Trump in der Mit­te vor sei­nen Mit­spie­lern. Dahin­ter: Fuchs, Käche­le, Schwar­ze, Wil­helm Lan­ger, Gutsch, Ruzek, Holl­stein; ste­hend: Breu­nig, För­de­rer, H. Link. Quel­le: KFV-Archiv.
Abbil­dun­gen: Gros als Jagd­flie­ger im 1. Welt­krieg. Quel­le: http://flieger-album.de/