Am 1. März, dem Jahrestag der Deportation von Julius Hirsch aus Karlsruhe, gedachten wir an ihn und sein Schicksal. Wie immer an diesem Jahrestag trafen wir uns mit den Freunden des Fanprojekts Karlsruhe sowie den Supporters Karlsruhe vor dem Karlsruher Hauptbahnhof dazu.

Unser Vorstandsmitglied Uwe Spetzger hielt eine kleine Rede, die wir hier in den Newsletter aufgenommen haben (Manuskript):

“es ist fast schon zu einer guten Tradition geworden, dass wir uns an jedem 1. März an diesem Ort versammeln, um an einen der größten Sportler unserer Stadt zu gedenken dessen Leben und Schicksal untrennbar mit dem deutschen Fußball und der Geschichte unseres Landes verbunden ist.

Seitdem wir – die Supporters Karlsruhe, die Faninitiative Karlsruhe, der Karlsruher Fußballverein und viele weitere Freunde des Karlsruher Fußballs und darüber hinaus, vor wenigen Jahren zum ersten Mal zu dieser Veranstaltung am Karlsruher Hauptbahnhof aufgerufen haben, war uns nicht bewusst, dass die Botschaft, die wir damit senden wollen, von Jahr zu Jahr relevanter werden wird.

Julius Hirsch schloss sich als Schüler dem KFV, meinem Verein an. Schnell entwickelte er sich zum schnellen Linksaußen. In der für Deutschland noch jungen Sportart, gewann er mit dem KFV 1910 die deutsche Fußballmeisterschaft; wurde 1912 nochmals Vizemeister sowie 1914 mit der Spielvereinigung Fürth nochmals Meister. Er war Deutschlands erster Nationalspieler, dem es gelang in einem Länderspiel, 4 Tore zu erzielen. Mit seinen Karlsruher Mannschaftskollegen spielte er 1912 bei den olympischen Spielen in Stockholm. Viermal gewann der die süddeutsche Meisterschaft. 1925 beendete er beim KFV seine Spielerkarriere. Sein Bild war auf dem Cover der ersten Fußballzeitschriften zu finden, er war beliebt und wurde gefeiert.

Die Tatsache, dass er – zusammen seinem Karlsruher Mannschaftskameraden, Gottfried Fuchs – zu den einzigen deutschen Fußballnationalspielern jüdischen Glaubens gehörte, wäre ein Fußnote seiner Biographie geblieben, hätte die Nationalsozialisten nicht im Januar 1933 die Macht übernommen.

Von nun an ging Julius Hirsch durch die Hölle. Die letzten 10 Lebens- und Leidensjahre von Julius Hirsch beginnen. Der Deutsche Fußballbund und die Deutsche Sportbehörde veröffentlichen im April 1933 im Verbandsorgan „Kicker“ eine amtliche Bekanntmachung, nach der Juden aus Sportvereinen ausgeschlossen werden sollen. Von ehemaligen Mitspielern wird er auf der Straße gemieden, nach einem Selbstmordversuch mit einem Messer, landet er vereinsamt in einer Art Psychiatrie, aus der er später entlassen wird. Ab 1939 war er Zwangsarbeiter auf einem Karlsruher Schuttplatz. In der Hoffnung, seine Kinder zu schützen, lässt Julius sich von seiner Frau scheiden, was seine Situation später verschlimmern sollte.

Julius Hirsch geht durch die Hölle. Ausgrenzung, Verzweiflung und ständige Repressalien geben sich die Hand. Tag für Tag, Jahr für Jahr.

Heute vor genau 81 Jahren ging Hirsch, begleitet von seiner Tochter zum Hauptbahnhof, an dem wir jetzt stehen. Die Gestapo zwang ihn, sich für einen „Arbeitseinsatz“ im Osten einzufinden. Von diesem Abtransport wird Hirsch niemals zurückkehren. Unser Karlsruher Nationalspieler und Ehrenspielführer wird in Ausschwitz ermordet. Das Amtsgericht Karlsruhe verfügt 1950 den 8. Mai 1945 als Todesdatum.

Julius Hirsch war nur einer von vielen Opfern. Er war ein gefeierter Fußballheld, ein Unternehmer und ein Patriot der als Weltkriegsveteran das eiserne Kreuz erhielt. All das war nichts mehr wert in einer Gesellschaft, die mit Hass und Teilnahmslosigkeit zusah, wie Menschen wie er ausgegrenzt, verfolgt, in den Tod getrieben und ermordet wurden.

Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich. Wir alle hier, sind heute nicht dafür verantwortlich, was vor 80 Jahren geschah. Wir sind aber für das Heute verantwortlich. Nie wieder darf sich das wiederholen. Wir alle stehen hier heute zusammen gegen jegliche Form von Ausgrenzung, Diskriminierung, Antisemitismus und Rassismus.

Vor einigen Wochen trafen sich in Potsdam Rechtsextreme – und zwar keine Außenseiter in Springerstiefeln – sondern Menschen aus Teilen des Bürgertums und des Mittelstands; Juristen, Politikerinnen, Unternehmer und Ärzte, um über die gewaltsame Deportation von Menschen aus Deutschland zu schwadronieren. Remigration ist ein anderes Wort für die gewaltsame Vertreibung von Menschen, denen wahllos ihre Existenzrecht abgesprochen wird. Das müssen wir uns bewusst machen.

Einige Wochen davor überfiel die Hamas Israel, u.a. ein friedliches Musikfestival, und tötete dort wahllos, skrupellos Menschen jeden Alters. Die Reaktion in Deutschland: Von Solidarität, Verharmlosung bis hin zu Schadenfreude. Der Nahostkonflikt ist alt und komplex. Nichts rechtfertigt aber einen solchen barbarischen Überfall.

Die Welt wird nicht einfacher in den kommenden Monaten und Jahren. Trump, Le Pen in Frankreich, Ukraine, Taiwan, das Parteienspektrum hierzulande, Nahost, konjunkturelle Schwächen. Umso wichtiger wird es sein einen klaren Kompass zu behalten, nicht nur im Symbolischen, sondern auch im Tun und im Sprechen. Das Schicksal von Julius Hirsch ermahnt uns, unsere Freiheit und Demokratie zu verteidigen und Ausgrenzung keinem Meter Platz zu geben. Frust und Unzufriedenheit lassen sich nicht mit Gewalt lösen, die wir anderen antun.”